Der Netz-Journalist Stefan Mey hat sich in seinem neuesten Beitrag für das Web-Portal golem.de mit der dunklen Seite der Wikipedia befasst. Er meint: Unter der freundlichen Oberfläche des großen Wissens-Projekts brodelt es gewaltig: Es wird gemobbt, frauenfeindlich, rassistisch, antisemitisch oder homophob gepöbelt und sogar mit physischer Gewalt gedroht.
Belästigung im Netz ist kein Randphänomen mehr. Das bestätigt eine Studie des Pew-Forschungszentrums von 2014. Danach haben 40 Prozent der Befragten selbst Belästigungen im Netz erlebt. 73 Prozent kennen jemanden, der Opfer von „Online-Harassment“ geworden ist.
Cybermobbing ist ein ernstzunehmendes Problem
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Umfrage des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik unter privaten Internetnutzern: 12 Prozent der Internetnutzer, die sich in mindestens einem Sozialen Netzwerk engagierten, gaben 2011 an, Opfer von Mobbing und sexueller Belästigung bezüglich ihrer Person geworden zu sein. Überwiegend waren hiervon weibliche Personen in der Altersklasse von 14 bis 39 Jahren betroffen.
Zwar ist Cybermobbing selbst kein Straftatbestand. Beleidigung und Bedrohung aber schon. Viele Täter wähnen sich in der Anonymität im Netz sicher und oft ist ihnen nicht bewusst, dass ihr Verhalten nicht nur verletzend, sondern strafbar ist.
„Im Gegenzug wissen auch viele Betroffene nicht, wie sie sich wehren sollen“,
so Professor Dr. Wolf Hammann, damals Vorsitzender der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes und Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg.
Auch Wikipedia von Online-Belästigungen betroffen
Auch Wikipedia bleibt nicht verschont von neuen Formen der Gewalt im Netz. In einer 2015 durchgeführten, nicht repräsentativen Studie mit weltweit 3.845 Teilnehmern hat sich die Wikimedia Foundation erstmals mit diesem Phänomen beschäftigt.
38 Prozent der Teilnehmenden gaben in der Umfrage an, selbst Belästigung auf Wikimedia-Projekten erlebt zu haben (Seite 4 der Studie). Dabei waren Verwüstungen auf der eigenen Benutzerseite oder ein gezieltes Entfernen oder
Abwerten von Artikelbearbeitungen, sogenannter Content-Vandalismus, Beschimpfungen („name calling“) die häufigste Form (Seite 17 und 18 der Studie).
Häufig genannt wurden auch „trolling/flaming„. Sogar Revenge Porn (das Veröffentlichen von Nacktfotos im Netz aus Rache), Hacking oder Gewaltandrohung wurden genannt.
Wüste Beschimpfungen, Porno-Rache, sogar Morddrohungen
Gefragt nach konkreten Erfahrungen schilderten die teilnehmenden Nutzer teils erschreckende Erfahrungen. Sie berichten von Morddrohungen oder vom Anlegen einer Porno-Webseite auf den Nutzernamen des Opfers.
Andere Nutzer berichten von herablassenden und beleidigenden Kommentaren (viele krasse Beispiele auf Seite 27 der Studie). Ein Nutzer aus dem deutschsprachigen Bereich berichtete sogar von Telefonterror:
„Direkt nach Speichern eines jeden Edits in der WP klingelte tagelang (auch nachts) das Telefon.“
Wikimedia sammelt Ideen, was gegen Wiki-Mobbing getan werden kann
Die Wikimedia-Stiftung steht noch ganz am Anfang bei der Frage, wie dem Problem Wiki-Mobbing entgegnet werden kann. Die Stiftung hinter Wikipedia nehme das Problem sehr ernst, sagt Patrick Earley vom Support and Safety Team bei Wikimedia gegenüber golem.de:
„Online- oder Offline-Belästigungen haben ernsthafte Auswirkungen auf das emotionale, physische und mentale Wohlbefinden. Wir wollen aber, dass unsere Nutzerinnen und Nutzer positive Erfahrungen auf Wikimedia-Seiten machen.“
Leute vor Belästigungen zu schützen, sei notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. Belästigung habe, so Earley gegenüber golem.de, ernsthafte Folgen:
„Manche besonders produktive Leute verlassen das Projekt oder reduzieren ihre Mitarbeit drastisch. Wie sich das Mobbing auf die Kultur der Wikimedia-Projekte allgemein auswirke, werde gerade untersucht. Es sei allerdings bekannt, dass Belästigungen sich sowohl negativ auf die aktuelle als auch auf eine potenzielle Partizipation auswirken könne – bei denen, die fürchten, Opfer zu werden. Und das, meint Earley, könne überproportional marginalisierte gesellschaftliche Gruppen treffen und so wiederum zu einer geringeren Vielfalt an Meinungen und Positionen führen.“
Über eine Inspirationskampagne sammelte Wikimedia bis Ende Juni Ideen, was gegen Wiki-Mobbing getan werden kann. Aus den Vorschlägen (vollständige Liste) sollen dann konkrete Projekte erwachsen. Bisher am meisten Unterstützung findet der Vorschlag, dass man angemeldet sein muss, um Artikel in der Wikipedia bearbeiten zu können. Andere Ideen sind beispielsweise ein Karma-System, mit dem jeder Benutzer die Aktivitäten der anderen positiv oder negativ bewerten kann. Der Feedback-Mechanismus soll als soziales Regulativ wirken. Diskutiert wird auch über einen Klarnamenzwang und ein Rotationssystem für Admins.
„Schrankenlose Offenheit bedeutet auch Offenheit für destruktive Mitglieder“
Auch Leonhard Dobusch, renommierter Organisationsforscher unter anderem an der Universität Innsbruck, kommt in Stefan Meys Golem-Artikel zu Wort: Er glaubt, dass das Problem nicht unbedingt Wikipedia-spezifisch sei, sondern eher ein typisches Phänomen solcher Communities:
„Schrankenlose Offenheit bedeutet auch Offenheit für destruktive Mitglieder, die zwar in der Minderheit sind, aber dennoch das gesamte Klima vergiften. Eine zentrale Stärke der Wikipedia, ihre völlige Offenheit für Beiträge, wird im Kontext von Belästigungen und problematischer Kultur zur Achillesferse.“
Paradoxerweise könne es notwendig sein, so Dobusch, die Offenheit durch stärkere und strengere Moderation einzuschränken, vielleicht auch durch hauptamtliche Community-Manager, um Wikipedia so wieder attraktiver zu machen.
Wikimedia Deutschland muss das Thema auf die Agenda nehmen
Was können Betroffene tun, um sich gegen Cybermobbing in der Wikipedia zur Wehr zu setzen? Eine Möglichkeit ist, dass Projekt zu verlassen. Denn anpöbeln lassen muss sich niemand.
„Immerhin ist das Projekt rein ehrenamtlich, und es gibt Tausende Möglichkeiten, die Freizeit anderweitig zu verbringen. Da muss sich niemand auf Wikipedia anpöbeln lassen.“ (Leonhard Dobusch via golem.de)
Ansonsten gibt es innerhalb der Wikipedia verschiedene, mehr oder weniger effektive Möglichkeiten, gegen Mobbing vorzugehen. Inakzeptable Edits eines Benutzers können als Vandalismus gemeldet werden. Bei längerem inakzeptablem Verhalten von Benutzern kann auch eine Benutzersperrung durchgeführt werden. In schwierigen Fällen ist die Anrufung des Schiedsgerichts möglich. Benutzer, die der englischen Sprache mächtig sind, können sich zudem an das Support and Safety-Team der Wikimedia Stiftung wenden, um sich Rat in schwierigen Einzelfragen einzuholen. In schwerwiegenden Fällen ist eine Anzeige bei der Polizei der richtige Weg.
Bei Wikimedia Deutschland wird das Thema leider noch sehr stiefmütterlich behandelt. Auf dem Blog des Vereins findet sich gerade einmal ein Artikel, der sich (aus feministischer Sicht) mit Cybermobbing befasst. Abgesehen davon findet das Thema – zumindest öffentlich – nicht satt. Dabei braucht das Thema genau das: Öffentlichkeit.
Was ist Eure Meinung zum Thema Cybermobbing in der Wikipedia?
- Haltet Ihr einen Diskriminierungsbeauftragten für sinnvoll?
- Sollte es Informationsmaterialien geben, die über das Thema aufklären?
- Sollte jeder Benutzer angemeldet sein, um Artikel in der Wikipedia bearbeiten zu können?
- Kann ein Karma-System, mit dem jeder Benutzer die Aktivitäten der anderen positiv oder negativ bewerten kann, als soziales Regulativ wirken?
- Sollte ein Klarnamenzwang eingeführt werden?
- Was haltet Ihr von einem Rotationssystem für Admins?