Vorbild Italien: Jimmy Wales und US-Wikipedianer drohen mit Wikipedia-Sperre aus Protest gegen den umstrittenen „Stop Online Piracy Act“


Am heutigen 16. Dezember tagt erneut der Justizausschuss des amerikanischen Kongresses, das U.S. House Judiciary Committee. Auf dem Tisch liegt ein hoch umstrittener Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Piraterie und zum Schutz von Urheberrechten im Internet, der Stop Online Piracy Act, kurz SOPA, H.R. 3261.

Er soll Rechteinhabern schnelle Eingriffsmöglichkeiten ohne gerichtliche Kontrolle ermöglichen: etwa die Verpflichtung von Suchmaschinen und Providern, den Zugang zu bestimmten Websites zu sperren. Die amerikanischen Behörden erhielten die Befugnis, den Zugang etwa zu .com, .net, und .org-Domains zu blockieren. Betroffen wären nicht nur unzählige Websites in den USA, sondern weltweit, auch außerhalb des Geltungsbereichs des US-amerikanischen Rechts. Vor allem betroffen könnten in den USA gehostete Suchmaschinen, soziale Netzwerke oder Blog-Plattformen und die Wikipedia sein, die verpflichtet werden könnten, internationale – eigentlich dem amerikanischen Recht nicht unterliegende – Inhalte proaktiv zu kontrollieren, zu blockieren oder zu löschen. Auch Zahlungsservices wie PayPal und Visa könnten verpflichtet werden, Zahlungen an Websitebetreiber zu stoppen, obwohl diese nie rechtswidrig gehandelt hätten. Dies ohne gerichtliche Kontrolle, eine Mitteilung des Rechteinhabers soll zunächst genügen. Dabei spielt der Gesetzentwurf mit unbestimmten Rechtsbegriffen, die erhebliche Auslegungsfreiheit lassen.

Damit drohten erhebliche Eingriffe in die Freiheit und Offenheit des Internets, und letztlich in den free flow of information als wesentliches Prinzip der Informationsfreiheit im Völkerrecht.

Die Kritik am Stop Online Piracy Act ist groß. Schon im Vorfeld des EU-USA-Gipfels am 28. November 2011 wandte sich das Europäische Parlament in einem fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag eindringlich an die amerikanische Regierung und forderte sie auf:

„(Das Europäische Parlament…) (25.) unterstreicht, dass die Integrität des weltweiten Internets und die Kommunikationsfreiheit geschützt werden müssen, indem von einseitigen Maßnahmen zum Entzug von IP-Adressen oder Domänennamen abgesehen wird.“

Amerikanische und internationale Bürgerrechtsorganisationen wie die Electronic Frontier Foundation und die Pioniere freier Inhalte von Creative Commons laufen Sturm gegen die Gesetzesinitiative.

Wikipedia-Gründer Jimmy Wales droht mit der ultima ratio allen digitalen Protests: dem Blackout. Um maximalen Druck auf die amerikanische Regierung auszuüben, die Initiative fallen zu lassen, könnte Wikipedia in den USA offline gehen. Selbst ein Blackout der gesamten englischsprachigen Wikipedia wird diskutiert. Wales bittet dazu auf seiner eigenen Benutzerseite derzeit um ein unverbindliches Stimmungsbild. 87 Prozent Zustimmung zur Sperrung registriert der Technolog von MSNBC.

Es ist ein Schritt, den vor kurzem die italienische Wikipedia bereits gegangen ist. Wiki-Watch berichtete darüber. Zwei Tage lang war der mit mehr als 840.000 Artikeln viertgrößte Sprachraum der Webenzyklopädie offline und leistete mit dieser Protestaktion einen großen Beitrag dazu, dass eine Gesetzesinitiative der Regierung Berlusconi, die inzwischen freilich Geschichte ist, im Parlament krachend scheiterte. Mit dem Argument, Persönlichkeitsrechte besser schützen zu wollen, sollten Websitebetreiber verpflichtet werden ohne jede gerichtliche Prüfung ein quasi uneingeschränktes Gegendarstellungsrecht auf ihren Webseiten einzuführen. Selbst Korrekturen an Internetinhalten sollten von sich betroffen Fühlenden ohne weitere Prüfung verlangt werden können. Davon wären Zeitungen im Netz betroffen gewesen, Blogs – und Wikipedia. Das Gesetz kam nicht. Und die Wikipedia-Community feierte ihren Erfolg.

Jimmy Wales lobt den Streik der italienischen Wikipedianer und hält einen noch größeren Einfluss durch einen ähnlichen Schritt in den USA für gut möglich. Gleichzeitig schreibt er vorsichtiger, einen solchen Schritt habe es in der englischen Wikipedia noch nie gegeben – er sei ein „very very big deal“.

Eine ausführliche Einschätzung des Wikimedia-Justitiars Geoff Brigham findet sich im Wikimedia-Blog.

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