US-Wahl: Auch bei Wikipedia tobt der Wahlkampf

Was hat Donald Trump über Frauen gesagt? Wie verfuhr Hillary Clinton mit E-Mails? Bei Wikipedia sollte es stehen, vollständig und sachlich dargestellt. Doch der Wahlkampf tobt auch dort, meint Adrian Lobe von der FAZ.

Der jüngste Artikel von Adrian Lobe bestätigt wieder einmal, was viele über Wikipedias Neutralität insbesondere bei politischen Themen ohnehin schon denken: Wikipedia hat inzwischen mit einer Enzyklopädie nur noch wenig gemein.

„Am Beispiel Trump sieh man, wie wenig Wikipedia inzwischen noch mit einer Enzyklopädie gemein hat. Der Autor spricht hier sehr freundlich von einem ‚zähen Ringen‘, das sich anhand der Versionsgeschichte des Artikels ablesen läßt, wenig später aber wird beim ‚Meinungskrieg der Roboter‘ deutlich, daß Wikipedia zunehmend zu einem Propagandaportal verkommt, dies aber überwiegend nicht durch die Bots, sondern durch zahlreiche Autoren des Portals, die stark 68er-lastig und missionarisch motiviert tätig sind.

So sehen Gewinner aus. Das Bild ist ein offizielles Foto ihres Büros. - By United States Department of State - Official Photo at Department of State page, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7526134.

Also toben Edit Wars, Nutzer werden mit dem Totschlagargument ‚Vandalismus‘ (= unliebsame Änderung) gesperrt, oft Artikel ganz vor Bearbeitung ‚geschützt’… ‚Faktentreue‘ wird dabei rabulistisch unterschiedlich interpretiert, indem bspw. deren Darstellung mit Kommentaren (ähnlich der Medienlandschaft) vermengt oder Quellen als unseriös und damit auch Inhalte diskreditiert werden: Orwells Neusprech und Doppeldenk!“ (Lesermeinung zum Artikel „Wikipedia: Gibt es zu Trump und Clinton noch Fragen?“ vom 11. Oktober 2016.)

Mit dem Foto fängt es an

Angelegt als offene Enzyklopädie, kann im Prinzip jeder Nutzer – ob angemeldet oder nicht – Inhalte auf Wikipedia ergänzen oder verändern. Das Problem liegt auf der Hand: Nicht jeder Nutzer hat ein rein enzyklopädisches Interesse. Einige haben eine klare politischen Agenda. Und so verwundert es nicht, dass Hillary Clinton gegenüber ihrem republikanischen Kontrahenten Donald Trump überwiegend in einer sehr positiven Art und Weise dargestellt wird, erläutert Lobe.

„Das geschieht nicht plump mit der Behauptung falscher Tatsachen, sondern subtil. Es beginnt mit der Bildauswahl: Trumps Wikipedia-Eintrag (Link zur englischen Wikipedia von uns) ist mit einem Foto versehen, das den republikanischen Präsidentschaftskandidaten linkisch lächelnd vor einem Mikrofon zeigt. Es wirkt unfreiwillig komisch, als wäre er ein Spaßkandidat. Hillary Clinton (Link von uns) strahlt dagegen präsidial auf ihrem Wikipedia-Eintrag vor einer amerikanischen Flagge, als wäre sie bereits im Amt.“ (Adrian Lobe, „Wikipedia: Gibt es zu Trump und Clinton noch Fragen?„, in FAZ vom 11. Oktober 2016.)

FAZ-Artikel im Faktencheck

Den Vorwurf einer manipulativen Bildauswahl müssen sich die Autoren der deutschsprachigen Wikipedia nicht gefallen lassen. Wie auf der Diskussionsseite zu Trumps Wiki-Eintrag nachzulesen ist, haben sich die deutschen Autoren bemüht, ein Foto auszuwählen, auf dem Trump „normal aussieht„. Ob ihnen das gelungen ist, sei dahingestellt.

Trump mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Konkurrentin Hillary Clinton strahlt dagegen als sei sie schon die Gewinnerin. By Michael Vadon - This file has been extracted from another file: Donald Trump August 19, 2015.jpg, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=42609338.

In der englischen Wikipedia ging der Motivauswahl eine wochenlange Diskussion voraus (siehe auch hier und hier). Lobes Vorwurf einer subtilen Manipulation des Lesers mittels Bildauswahl erscheint auf den ersten Blick zu überzeugen. Die kontroverse Diskussion darüber in der Wikipedia-Community zeichnet allerdings ein anderes Bild.

Dass sich die Autoren bei Konkurrentin Hillary Clinton für ein offizielles Foto ihres Büros entschieden haben, auf dem sie jetzt schon wie eine Siegerin strahlt, dürfte jedoch den Verdacht einer manipultiven Bildauswahl nicht gerade entkräften.

Die sozialistische Tageszeitung Neues Deutschland meint zum ganzen:

„Auch Trumps Foto ist Teil des digitalen Wahlkampfes. Während die deutschsprachige Version den republikanischen Kandidaten mit einem Lächeln abbildet, zeigt die englische Wikipedia ihn mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Konkurrentin Hillary Clinton strahlt dagegen in beiden Beiträgen, in der US-Version sogar von einem offiziellen Foto ihres Büros.“

Eindeutig unausgewogen ist hingegen die Quellenlage in Trumps englischem Artikel. Wie Adrian Lobe in seinem Beitrag zeigt, wird darin der konservative US-Sender „Fox News“ nur zehnmal als Quelle zitiert, 77 Mal wird hingegen auf Artikel der linksliberalen „New York Times“ verwiesen, die – so Lobe – eine Wahlempfehlung für Hillary Clinton abgegeben hat. Die konservative, Trump nahestehende Seite Breitbart, die laut Wikipedia zu den wichtigsten politischen Webseiten in den USA zählt, wird gar nicht erwähnt. Jedem Leser sollte klar sein: Mit der Quellenauswahl wird ein bestimmtes Bild erzeugt.

Deutliche Unterschiede zwischen deutscher und englischer Wikipedia

Was fällt an inhaltlichen Unterschieden auf? Hierzu haben wir uns zunächst die deutschsprachigen Einträge der Kandidaten angeschaut: Während sich bei Trumps deutschem Wikipedia-Eintrag ein ganzer Abschnitt akribisch mit der Kritik an seiner Person beschäftigt, muss der Leser bei Clintons Eintrag schon fast danach suchen. Gibt es aus deutscher Sicht an Hillary Clinton nichts zu kritisieren?

Clintons erfundene Bosnien-Geschichte zum Beispiel? Ihre umstrittenen Redehonorare, die Benghazi-Anhörungen, neuer Ärger bei der E-Mail-Affäre – all das wird entweder gar nicht oder nur äußerst knapp dargestellt, obwohl das – um beide Kandidaten bewerten zu können – von großer Bedeutung ist. Ausreichend seriöse Quellen, um sich mit den genannten Themen enzyklopädisch auseinanderzusetzen, gibt es jedenfalls.

„Bei ihrer Abschlussrede gestand sie Fehler im Bürgerkrieg in Libyen ein, und sie übernahm die Verantwortung bei dem Botschaftsangriff in Bengasi.“ – Trotz breitem Medienecho ist die Bengasi-Affäre der deutschen Wikipedia nur einen Satz wert.

Anders in der englischen Wikipedia: Hier werden Clintons falsche Bosnien-Geschichte, die Benghazi-Anhörung, die umstrittenen Redehonorare und die E-Mail-Kontroverse ausführlich dargestellt. Auch ihre politischen Positionen nehmen einen angemessenen Raum ein. Der kurze Abschnitt „Politische Position“ in der deutschen Ausgabe ist hingegen ein Witz und sollte dringend überarbeitet werden.

„Benghazi attack and subsequent hearings“ – Clintons Rolle in der Bengasi-Affäre hat in der englischen Wikipedia einen eigenen Abschnitt.

Hier zeigen sich deutliche Unterschiede in der Qualität zwischen der deutschen und der englischen Wikipedia.

Roboter bekriegen sich

Bei Wikipedia schreiben nicht nur Menschen. Zunehmend übernehmen auch Bots Aufgaben beim Online-Lexikon: Sie checken zum Beispiel automatisch, ob Artikel-Links noch funktionieren, prüfen, ob sich bestimmte Fakten geändert haben oder erkennen Vandalismus. Doch diese Roboter machen Fehler:

Wie Forscher des Oxford Internet Institute in der Studie „Even Good Bots Fight“ (nachzulesen in diesem PDF) herausgefunden haben, tobt zwischen diesen Softwareagenten teilweise ein erbitterter Krieg („bot war“).

„Da ändert also Bot A irgendeine Stelle in einem Artikel. Bot B macht die Änderung wieder rückgängig. Jetzt kommt Bot A irgendwann wieder auf den Artikel und ändert das wieder zurück.“ (Michael Gessat, DRadio Wissen, zitiert nach „Automatische Aktualisierung von Artikeln: Bei Wikipedia streiten Bots ums Rechthaben„, DRadio Wissen vom 22. September 2016.)

Die Forscher Milena Tsvetkova, Ruth García-Gavilanes, Luciano Floridi und Taha Yasseri kommen zu dem Ergebnis: Die Zahl der Bots, die rund um die Uhr auf Wikipedia aktiv sind, ist in den letzten Jahren exponentiell gewachsen. 2014 zeichneten sich diese automatisierten Skripte für 15 Prozent aller Änderungen verantwortlich. Tendenz steigend.

„As the population of bots active on the Internet 24/7 is growing exponentially, the quantity and quality of their interactions are equally escalating. An increasing number of decisions, options, choices, and services depend now on bots working properly, efficaciously, and successfully.“ (Seite zwei der Studie „Even Good Bots Fight“)

Bots, analysiert FAZ-Autor Lobe, stoßen in die Lücke der Autoren, die Wikipedia reihenweise von der Fahne gehen. Doch mit welchen Konsequenzen?

„Die Frage ist, was es für die Debattenkultur bedeutet, wenn sich Roboter einen Meinungskrieg liefern. Setzt dies eine automatisierte Endlosdebatte in Gang? Hat am Ende derjenige recht, der die besseren Algorithmen hat? Verkommen Debatten zu einer Computersimulation?“ (Adrian Lobe, „Wikipedia: Gibt es zu Trump und Clinton noch Fragen?„, in FAZ vom 11. Oktober 2016.)

Vorschnelles Urteil?

Bots sind perfekte Propagandawerkzeuge, die nicht müde werden, umsonst arbeiten und pausenlos aus allen Rohren feuern, so Lobe. Der FAZ-Autor behauptet, dass auch auf Trumps englischem Wikipedia-Artikel Bots in die Debatte eingegriffen haben.

„Am 1. September fügte ‚BD2412bot‘ auf dem Wikipedia-Artikel von Hillary Clinton unter der Überschrift ‚U.S. Secretary of State‘ einen Absatz hinzu, in dem er – belegt durch Quellen – auf Wikileaks-Enthüllungen verwies, was von dem ‚Anti-Vandalismus-Bot‘ ‚ClueBot NG‘ Stunden später wieder gelöscht wurde.“ (Adrian Lobe, „Wikipedia: Gibt es zu Trump und Clinton noch Fragen?„, in FAZ vom 11. Oktober 2016.)

Zu dieser Behauptung meldete sich der Journalist Torsten Kleinz via Twitter zu Wort:

„@faznet der Artikel ist falsch, die im letzten Absatz beschriebenen Bot-Änderungen gab es nicht.“

Auch unsere Recherche zeigt: Die genannte Änderung von „BD2412bot“ hat es laut Versionsgeschichte nicht gegeben. Zumindest nicht an besagtem 1. September 2016 – an diesem Tag gab es nur diese Änderung des Bots. Die FAZ hat auf unsere Bitte, hierzu Stellung zu nehmen, bislang nicht reagiert.

Fest steht dennoch: Neben menschlichen Autoren sind bei Wikipedia zunehmend Bots aktiv. Welche Konsequenzen das im Einzelnen hat – und ob sich diese kleinen Softwareschnipsel irgendwann zu Propaganda-Werkzeugen pervertieren lassen – ist noch völlig unklar. Die Forschung dazu steht noch ganz am Anfang. Eins können die britischen Forscher aber jetzt schon sagen: Bots in der Wikipedia verhalten sich genauso unberechenbar und ineffizient wie Menschen. Das ist schon fast wieder beruhigend.

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