Wikipedia Gender Gap Revisited

Dass die Wikipedia an einer „Überdosis Testosteron“ leidet, gilt als allgemein bekannt. Studien und Umfragen scheinen dies immer wieder zu belegen. So gaben bei einer Umfrage unter Wikipedianern in 2012 nur 9 Prozent der Befragten an weiblich zu sein.

Der Hauptgrund für das Gender-Problem bei Wikipedia ist schnell zur Hand: In einer „männlich dominierten Adminschaft in der männerdominierten Wikipedia“ fühlen sich Frauen systematisch ausgegrenzt und verlieren das Interesse mitzumachen.

Wikipedia leide unter einem geschlechtsbezogenen Verzerrungseffekt („Gender Bias„). Einfach gesagt: Die Enzyklopädie wird von einer männlichen Sichtweise dominiert. Männer sind der Standard. Frauen sind fast unsichtbar.

Wie verhärtet die Fronten sind, förderte die Sexismus-Debatte im Mai 2013 zutage. Teils aggressive Maskulisten und männliche Provokateure sagten “Frauenrechtlern” den Kampf an und befeuerten die Diskussion immer wieder von Neuem. Extrempositionen prallten mit voller Wucht aufeinander und erzeugten ein Zerrbild.

„Quatsch mit den 9 Prozent“

Marcus Cyron“ zweifelte als einer der Ersten die offiziellen Zahlen zum Frauenanteil in Wikipedia an. Mit dem Satz „Ich bin es leid, den Quatsch mit den 9% zu lesen. Veraltete Zahlen, noch dazu aus einer alles andere als repräsentativen Umfrage.“ kommentierte der langjährige Wikipedianer einen Beitrag auf dem Wikimedia Blog zur Sexismus-Debatte.

Die aktuelle Studie „The Wikipedia Gender Gap Revisited“ scheint diesen Zweifel zu bestätigen. Im Kern zeigt die Studie, dass die zugrunde liegenden „Opt-In“-Umfragen ungeeignet sind, den Frauenanteil in Wikipedia zu bestimmen.

„Opt-In“-Umfragen sind solche, an den die Befragten aus eigenem Antrieb teilnehmen. Dieses Verfahren ist weit verbreitet, erzeugt aber verzerrte Ergebnisse.

Die Umfrage von 2008

Die Wissenschaftler um Benjamin Mako Hill vom MIT und Aaron Shaw vom Department of Communication Studies der Northwestern University schauten sich eine von Wikimedia in Auftrag gegebene Umfrage zur Frauenquote in Wikipedia noch einmal genauer an.

Bei dieser Umfrage von 2008 befragten Forscher der Universität der Vereinten Nationen in Maastricht („UNU-MERIT„) etwa 170.000 Nutzer und Autoren verschiedener Sprachversionen der Wikipedia via Sitenotice.

Die Umfrage ergab, dass weniger als 13 Prozent der aktiv Schreibenden weiblich sind. Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Studie von 2011. Danach sind gerade mal 8,5 Prozent der Autoren weiblich.

Zwei Studien zur deutschsprachigen Wikipedia bestätigen das krasse Missverhältnis. Nach einer Umfrage der TU Ilmenau von 2009 sind nur sechs Prozent der Autoren Frauen. Forscher der Universität Würzburg ermittelten unter 106 aktiven Wikipedianern einen Frauenanteil von 10 Prozent.

Was dran ist an den Zahlen

Diese Zahlen sind in den Medien weit verbreitet worden. Doch wie repräsentativ sind sie? Die Autoren der Studie kritisieren im Wesentlichen zwei Dinge an der Umfrage von 2008: die sehr geringe Rücklaufquote und die Überrepräsentation von bestimmten Gruppen.

Um die Rücklaufquote beurteilen zu können, beauftragten Hill und Shaw die US-amerikanische Internet-Marktforschungsfirma Comscore. Nach deren Schätzungen stellen die Befragten nur etwa 0,4 Prozent der 45 Millionen unique visitors von Wikipedia dar.

Auch das Auswahlverfahren steht in der Kritik. Es gäbe gut belegte Zweifel in der Umfrageforschung, dass das sog. self-selected sample, die „sich selbst wählende Stichprobe„, zu nicht repräsentativen Ergebnissen führt, weil bestimmte Untergruppen der Befragten wahrscheinlicher teilnehmen als andere.

Beispielsweise waren 24,3 Prozent der Teilnehmer russische Muttersprachler, obwohl die russischsprachige Wikipedia nur 2,5 Prozent aller Leser repräsentiert. Die Studie zeigt zudem, dass der Anteil der Autoren, die weiblich, verheiratet oder Eltern sind, unterbewertet wurde, während der Anteil der Studenten überbewertet wurde.

Forscher revidieren Schätzungen zum Frauenanteil

Kritik gut und schön. Doch wie hoch ist der Frauenanteil der Autoren in Wikipedia nach den revidierten Schätzungen der Forscher?

Um das herauszufinden, griffen die Wissenschaftler auf demografische Daten aus einer repräsentativen Telefonumfrage des Pew Research Center Internet & American Life Project zurück. Das Meinungsforschungsinstitut mit Sitz in Washington schätzt, dass sich die Leserschaft von Wikipedia in den USA gleichmäßig zwischen Männern und Frauen verteilt. Im Gegensatz dazu waren nach der von Wikimedia in Auftrag gegebenen Umfrage von 2008 nur 39,9 Prozent der Leser weiblich.

Hill und Shaw kombinierten die „statistischen Zwillinge“ vom Pew Research Center mit denen der UNU-MERIT und entwickelten anhand der „propensity scores„-Methode ein Modell, um die Verzerrungseffekt der Umfrage zu minimieren.

16 Prozent der Autoren sind weiblich

Mit diesem Modell kommen die Forscher zu korrigierten Schätzungen. Danach ist der Anteil der erwachsenen weiblichen Autoren 27,5 Prozent höher als in der ursprünglichen Studie berichtet (22,7 Prozent gegenüber 17,8 Prozent). Der Anteil der weiblichen Autoren insgesamt ist 26,8 Prozent höher (16,1 Prozent gegenüber 12,7 Prozent).

Sich jetzt entspannt zurückzulehnen – nach dem Motto: ist doch alles halb so schlimm – wäre verfehlt. Denn auch die Studie „Wikipedia Gender Gap Revisited“ bestätigt das männliche Übergewicht bei den aktiven Autoren in Wikipedia.

Fazit

Die Studie zeigt exemplarisch, wie schlecht die Datenqualität im Hinblick auf bestimmte Details der Wikipedia ist. Umfragenersteller im Bereich Web-Communities sollten die Ergebnisse der Studie analysieren und bei künftigen Erhebungen berücksichtigen, um einigermaßen akzeptable Ergebnisse zu produzieren.

Für Sue Gardner, Noch-Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation, steht das Thema Gender Gap auf der Agenda ganz oben. Der Frauenanteil soll bis 2015 auf 25 Prozent erhöht werden. Nimmt man die hier vorgestellte Studie ernst, muss sich Wikimedia ein weit höheres Ziel zur Anhebung der Frauenquote setzen.

Anmerkung: Seit Kurzem wird zu Forschungszwecken neuen Benutzern beim Neuanlegen eines Benutzeraccounts eine Frage nach dem Geschlecht gestellt. Diese kann auch unbeantwortet bleiben.

 

Im Fall von Wikipedia und dem WMF / UNU-MERIT Umfrage, finden wir Hinweise darauf, dass die Anteile der Redakteure, weiblich, verheiratet, oder die Eltern sind, wurden unterschätzt, während die Anteile von Immigranten und Studenten haben überschätzt worden. Wir finden Unterstützung bei der inhaltlichen Erkenntnis, dass weibliche Redakteure unterrepräsentiert sind – aber weniger als bei früheren Erhebungen vorgeschlagen haben. Obwohl die grundlegenden Imbissbuden in Bezug auf die Unterrepräsentation von Frauen in der WMF / UNU-MERIT Umfrage intakt bleiben, bestimmte politische Entscheidungen, wie strategisches Ziel der Wikimedia Foundation, weibliche Redaktion auf 25% zu erhöhen, können Sie im Lichte dieser bereinigten angehoben werden Schätzungen. Darüber hinaus sollten künftige Erhebungen von Wikipedia Leser und Redakteure versuchen, die zugrunde liegenden Quellen der Voreingenommenheit in dieser Studie ermittelt wurden.

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