Wikipedia-Verbot an der TU Dortmund: Interview mit Statistik-Professor Walter Krämer

Prof. Dr. Krämer ist Inhaber des Instituts für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund. Er sorgte für Aufsehen, weil er als einer der ersten Professoren einer deutschen Universität Zitate aus der deutschsprachigen Wikipedia in akademischen Abschlussarbeiten an seinem Institut verboten hat. Krämer meint, die deutsche Wikipedia werde von Ideologen dominiert. Außerdem stecke sie in vielen Artikeln zu Wirtschaftswissenschaften und Statistik voller Fehler.

Wiki-Watch: Die Reaktionen auf das Wikipedia-Verbot an Ihrem Institut fallen unterschiedlich aus. Insbesondere aus dem Umfeld der Männerrechtsbewegung (sciencefiles.org, WikiMANNia) bekommen Sie viel Zuspruch. Harald Krichel – Beisitzer im Präsidium des Vereins Wikimedia Deutschland in Berlinglaubt hingegen, dass Sie keine wissenschaftlichen, sondern sehr persönliche Gründe für das Verbot haben. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Prof. Krämer: Das hat allenfalls insofern was für sich, als ich erst durch die extrem einseitige Darstellung der eigenen Person auf die Idee gekommen bin, dem ganzen Wikipedia Manipulationssystem einmal systematisch nachzugehen.

Wiki-Watch: Was stört Sie konkret an dem Wikipedia-Eintrag zu Ihrer Person? Werden bestimmte Aspekte Ihres Wirkens überbetont, und kommt es deshalb zu einer verzerrten Darstellung Ihrer Person? Fühlen Sie sich durch die betonte Nähe zur AfD in gewisser Weise vorverurteilt bzw. in eine bestimmte politische Ecke gedrängt?

Prof. Krämer: Ich bin auch mehrfach bei Veranstaltungen der SPD, der CDU und FDP aufgetreten. Indem man hier nur die AfD herausgreift, wird ganz schamlos ein bestimmtes Bild erzeugt. Am meisten ärgert mich aber der „Plagiatsvorwurf“. Das ist für einen Wissenschaftler der Supergau. Wurde auch vom Gericht als unzutreffend bezeichnet. Ich hätte nur die zitierten Autoren vorher um Erlaubnis fragen müssen. Dass ich alle meine anderen Prozesse gewonnen habe, wird dagegen völlig verschwiegen: gegen die Zeitschrift Ökotest, gegen den Bremer Panikmacher Greiser, gegen die Macher des Frankfurter Mietspiegels zum Beispiel.

Wiki-Watch: Besagter Harald Krichel nennt Sie „AfD-Professor“. Tatsächlich haben Sie in einem Interview gesagt, die AfD gewählt zu haben.

Prof. Krämer: Weil das zu Bernd Luckes Zeiten die einzige Partei war, die ihre Wähler in Sachen Euro nicht schamlos belogen hat. Bei meiner eigenen Partei gibt es um Frank Schäffler auch einige klare Euro-Denker, aber die haben leider in der FDP noch keine Mehrheit.

Wiki-Watch: Sie haben Bernd Lucke erwähnt. In seinem ansonsten recht ausgewogenen Wikipedia-Eintrag gibt es den Abschnitt „Kontroversen“. Darin wird sich mit Luckes unglücklicher Wortwahl „Entartung“ und einer Äußerung zur DDR im Wahlkampf 2014 beschäftigt. Diese Äußerungen bekommen durch ihre Ausführlichkeit in Relation zum Ereignis selbst ein Gewicht, das der Person sicher nicht gerecht wird und beim Leser womöglich einen völlig falschen Eindruck über ihn hinterlässt. Fatal insofern, weil sein Wikipedia-Eintrag auf den vordersten Plätzen der Google-Suche landet und für viele wahrscheinlich die einzige Informationsquelle ist. Wie sehen Sie das?

Prof. Krämer: Immer wieder das gleiche System. Wenn man alle öffentlichen Äußerungen einer Person zusammennimmt, findet man bei jeder irgendwelche unglücklichen oder missverständliche Äußerungen. Die werden aber vorzugsweise, und zwar mit Hochgenuss, bei Leuten ausgebreitet, die den Wikipedia-Manipulateuren nicht ins Weltbild passen.

Wiki-Watch: In der Wikipedia ist zu lesen, dass Sie FDP-Mitglied sind. Haben Sie das Gefühl, dass diese Partei und ihre Mitglieder bei Wikipedia tendenziell negativer dargestellt werden als ihre rot-grünen Kontrahenten? Uns zumindest ist aufgefallen, dass z.B. die Einträge von Christian Lindner, Dirk Niebel und Philipp Rösler im Verhältnis zum Gesamtartikel sehr lange Abschnitte zum Thema „Kontoversen“ haben. Auf der Diskussionsseite im Artikel zu Christian Lindner heißt es unter dem Stichwort „Neutralität„: „Im Vergleich zu seinen inhaltlichen Positionen werden die nicht besonders öffentlichkeitswirksam gewesenen Kontroversen um seine Person vollkommen überproportioniert dargestellt. Lindner ist zwar anders als Daniel Cohn-Bendit nicht Mitglied bei den GRÜNEN, aber auch er hat Anrecht auf eine faire und ausgewogene Darstellung. (…) Der Abschnitt Kontroversen ist überdimensioniert und steht in keinem Verhältnis zu der bescheidenen Rezeption in der Presse, welche diese Skandälchen erhalten haben.“ Sind das Einzelfälle oder mangelt es der Wikipedia an Neutralität bei politischen Themen? Haben Sie vielleicht noch andere Beispiele, wo Ihnen Ähnliches aufgefallen ist?

Prof. Krämer: Was heißt hier Beispiele? Das geht durchgehend so. Greifen Sie sich per Zufall irgendeinen wirtschaftsliberalen und einen rot-grünen Öko-Denker aus dem großen Topf heraus. Habe ich gerade bei Frank Schäffler gemacht. Da wird eine unverschämte Unterstellung seitens der SZ genüsslich kolportiert…

Wiki-Watch: Ich kann Ihren Ärger bezogen auf den Eintrag zu Frank Schäffler durchaus nachvollziehen. Wie mancher Autor bei Wikipedia tickt, zeigt beispielsweise dieser Eintrag auf Schäfflers Diskussionsseite mit dem Titel „Verschwörungstheoretiker“: „Taucht der Herr und seine politischen Positionen nicht auch bei Verschwörungstheoretikern als gern zitierte Quelle auf?“ Das Zitat des Benutzers verdeutlicht ein allgemeines Problem in der Wikipedia: die selektive Wahrnehmung einiger Wikipedia-Autoren, die ihre Quellen zusammengooglen, die sie benötigen, “um die vorgefertigte Aussage X oder den vorgefertigten Eindruck Y in Artikel Z hineinzuhämmern“, wie es ein anderer Autor treffend ausdrückte. Zurück zu Ihrem Institut: Sie haben Zitate aus der deutschsprachigen Wikipedia in akademischen Abschlussarbeiten verboten. Grund: Wikipedia wird von Ideologen dominiert. Inwiefern trifft das denn auf den Fachbereich Statistik zu? Immerhin ist dieser Fachbereich in der Wikipedia viel weniger anfällig für Verzerrungen als dies bei politischen Themen der Fall ist. Warum also das Verbot? Ist die Qualität der Artikel zu Statistik wirklich so schlecht?

Prof. Krämer: Ja. Habe gerade einen Stichwortartikel zufällig herausgegriffen (Thema „Korrelation“) und beim ersten Durchlesen schon drei sachliche Fehler gefunden.

Wiki-Watch: Drei sachliche Fehler zum Thema Korrelation beim ersten Überfliegen – das ist allerhand. Sagen Sie uns doch, welche Fehler Sie gefunden haben. Das dürfte die Wikipedia:Redaktion Wirtschaft sicher interessieren.

Prof. Krämer: 1. eine Korrelation zwischen Ereignissen gibt es nicht; 2. die Kullback-Leibler-Divergenz ist kein Maß für Korrelation; 3. eine Kausalbeziehung impliziert nicht notwendig Korrelation; 4. bei einer idealen Diversifikation ist die Korrelation der Renditen negativ (nicht Null, wie behauptet) usw. Wenn Sie mir zwei Tage geben und Wikipedia den Aufwand bezahlt, finde ich noch ein Dutzend weiterer Schlampereien. Aber der Artikel ist durch Einzelkorrekturen nicht zu retten. Müsste komplett neu geschrieben werden, von einem Experten, der Ahnung von Statistik hat.

Wiki-Watch: In der Welt ist vor kurzem ein Beitrag des Perlentaucher-Mitbegründers Thierry Chervel mit dem Titel „Hört endlich auf, über Wikipedia zu meckern!“ erschienen. Er meint: „Es ist immer einfacher, über die da oben zu schimpfen, als selbst eine Freiwillige Feuerwehr zu gründen.“ Statt Ihren Studenten den Umgang mit der Wikipedia zu verbieten, könnten Sie ja auch – z.B. im Rahmen eines Uni-Projekts – aktiv an der Verbesserung der Inhalte der Online-Enzyklopädie mitwirken. Was halten Sie von der Idee, mitzumachen? Glauben Sie Ihre Studenten würden an den (Macht-)Strukturen scheitern?

Prof. Krämer: Ich weiß von einigen Leuten, die versucht haben, Wikipedia-Einträge zu verbessern. Deren Einträge wurden einen Tag später wieder gelöscht. Da hilft nur eines: der vollständige Austausch der aktuellen Kontroll-Maffia gegen ein neutrales Gremium.

Wiki-Watch: Warum lassen Sie Ihre Studenten nicht selbst entscheiden, welche Quellen Sie für zuverlässig halten?

Prof. Krämer: Weil es zu den Aufgaben eines seriösen Hochschullehrers gehört, die Studis vor Schund zu schützen.

Wiki-Watch: Wie stehen die Kollegen an Ihrem Institut zu dem Wiki-Verbot? Bekommen Sie eher Zuspruch im akademischen Umfeld oder gibt es auch kritische Reaktionen auf Ihren Vorstoß?

Prof. Krämer: Nur Zuspruch. Das liegt aber wohl daran, dass die meisten mit mir befreundeten Kollegen und Kolleginnen auch Wirtschaftsliberale sind.

Das Interview führten wir am 19. und 20. Juli 2016 per E-Mail.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Wikipedia-Verbot an der TU Dortmund: Interview mit Statistik-Professor Walter Krämer

  1. Rainald Sensbach sagt:

    Ein Lob Herrn Prof. Dr. Krämer! Endlich befasst sich einmal ein
    profunder Sachkenner mit der vornehmlich linksgewirkten Wiki-Einseitigkeit

  2. Spannendes Interview mit längeren Fragen als Antworten … ScienceFiles in das Umfeld der Männerbewegung zu rücken, hat etwas, zumal die einzige Information, auf der man diesen Irrtum begehen kann, aus der Wikipedia stammt. Und so schließt sich dann der Kreis. … Aber vielleicht reicht der lange Arm der deutschen Männerbewegung ja bis nach Wales (nicht England, wie in der Wikipedia fälschlich behauptet).

  3. Wibke sagt:

    Was fehlt ist eine solide Studie, in der die gesellschaftspolitische Ausrichtung des durchschnittlichen Wikipedia-Vielschreibers erhoben wird.

Kommentare sind geschlossen.