Impressumspflicht für verifizierte Benutzer in der Wikipedia?

Die sozialen Netzwerke Twitter, Facebook und Google+ sind längst ein Instrument von Marketing und PR geworden. Einer Umfrage des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft e.V. von 2012 zufolge nutzen bereits 78 Prozent der deutschen Unternehmen Social Media für strategische Zwecke.

Auch in der Wikipedia sind zahlreichen Unternehmen aktiv. Die Online-Enzyklopädie ist Gold wert für die Strategen in den Marketing-Abteilungen der großen Firmen. Die Erstellung und Optimierung von Wikipedia-Seiten wird daher zunehmend von spezialisierten Agenturen wie FleishmanHillard oder der Aufgesang Agenturgruppe übernommen.

Subtile Einflussnahme zu PR-Zwecken

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Wikipedia als Werbeplattform missbraucht wird. Doch Unternehmen, die dabei erwischt werden, haben schnell einen schlechten Ruf und riskieren rechtliche Konsequenzen.

Weit problematischer ist die subtile Einflussnahme auf Wikipedia zu PR-Zwecken. Immer wieder versuchen Unternehmen, Einträge über sich oder ihre Produkte zu schönen. Microsoft, Chevron-Texaco, Siemens und der Ölkonzern BP sind nur einige von vielen Unternehmen, die versucht haben, ihr Image aufzupolieren, indem sie Wikipedia manipulierten.

Wissen, wer dahinter steckt

Verhindern lässt sich das durch Transparenz. Wichtig ist, dass diese Praxis von jedem durchschaut werden kann. Leser der Wikipedia müssen in der Lage sein einzuschätzen, wie seriös der Beitrag zu einem Unternehmen ist. Sind die Informationen neutral? Oder hat es der Leser mit versteckter Promotion zu tun?

Um Transparenz herzustellen, arbeiten viele Unternehmen mit verifizierten Benutzern. Die Benutzerverifizierung gibt jedem Autoren die Möglichkeit, seine Identität gegenüber der Community zu beweisen.

Derzeit werden 1.330 Seiten in der Kategorie für verifizierte Benutzer angezeigt. Nicht alle Konten sind Unternehmen zugeordnet. Auch Einzelpersonen können sich verifizieren lassen.

Impressumspflicht für verifizierte Benutzer?

Doch reicht ein verifiziertes Konto wirklich aus, um Transparenz und damit Vertrauen zu schaffen? Sollten Unternehmen, die verifizierte Konten in Wikipedia nutzen, auf ihren Benutzerseiten zusätzliche Angaben hinterlassen? Besteht möglicherweise sogar die Pflicht, auf verifizierten Unternehmenskonten ein Impressum anzugeben?

Wie das Landgericht Aschaffenburg in seinem Urteil vom 19. August 2011 betont, besteht für Unternehmen auf ihren Seiten bei sozialen Plattformen wie Facebook und Twitter eine Impressumspflicht, wenn diese Seiten zu Marketingzwecken genutzt werden und nicht nur eine rein private Nutzung vorliegt.

Lassen sich diese Grundsätze auf verifizierte Benutzerkonten übertragen?

Die sog. Anbieterkennzeichnungspflicht ist in § 5 Telemediengesetz (TMG) geregelt. Diensteanbieter haben nach dieser Vorschrift für geschäftsmäßige, in der Regel gegen Entgelt angebotene Telemedien bestimmte Informationen über sich – z.B. Name und Adresse – leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar zu halten.

§ 5 TMG bezieht sich allein auf geschäftsmäßige Telemedien von Dienstanbietern. Im Mittepunkt stehen daher zwei Fragen: Sind die Benutzerseiten von verifizierten Unternehmens-Accounts Dienstanbieter? Was bedeutet Geschäftsmäßigkeit?

Der Begriff Diensteanbieter ist in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TMG legaldefiniert. Dienstanbieter sind danach natürliche und juristische Personen, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithalten oder den Zugang zur Nutzung vermitteln.

Die Definition ist sehr weit gefasst. Auch derjenige, der selbst nicht über einen eigenen Server verfügt, sondern fremde Speicherkapazitäten nutzt, bietet Teledienste an, sofern er über den Inhalt und das Bereithalten des Dienstes bestimmen kann.

Diensteanbieter ist somit nicht nur der Portalbetreiber selbst. Auch Anbieter, die auf von Dritten betriebenen Plattformen gewerblich tätig sind (Beispiel: Verkäufer auf eBay), können Diensteanbieter sein. Entscheidend ist die kommunikationsbezogene Eigenständigkeit der Unterseiten innerhalb des Gesamtauftritts.

Nehmen wir das Beispiel Facebook. Inhaber von Facebook-Profilen sind entweder natürliche oder juristische Personen. Sie halten ein eigenes Telemedium bereit, auf dem sie ein eigenständiges Informationsangebot anbieten – das Profil. Sie sind daher klar als Diensteanbieter zu qualifizieren.

Ist die Benutzerseite bei Wikipedia mit einem Facebook-Profil vergleichbar?

Jeder Benutzer, der sich mit einem Benutzernamen in der Wikipedia anmeldet, erhält eine Benutzerseite, die im Wesentlichen frei gestaltet werden kann. Die Benutzerseite dient vor allem der Kommunikation mit anderen Usern.

Jede Benutzerseite hat eine Diskussionsseite, auf der Nachrichten hinterlassen und Kommentare ausgetauscht werden können. Auf den Benutzerseiten hat traditionell der jeweilige Benutzer die Gestaltungshoheit.

Auch Benutzer von Facebook verfügen über Profilseiten, auf denen sie sich vorstellen können. Auf der Pinnwand des Profils können Besucher Nachrichten hinterlassen („posten“) oder Anmerkungen veröffentlichen.

Doch anders als Facebook ist Wikipedia kein Provider für Homepages oder Webspace. Die Benutzerseiten stehen im Dienst der Enzyklopädieerstellung und -lektüre. Ob die sie eine hinreichende kommunikationsbezogene Eigenständigkeit aufweisen, ist daher eher zweifelhaft.

Gehen wir für den Moment dennoch davon aus, dass es sich bei den Benutzerseiten innerhalb der Wikipedia um eigenständige Telemedien handelt. Fraglich bliebe, ob das  Telemedium geschäftsmäßig ist und „in der Regel gegen Entgelt“ angeboten wird.

Das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit wird im TMG nicht definiert. Nach der überwiegenden Meinung handelt ein Dienstanbieter geschäftsmäßig, wenn er Telemedien aufgrund einer nachhaltigen Tätigkeit mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht erbringt. Als nachhaltig wird eine Tätigkeit angesehen, wenn sie auf einen längeren Zeitraum ausgerichtet ist und sich nicht auf einen Einzelfall beschränkt.

So gesehen werden auch Angebote ohne Gewinnerzielungsabsicht von der Impressumspflicht erfasst. Voraussetzung ist jedoch, dass diese Angebote als eine nachhaltige Tätigkeit anzusehen sind.

Unternehmen mit einem verifizierten Benutzerkonto kann unterstellt werden, dass sie ihre Mitarbeit in der Wikipedia nicht auf einen Einzelfall beschränken wollen. Denn für eine einmalige Bearbeitung müssten sie sich nicht anmelden.

Allerdings wird das Erfordernis der Geschäftsmäßigkeit in § 5 Abs. 1 TMG durch die Formulierung „in der Regel gegen Entgelt“ konkretisiert. Sinn und Zweck der Regelung ist es, all diejenigen Anbieter zu erfassen, die ihre Website als Einstiegsmedium begreifen, mittels dessen sie dem Kunden im Ergebnis eine entgeltliche Leistung anbieten. Das ist jedenfalls bei Unternehmen der Fall, die über ihre Internetseite Produkte oder Leistungen des Unternehmens anpreisen.

Facebook bietet nicht nur Profile für Privatpersonen an, sondern auch „Fanseiten“ für Unternehmen und Marken. Diese Seiten werden zu Marketing- und PR-Zwecken genutzt, in dem sie den Bekanntheitsgrad des Unternehmens oder der Marke steigern. Es fällt schwer, Seiten wie etwa die von Microsoft nicht als geschäftsmäßig zu bezeichnen.

§ 5 TMG passt nicht auf Wikipedia

Im Falle von Wikipedia lässt sich eine Geschäftsmäßigkeit nicht so leicht begründen. Fakt ist, dass Unternehmens-Accounts in der Wikipedia für Social-Media-Marketing bzw. Public-Relations-Aktivitäten – und damit quasi-geschäftlich – genutzt werden.

Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass die Marketingmaßnahmen innerhalb der Wikipedia nicht auf den Benutzerseiten der Unternehmen selbst stattfinden. Die Struktur der Wikipedia unterscheidet sich ganz erheblich von der Struktur sozialer Netzwerke.

Auf Facebook und Twitter treten Unternehmen und potentielle Kunden in direkten Kontakt – und zwar über ihre offizielle Seite. Die Firmen sammeln so Anregungen und Feedback, betreiben Marktforschung und machen Werbung für ihre Produkte und Dienstleistungen.

Ganz anders ist die Situation auf den Benutzerseiten verifizierter Unternehmen in der Wikipedia. Zwar ist auch hier ein direkter Kontakt zwischen den Benutzern möglich. Doch während Facebook und Twitter darauf aus sind, Menschen miteinander zu vernetzen, steht bei Wikipedia die enzyklopädische Arbeit im Vordergrund.

Anders als bei einer „Fanseite“ auf Facebook ist die Benutzerseite eines Unternehmens in Wikipedia gerade kein Einstiegsmedium, um dem Kunden mittels Werbung im Ergebnis eine entgeltliche Leistung anzubieten.

§ 5 TMG lässt sich daher nicht auf Wikipedia anwenden. Die Norm passt einfach nicht zur Struktur des Crowdsourcing-Projekts. Doch die Nutzer von Wikipedia verdienen mindestens den gleichen Schutz wie Nutzer von Facebook und Twitter.

Zusätzliche Angaben für Unternehmen

Unternehmen, die Wikipedia als Marketing-Tool benutzen, sollten daher dazu verpflichtet werden, auf ihren Benutzerseiten zusätzliche Angaben über sich zu hinterlassen.

Sehr vorbildlich ist der offizielle Wikipedia-Account von Microsoft Deutschland. Hier erfährt der Nutzer wesentlich mehr als bei vielen anderen Unternehmen:

„Dies ist der offizielle Account für Microsoft Deutschland, erstellt von Annabelle Atchison, Microsoft Deutschland Social Media Manager, betreut von Annabelle und Thomas Homolka, Communications Consultant Microsoft Deutschland GmbH. Wir wollen mit unserer Mitarbeit bei Wikipedia keine „Werbe“-Selbstdarstellung leisten, sind aber für jeden Hinweis dankbar, wo uns das nicht zu 100% gelingt. Unser Anliegen ist es, mit unserem Wissen zu verschiedenen Artikeln beizutragen und sie so zu bereichern.“

Reicht das aus? Nein! Im Interesse des Verbraucherschutzes und der Transparenz müssen auf jeder Benutzerseite eines Unternehmens, das sich aktiv an der Wikipedia beteiligt, folgende zusätzliche Angaben gemacht werden:

  • Name des Unternehmens (bzw. der PR-Agentur)
  • Anschrift sowie der Name des Vertretungsberechtigten (Vorstand, Geschäftsführer)
  • mindestens eine E-Mail-Adresse zur Kontaktaufnahme
  • Informationen zur Identität des Benutzers und seiner Position innerhalb des Unternehmens

Eure Meinung?

Jetzt seid Ihr gefragt. Was ist Eure Meinung zum Thema Kennzeichnungspflicht in der Wikipedia? Sollten Unternehmen gezwungen werden, zusätzliche Angaben auf ihren Benutzerseiten zu machen. Oder soll alles so bleiben, wie es jetzt ist?

Was sagen die Verantwortlichen bei Wikimedia? Was sollten Unternehmen und Agenturen tun, um Transparenz in der Wikipedia zu stärken?

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