Die englische Wikipedia ist am 18. Januar offline: Protest gegen die US-Gesetzesvorhaben „SOPA“ und „PIPA“


Die Wikipedia-Community macht Ernst: Die englischsprachige Wikipedia, das Herz der Enzyklopädie mit über 3,8 Millionen Artikeln und – allein gestern – 212 Millionen Nutzern, wird morgen für 24 Stunden offline sein. Der Blackout aus Protest gegen zwei heftig umstrittene amerikanische Gesetzesvorhaben erfolgt um 6 Uhr mitteleuropäischer Zeit am Mittwoch, 18. Januar 2012. Die neueste Entwicklung, etwa zu kollaborativ erarbeiteten Protesttexten und dem Startseiten-Layout der offline geschalteten Wikipedia, lässt sich hier verfolgen.

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wird die englischsprachige Wikipedia damit nicht mehr nur eine neutrale Wissenssammlung sein, sondern politisch Position beziehen. Denn nach Meinung eines großen Teils der Wikipedia-Community, der Wikimedia-Stiftung und vieler amerikanischer und europäischer Bürgerrechtsorganisationen sind der Stop Online Privacy Act (SOPA) und der Protect IP Act (PIPA) geeignet, die Freiheit und Offenheit der Kommunikation im Internet in den Vereinigten Staaten, aber auch international einzuschränken. Mehr als 1800 Wikipedianer beteiligten sich an der Diskussion um mögliche Protestaktionen in den vergangenen drei Tagen. Damit handelt es sich um die mit Abstand größte Beteiligung an einer Debatte, die es in der Wikipedia bisher gab.

Das Timing des Protests scheint zu stimmen. Der Mehrheitsführer der Republikaner im US-Kongress, Eric Cantor, soll angekündigt haben, jedenfalls in der derzeitigen Form den Stop Online Piracy Act nicht zur Abstimmung vorzuschlagen. Am Samstag bereits hatten sich drei hochrangige Vertreter der US-Regierung in einer offiziellen Erklärung des Weißen Hauses auf zwei von insgesamt über 100.000 Amerikanern gezeichnete Petitionen von den Vorhaben distanziert.

Auch in Wikipedia-Artikeln werden beide Gesetzesentwürfe ausführlich dokumentiert. Für den Stop Online Piracy Act interessierten sich gestern beinahe 400.000 Wikipedia-Nutzer. Wiki-Watch bewertet den von 30 Autoren in 680 Bearbeitungen und mit 235 Belegen versehenen Artikel als zuverlässige Quelle, dies gilt ebenso für den deutschen, natürlich wesentlich kürzeren Wikipedia-Eintrag.

Beide Gesetzesentwürfe sollen der Bekämpfung von Piraterie und dem Urheberrechtsschutz im Internet dienen. Der SOPA wird derzeit im US-Kongress, der PIPA im US-Senat verhandelt. Die Gesetzesvorhaben sollen Rechteinhabern schnellere Eingriffsmöglichkeiten ohne gerichtliche Kontrolle ermöglichen: etwa die Verpflichtung von Suchmaschinen und Providern, den Zugang zu bestimmten Websites zu sperren. Die amerikanischen Behörden erhielten die Befugnis, den Zugang etwa zu .com, .net, und .org-Domains zu blockieren. Betroffen wären nicht nur unzählige Websites in den USA, sondern weltweit, auch außerhalb des Geltungsbereichs des US-amerikanischen Rechts.

Vor allem betroffen könnten in den USA gehostete Suchmaschinen, soziale Netzwerke oder Blog-Plattformen und die Wikipedia sein, die verpflichtet werden könnten, internationale – eigentlich dem amerikanischen Recht nicht unterliegende – Inhalte proaktiv zu kontrollieren, zu blockieren oder zu löschen. Auch Zahlungsservices wie PayPal und Visa könnten verpflichtet werden, Zahlungen an Websitebetreiber zu stoppen, obwohl diese nie rechtswidrig gehandelt hätten. Dies geschähe ohne gerichtliche Kontrolle, eine Mitteilung des Rechteinhabers soll zunächst genügen. Dabei spielt der Gesetzentwurf mit unbestimmten Rechtsbegriffen, die erhebliche Auslegungsfreiheit lassen.

Die Kritik am Stop Online Piracy Act ist auch in Europa groß. Schon im Vorfeld des EU-USA-Gipfels am 28. November 2011 wandte sich das Europäische Parlament in einem fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag eindringlich an die amerikanische Regierung und forderte sie auf:

„(Das Europäische Parlament…) (25.) unterstreicht, dass die Integrität des weltweiten Internets und die Kommunikationsfreiheit geschützt werden müssen, indem von einseitigen Maßnahmen zum Entzug von IP-Adressen oder Domänennamen abgesehen wird.“

Der vorübergehende Blackout ist ein Schritt, den vor kurzem die italienische Wikipedia gegangen ist. Wiki-Watch berichtete darüber. Zwei Tage lang war der mit mehr als 840.000 Artikeln viertgrößte Sprachraum der Webenzyklopädie offline und leistete mit dieser Protestaktion einen großen Beitrag dazu, dass eine Gesetzesinitiative der Regierung Berlusconi, die inzwischen freilich Geschichte ist, im Parlament scheiterte. Mit dem Argument, Persönlichkeitsrechte besser schützen zu wollen, sollten Websitebetreiber verpflichtet werden ohne jede gerichtliche Prüfung ein quasi uneingeschränktes Gegendarstellungsrecht auf ihren Webseiten einzuführen. Selbst Korrekturen an Internetinhalten sollten von sich betroffen Fühlenden ohne weitere Prüfung verlangt werden können. Davon wären Zeitungen im Netz betroffen gewesen, Blogs – und Wikipedia. Das Gesetz kam nicht. Und die Wikipedia-Community feierte ihren Erfolg.

Dies ist eine aktualisierte und erweiterte Version unseres Blogbeitrags vom 16. Dezember. Eine ausführliche Einschätzung und Kommentierung des Wikimedia-Justitiars Geoff Brigham findet sich hier.

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1 Antwort zu Die englische Wikipedia ist am 18. Januar offline: Protest gegen die US-Gesetzesvorhaben „SOPA“ und „PIPA“

  1. Egypt sagt:

    Free knlowegde like this doesn’t just help, it promote democracy. Thank you.

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