Paid Editing-ein vergessenes Phänomen?

Über Paid Editing wurden große Debatten geführt, bis die Wikipedia eine Transparenzpflicht einführte. Hat sich diese wie befürchtet als zahnloser Tiger erwiesen oder griff sie? Wiki-Watch schaut nach, was daraus wurde.

Gliederung:

  • Paid Editing und Wikipedia – ein Paar mit gemeinsamer Vorgeschichte
  • Was ist Paid Editing?
  • Wie ging Wikipedia in der Vergangenheit damit um?
  • Was ist seit dem Sommer 2014 zum Thema Paid Editing passiert?
  • Was ist von dieser Entwicklung noch zu erwarten?

Paid Editing und Wikipedia – ein Paar mit gemeinsamer Vorgeschichte

Wikipedia ist sehr beliebt.  Daher verwundert es kaum, dass Unternehmen und Werbeagenturen auf dieser Plattform in möglichst vorteilhaftem Licht erscheinen wollen. Keine andere Seite, die frei von jedermann bearbeitet werden kann, wird so oft angeklickt. Ein Unternehmen, dass einen Wikipedia Artikel hat, strahlt einen gewissen Status und Seriosität aus. Aus diesem Zusammenhang hat sich das Phänomen Paid Editing entwickelt.

Was ist Paid Editing?

Paid Editing ist das Verändern von Inhalten der Wikipedia („Editing“) durch Autoren, die dafür bezahlt werden („Paid“).

An sich ist das nichts Verwerfliches, schon 2013 hatte ein großer Teil der Wikipedianer kein Problem mit gewissen Formen des Paid Editing.

Von näherem betrachtet, kann man Paid Editing in zwei Felder aufteilen.

Auf der einen Seite gibt es Marketingunternehmen oder PR-Abteilungen großer Aktiengesellschaften, die mit verifizierten Accounts aktuelle Informationen über ihre Klienten beziehungsweise Unternehmen wie zum Beispiel Mitarbeiterzahlen, Umsatz, Gewinn etc. in die Wikipedia einpflegen. So können Informationen über große Aktiengesellschaften in hohem Maße aktuell gehalten werden bei Werten, die den vierteljährlichen Unternehmensberichten zu entnehmen sind. Kennzeichnend bei dieser Form des Paid Editing ist, dass es offen geschieht. Dadurch soll eine gewisse Transparenz gewährleistet sein.

Auf der anderen Seite gibt es Agenturen und Unternehmen, die versuchen Werbebotschaften in Wikipedia Artikel einzuführen. Dort werden dann z.B. Artikel über Unternehmen in die Wikipedia gebracht, die weit außerhalb des Rahmens der Relevanzkriterien für Unternehmen sind.[1] Diese Praxis widerspricht natürlich dem Gebot des neutralen Standpunktes. Sie wird häufig durch Sockenpuppennetzwerke und mit sehr ausgefeilten Taktiken durchgeführt wie zum Beispiel der Verwendung von separaten Schreiberaccounts und Sichteraccounts, deren Glaubwürdigkeit vorher „hochgezüchtet“ wurde. (Wiki-Watch berichtete)

Beide Phänomene haben eines gemeinsam: Kommerzielle Interessen finden Einzug in das gemeinfreie Projekt Wikipedia.

Wie Wikipedia damit in der Vergangenheit umging

Diese Entwicklung ist keine neue. Die Wikipedia als gemeinfreies Projekt musste sich schon lange mit dem Thema „Paid Editing“ auseinandersetzen.

Im Juni 2014 änderte die Wikimedia-Foundation ihre Richtlinien. Nun sollten Autoren, die für das Verfassen eines Artikels bezahlt werden, dieses als solches kennzeichnen. Erhofft hatte man sich, dass einerseits die Erkennbarkeit von bezahlten Schreibern für die Wikipedia Community erhöht wird und andererseits das Paid Editing durch klare Kennzeichnung aus einer schmuddeligen Grauzone entfernt wird.

Was ist seit dem Sommer 2014 zum Thema Paid Editing passiert?

Dieser Beschluss ist mehr als dreieinhalb Jahre alt. Hat er Wirkung gezeigt?

Zunächst fällt auf, dass das Thema nicht mehr debattiert wird. So fallen die meisten Suchergebnisse im Web als auch in den sozialen Netzwerken auf die Jahre 2013 bis 2015. Zumindest in der englischsprachigen Wikipedia scheint das Paid Editing ein Wachstumsmarkt zu sein.[2]

Im deutschsprachigen Netz mag sich auch niemand mehr so richtig darüber aufregen.[3]

Paid Editing in der Wikipedia ist zumindest kein Anlass mehr für große Debatten. Zumindest ein Ziel der Kennzeichnungspflicht ist damit erreicht worden. Seriöse PR-Agenturen und Unternehmen, werden nicht mehr als Bedrohung für die Wikipedia gesehen.

Die Quellenlage zu den „schwarzen Schafen“ der Lohnschreiber ist leider nur sehr dünn. Das liegt in der Natur der Branche, die nun nicht mehr im Halbschatten, sondern im Dunkeln agiert. Der Arbeitsaufwand den Sichter und Administratoren für das Fernhalten von Wikipedia aufwenden müssen, scheint nicht signifikant gesunken zu sein.

Die Pflicht für bezahlte Schreiber, sich als solche auszuweisen, hat also keine substanzielle Besserung gebracht. Wie erwartet konnte sie die schwarzen Schafe unter den bezahlten Autoren nicht davon abhalten, Unternehmensartikel zu sehr kleinen Unternehmen in die Wikipedia zu bringen oder Werbung und andere fern vom neutralen Standpunkt liegende Ansichten unterzumischen.

 

Was ist von dieser Entwicklung noch zu erwarten?

Auf der einen Seite ist der Autorenschwund schon seit Jahren traurige Realität. Daher ist es richtig, die seriösen bezahlten Schreiber in die Wikipedia einzubinden. So können die Symptome des Mangels an Autoren leicht abgefedert werden, ohne die Ursachen angehen zu müssen.

Nicht außer Acht zu lassen ist dabei, dass die Zahl der unbezahlten Autoren durch das offene Zugehen auf bezahlte Schreiber noch weiter sinken kann. Wer möchte schon seine Freizeit opfern, Inhalt zu erstellen, wenn andere dafür bezahlt werden? Wer möchte schon seine Zeit damit verbringen, unzulässige Werbebotschaften oder irrelevante Artikel über Kleinstfirmen aus der Wikipedia zu entfernen?

Der Autor, der sich trotz des rauhen Umgangtons und der hohen Anforderungen an Relevanz, Quellenarbeit und Form der Artikel für die Wikipedia engagiert beweist zwar große intrinsische Motivation. Aber es ist nicht ausgemacht, dass diese nicht durch die oben genannten Einflüsse schwindet.

Die Technologie ist leider noch nicht so weit, dass ganze Wikipedia Artikel von Bots geschrieben werden können oder Werbeedits automatisch erkannt werden. Dies ist jedoch eine der wenigen Möglichkeiten, die immer größer werdende Lücke zwischen dem Aufwand, eine große Zahl an Artikeln auf enzyklopädischem Standard aktuell zu halten und der bestenfalls stagnierenden Anzahl an Autoren zu schließen.

Auch eine Klarnamenspflicht für die Bearbeiter der Wikipedia wäre nicht zielführender als die momentane Lösung. Wer möchte, wird es in einem Internetprojekt wie der Wikipedia immer schaffen, gleich mehrere falsche Identitäten zu nutzen. Einen effektiven Schutz vor den schwarzen Schafen im Bereich Paid Editing könnte man so auch nicht garantieren.  Ganz abgesehen davon, kann die Wikipedia eine weitere Hürde für neue Autoren wirklich nicht gebrauchen.

Der Nutzer der Wikipedia erwartet neutrale und umfassende Informationen. Ob dieser Anspruch wirklich erfüllt wird, kann er nicht ohne Weiteres herausfinden. Das Produkt Wikipedia sollte also mit Vorsicht genossen werden. Selbst wer sich die Mühe macht, zu überprüfen, ob kommerzielle Autoren hinter einem Artikel stehen, wird das nicht immer herausfinden können.

Der Status und die Legitimität, die ein Unternehmen dadurch gewinnt, einen Wikipedia Artikel zu haben, sind enorm. Nicht zuletzt verweisen auch wir auf dieses Phänomen beim Erkennen von Fake News. Jedoch darf die Wikipedia niemals die einzige Quelle sein, die man für belastbares Wissen konsultiert. Sie kann höchstens der Ausgangspunkt auf der Suche nach belastbaren Informationen sein.


[1] Auch für Unternehmen ist jedoch umstritten, ob die Relevanzkriterien nicht viel zu streng sind. https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Meinungsbilder/Relevanzkriterien_f%C3%BCr_Unternehmen_und_Marken#Problembeschreibung

[2] Trotz der Einleitung des Artikels verstößt Paid Editing, -wie dargelegt- nicht zwangsläufig gegen die Wikipedia Richtlinien.

[3] Es findet sich nur eine Anleitung zum Richtlinienkonformen Schreiben für Pressesprecher von Marvin Oppong. https://www.pressesprecher.com/nachrichten/dos-and-donts-fuer-kommunikatoren-im-wikipedia-671063591

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