Transparenzpflicht für PR-Mitarbeiter – ein zahnloser Tiger

Wikipedia ist laut Serverdienst Alexa die sechsthäufigst aufgerufene Webseite der Welt. Journalisten, Schüler und Studenten, sogar Richter vertrauen ihr als Quelle. Die Popularität der Enzyklopädie nutzen Lobbygruppen und PR-Profis, um Wikipedia in ihrem Interesse zu beeinflussen. Neue Regeln verpflichten bezahlte Wikipedia-Autoren jetzt zu Transparenz.

„Schluss mit versteckter PR: Wikipedia führt Transparenzregelung für bezahlte Autoren ein“, titelte das t3n Magazin geradezu euphorisch. Auch auf dem Blog der Wikimedia Foundation waren die Reaktionen („Thanks wikipedia, you’re awesome!“) überaus positiv.

Bezahlte Artikel? Warum nicht! Solange gesponserte Autoren neutrale und auch sonst vernünftige Artikel schreiben, haben nur wenige ein Problem damit.

Die neuen Regeln sehen vor, dass sich bezahlte Autoren in der Wikipedia als solche offenbaren müssen – entweder durch eine Erklärung auf der Nutzerseite, der Diskussionsseite, die bezahlte Beiträge begleitet, oder in der Zusammenfassung der Änderungen. Lehrer, Professoren und Mitarbeiter von Galerien, Bibliotheken, Archiven und Museen müssen die Transparenzpflicht nur dann befolgen, wenn Sie konkret für einen Wikipedia-Beitrag bezahlt werden.

Der kritische Leser fragt sich jetzt: Welche Konsequenzen hat ein Verstoß gegen die neue Richtlinie? Wie soll die neue Transparenzregelung für bezahlte Auftragsautoren in der Wikipedia praktisch durchgesetzt werden?

Bezahlte Artikel? Warum nicht!

Die erste Frage ist leicht zu beantworten. Ein Verstoß gegen die Transparenzpflicht hat höchstens eine Sperrung des Accounts zur Folge. Nutzer, die dagegen verstoßen, „sollten zunächst verwarnt und über diese Regeln informiert werden und danach nur bei Bedarf gesperrt werden„, heißt es in den FAQ zu den Nutzungsbedingungen.

Den Administratoren der Wikipedia („Admins“) steht also ein Spielraum zur Verfügung. Unternehmen, die etwa ihre Mitarbeiterzahl, Umsätze oder ihren Gewinn aktualisieren lassen, aber die Pflicht zur Offenlegung nicht kannten, sollen erst einmal ermahnt werden. Wer hingegen gezielt Werbung betreibt, kann gleich gesperrt werden.

„Ich sehe keinen Sinn darin Paid Editing zu verbieten oder (durch Kennzeichnungspflicht) einzuschränken, solange die Qualität stimmt.“ (Admin „Morten Haan“ in der Diskussion zum Kurier-Artikel “PR in Wikipedia: Bezahltes Schreiben steht ab sofort unter Transparenzpflicht“)

In der Community findet bezahltes Schreiben kaum jemand verwerflich. Vielen kommt es allein auf die enzyklopädische Darstellung an, auf sonst nichts. Solange sich ein Beitrag an den neutralen Standpunkt hält, und auch sonst vernünftig geschrieben ist, haben nur wenige ein Problem mit PR-Edits.

Genauso effektiv wie der „Ja, ich bin über 18 Jahre alt“-Button

Bleibt die Frage nach der Durchsetzbarkeit der neuen Transparenzregelung. Viel halten sie für einen „zahnlosen Tiger“ und in etwa so sinnvoll wie ein „Ja, ich bin über 18 Jahre alt“-Button – also nutzlos. Denn bezahlte Schreiber machen mit, so oder so.

Das Tool "Herding Sheep" verrät, welcher verifizierte Benutzer gerade editiert.

Die Wikimedia Foundation hat viel Lob eingesteckt für die Einführung der Transparenzpflicht für bezahlte Autoren. Die Verantwortung bleibt aber an der Community hängen. Denn: Die negativen Auswirkungen bezahlten Schreibens – nämlich werblich gefärbte Artikel in der Wikipedia – lassen sich letztlich nur durch die freiwilligen Autoren innerhalb der Wikipedia verhindern.

Evolutionärer Humanist“ ist einer derjenigen, der mit viel Engagement gegen Werbung in Wikipedia vorgeht. Der Aufwand ist immens. Neue Artikel müssen täglich geprüft, ggf. gelöscht oder korrigiert werden.

„Bezahlte Auftragsschreiber machen so oder so mit. Verhindern könnten wir das nur mit einer Anmelde- bzw. Klarnamenspflicht. Wenn sie transparent sind, kann man sie eigentlich ganz gut kontrollieren. Ich z.B. gehe jeden Tag mit einem netten Tool die Benutzerbeiträge der verifizierten Konten durch und lösche/korrigiere, wo es notwendig ist.“ („Evolutionärer Humanist“ in der Diskussion zum Kurier-Artikel “PR in Wikipedia: Der nächste Schritt“)

Die positiven Auswirkungen der neuen Transparenzregelung sind auch deshalb gering, weil seriöse PR-Agenturen, Unternehmen, Museen, Parteien, Stiftungen, Verbände und wer sonst noch so in der deutschen Wikipedia mitschreibt, ohnehin schon länger mit verifizierten Benutzerkonten arbeiten, um Artikel über sich zu korrigieren oder zu aktualisieren.

Die „Schwarzen Schafe“ der Branche werden sich von einer Transparenzpflicht wohl kaum ermuntert sehen, sich als bezahlte Mitarbeiter zu outen. Zumal die Bedingungen für versteckte PR besser nicht sein können: Einer immer größer werdenden Zahl bezahlter Autoren stehen immer weniger ehrenamtliche Gatekeeper gegenüber, die mögliche Verstöße aufspüren können.

Zum Glück sind Artikel mit eindeutiger Werbeabsicht – anders als die Studie „Verdeckte PR in Wikipedia – Das Weltwissen im Visier von Unternehmen“ von Marvin Oppong nahelegt (siehe dazu unseren Beitrag “Verdeckte PR in Wikipedia” – die Studie im Faktencheck), selten.

1:0 für die PR-Branche

Die neue Transparenzpflicht kommt einem Sieg für die PR-Branche gleich. Das Signal ist klar: Bezahlte Schreiber gehören nun offiziell und selbstverständlich mit zur Community. Was entsteht ist eine Zwei-Klassen-Community, eine bezahlte und eine unbezahlte.

„Durch die Neuregelung wird bezahltes Schreiben nun zur anerkannten Praxis in der Wikipedia.“ (Wikipedia: Kennzeichnungspflicht für PR-Arbeiter, Torsten Kleinz, heise.de)

Da hilft es auch nichts, wenn elf führende US-Agenturen eine Selbstverpflichtung („Statement on Wikipedia„) veröffentlichen, in der sie geloben, die Wikipedia-Richtlinien zu beachten. „Viel heiße Luft“, schreibt Markus Franz, der als Geschäftsführer einer kleinen Agentur selbst Wikipedia-Beratung anbietet. Die Erklärung gebe nur das wieder, was ohnehin seit Jahren gilt. An die fünf Leitsätze, denen sich die Unterzeichner ab sofort unterwerfen wollen, müsse sich auch heute schon jeder PR-Fachmann in Wikipedia halten. Die Erklärung gehe nicht einmal ansatzweise über die Mindeststandards hinaus, die von der Community bestimmt wurden.

„Wikipedia is all about verifiability, not truth.“ (Why Wikipedia needs paid editing, Dariusz Jemielniak, dailydot.com)

Zurück zur Encyclopædia Britannica?

PR hat in Wikipedia inzwischen einen festen Platz und ist nicht mehr wegzudenken. Dennoch genießt die Online-Plattform bei vielen noch immer ein großes Vertrauen. Jeder Leser sollte aber im Hinterkopf behalten, dass Wikipedia eine Medium ist, das von jedem bearbeitet werden kann – und daher sehr anfällig ist gegenüber der Einflussnahme durch Interessengruppen. Wikipedia ist bei der Recherche immer nur ein Hilfsmittel unter vielen. Wer die „Wahrheit“ sucht, ist hier an der falschen Stelle.

„Der Benutzer, der die Wikipedia aufschlägt, um etwas über ein Thema zu lernen oder um eine Information zu überprüfen, befindet sich eher in der Situation eines Besuchers einer öffentlichen Toilette. Es mag dort offensichtlich schmuddelig sein, so dass ihm bewusst wird, dass er große Vorsicht walten lassen muss. Oder es erscheint ziemlich sauber, so dass er sich leicht in trügerischer Sicherheit wiegen kann. Auf keinen Fall ist ihm bekannt, wer die Einrichtungen vor ihm benutzt haben mag.“ (Robert McHenry, Ex-Chefredakteur der Encyclopaedia Britannica in: The Faith-Based Encyclopedia, 2004)

Es ist das Ziel von Wikipedia, durch die sich wechselseitig korrigierende und ergänzende Schwarmintelligenz möglichst wahrheitsnahe, vollständige lexikalische Einträge zu erreichen. Mit der Akzeptanz von PR-Beiträgen scheint dieses Ziel jetzt endgültig vom Tisch. Ehrenamtliche Autoren sind kaum noch der Lage, hier angemessen zu reagieren.

Was sind die Alternativen? Die digitale Encyclopædia Britannica? Die Wiederbelebung des Online-Brockhaus? Oder eine neue Wiki-Plattform für die Idee, die Wikipedia ursprünglich einmal war?

Denn es war ja der (nie erreichte) Ansatz von Wikipedia, durch die sich wechselseitig korrigierende und ergänzende Schwarmintelligenz möglichst wahrheitsnahe, vollständige Beiträge zu erreichen. Mit der Akzeptanz der PR-Beiträge ist dieses Ziel damit eingentlich endgültig vom Tisch. Ehrenamtliche Autoren sind, wie Sie zutreffend anreißen - überhaupt nicht der Lage, hier angemessen zu korrigieren, wenn sie es denn wollen. Hinzu kommen die unverändert quasi uneingeschränkte, intransparente Machtausübung der Administratoren. Also doch zurück zum Online-Brockhaus.... ?!?
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