Die erste Umfrage unter allen Wiki-Admins

An der Wissenspforte

Was bewegt die Wikipedia-Admins? Wiki-Watch fragte nach

Man kennt diesen Moment. Die Gegensprechanlage summt, hinter der Glasscheibe regt sich etwas. Pförtner sind manchmal freundlich, manchmal mürrisch. Drücken sie aufs Knöpfchen, kommt man hinein oder man bleibt draußen. Bei der Wikipedia ist es ähnlich. 281 Pförtner wachen über die rund 1,15 Millionen deutschsprachigen Artikel der weltgrößten Online-Enzyklopädie. Ihre Gegensprechanlage sind die Diskussionsseiten. Drücken sie auf ihre Knöpfe, wird debattiert, geschlichtet, gelöscht. Und die Stimmungslage? Manchmal freundlich, manchmal mürrisch.

Die 281 gewählten Wikipedia-Admins sind Gatekeeper des Weltwissens auf deutsch. Ihre Bedeutung für die Wikipedia ist enorm. Deshalb hat die Arbeitsstelle Wiki-Watch der Europa-Universität Viadrina nachgefragt: Warum sind sie Admin geworden? Was ist ihnen wichtig? Was muss sich in der Wikipedia ändern?

261 der 281 Admins konnte Wiki-Watch anfragen. Andere lehnten vorher ab oder waren nicht erreichbar. Von den Angefragten antworteten 56, ein Rücklauf von 21,4 Prozent. Die gesamten Umfrageergebnisse sind auf Ergebnisse www.wiki-watch.de abrufbar.

140 Minuten Männerjob

Die befragten Wikipedianer sind durchschnittlich etwa 40 Jahre alt und seit 2004 in der Wikipedia aktiv. 92 Prozent der teilnehmenden Admins sind Männer. 45 Prozent haben mindestens ein Diplom, Magister oder Staatsexamen, 13 Prozent haben promoviert. Die übrigen besitzen zumindest Abitur oder Fachabitur. Das politische Spektrum, dem sich die Hälfte der Admins zuordnete, ist weit gefächert, aber mehrheitlich linksliberal mit grünen Zügen. Einer bezeichnete sich als: „Konservativ, sozial, heimatverbunden, umweltorientiert, Wirtschaftsfreund, Globalisierungskritiker, am Christentum zweifelnd, islamkritisch, kapitalismusskeptisch.“ Ein anderer als „wertkonservativer, linksliberaler, grüner Sozialist.“ Ihre Glaubensrichtung gaben 29 der 56 teilnehmenden Admins an. Davon bezeichneten sich 13 als Christen (9 evangelisch, 4 katholisch), die übrigen u.a. als Atheisten (6), Agnostiker (3) und Evolutionisten (2). Durchschnittlich 140 Minuten widmen sich die Admins derzeit täglich der Wikipedia, davon durchschnittlich etwa die Hälfte der Zeit für Admin-, die andere Hälfte für Editor-Tätigkeiten. Vom Verein Wikimedia Deutschland e.V. fühlt sich die Mehrzahl nicht vertreten, er sei nicht die Organisation der Admins. Manche kritisieren Intransparenz und Streitigkeiten innerhalb des Vereins.

Die Suche nach dem Community-Konsens

Das Idealbild des Admins sei jenes des „Umsetzers des Communitywillens“, schreibt ein Admin. Wo es diesen nicht gebe, müsse der Admin den „Stichentscheid fällen“. Und dies habe seinen Reiz. Ähnlich drücken zahlreiche Admins ihre Motivation aus: die Suche nach dem Community-Konsens, die Entscheidung in kontroversen Diskussionen um das Löschen einzelner Artikel, die Lösung komplizierter „Edit Wars“. Sie wollen „Unsinn aus Wikipedia heraushalten“. Andere suchen neue Herausforderungen im Bereich der technischen Entwicklung und Programmierung.

62 Prozent der ehrenamtlich tätigen Admins macht ihre Tätigkeit Spaß, bemerkenswerten 38 Prozent macht sie folglich keinen Spaß. 73 Prozent wollen die Wikipedia besser machen. 51,8 Prozent wollen Vandalismus aus Wikipedia heraushalten, 32 Prozent „Edit Wars“ stoppen. Nur 5,3 Prozent halten die Admin-Community für „cool“. Viele lehnen jedoch eine Kategorisierung ihrer Motivation ab und sehen einen Mix aus vielen Motiven.

Der Mehrheit der Admins gefallen die klassischen Admin-Tätigkeiten: „Löschen, Sperren, Schützen.“ Das Wort „Löschen“ prägt die Mehrheit der Antworten. Andere wollen auch „eigentlich Sinnvolles wiederherstellen, das von anderen Admins als belanglos angesehen wurde“. Einem Admin gefällt „jede Adminaufgabe, die am Ende zu Konsens und Zufriedenheit führt“. Auch vielen weiteren gefällt es, Konflikte zu lösen. Sie betonen die Notwendigkeit sozialer Kompetenz. Andere wiederum sehen die Tätigkeit als „stupide“ an und sich selbst als „Super-Nanny“ oder „Sündenbock für alles“. Als lästig bezeichnet eine Vielzahl der Admins „Edit Wars“, das Sperren von Benutzern und die Klärung von Urheberrechten.

Stilfragen und Qualitätssicherung

Zahlreiche Admins kritisieren den Umgangston in den Diskussionen innerhalb der Wikipedia. Die Diskussionskultur sei „unterirdisch“. Wer andere Nutzer beleidige, gehöre unabhängig von seiner Stellung im Projekt zeitweise gesperrt, schreibt ein Admin. „Wieder mehr Freiheit, weniger Adminwillkür“, fordert ein anderer. Ein weiterer beobachtet eine „feindliche Atmosphäre“. Andere empfehlen daher „mehr Gelassenheit, auch gegenüber Kritik von außen“ und „mehr Witz, Geist und Souveränität“.

Die Qualitätssicherung der Wikipedia ist zentrales Anliegen für eine Vielzahl der Admins. Dazu schlägt einer vor, die Artikelstruktur nach dem Vorbild der Encyclopedia Britannica zu splitten in eine Macro- und eine Micropedia für Basiswissen und wissenschaftliche Vertiefung. Mehrere wollen Relevanzkriterien, insbesondere für Artikel über lebende Personen, weiter verschärfen.

Der demokratische Gedanke der Wikipedia wird unter den Admins kontrovers diskutiert. Einer schreibt: „Die Wikipedia war nie eine Demokratie, früher war sie aber demokratischer“. So wünsche er sich die Wikipedia wieder. Ein anderer Admin kritisiert hingegen „den Demokratiewahn“. Die Wikipedia sei keine Staatensimulation, sondern ein modernes Lexikonprojekt. „Unglaubliche Energie“ werde in Grundsatzdiskussionen investiert. Ein Admin sieht den Verwaltungsapparat der Wikipedia „überall wuchern“ und fordert eine Rückbesinnung auf die inhaltliche Arbeit.

Alte und junge Wikipedianer

Viele Admins wollen vor allem neuen Nutzern helfen, die „im komplizierten System Wikipedia von einem Fettnäpfchen ins andere treten“. Der Standard an einzuhaltenden Konventionen sei inzwischen so hoch, dass viele Neue überfordert seien. Dabei klaffen die Meinungen über die Neueinsteiger weit auseinander: Viele begrüßen hoch qualifizierte neue Autoren, wollen sie intensiv begleiten. Andere halten viele Neue für zu unbedarft.

Über die etablierten Wikipedianer sind die Ansichten ebenso kontrovers: „Pauschale Abwehrreflexe und schnoddriges Verhalten“ sieht ein Admin, eine „Wagenburgmentalität im eigenen Thema“ oder „Frustration, Elitenbildung und Abschottung“ attestieren andere ihren Kollegen. Bei weiteren Admins überwiegen positive Erfahrungen: Freundschaften, die aus der gemeinsamen Tätigkeit und bei Wikipedia-Stammtischen entstanden sind. Respekt vor den Leistungen der anderen.

Weitermachen? Natürlich. 72 Prozent der befragten Wikipedianer wollen Admins bleiben und weiter werkeln am Wissen der Welt. Aber immerhin 28 Prozent sind frustriert!

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9 Antworten zu Die erste Umfrage unter allen Wiki-Admins

  1. Pingback: Gatekeeper bei der Wikipedia: Der typische Wiki-Admin ist männlich, linksliberal – und um die Vierzig | TechFieber | Smart Tech News. Hot Gadgets.

  2. Peter sagt:

    Hallo,

    in ihrem PDF geben sie als durchschnittliche Adminarbeitszeit 71 Minuten pro Tag an. Dies widerspricht dem Blog-Eintrag. Was stimmt?

    • admin sagt:

      Wir haben 2x nach der für WP aufgebrachten Zeit gefragt: a) für Admin-Tätigkeiten und b) für Editor-Tätigkeiten. Zusammen die Summe… Also insgesamt drei Zeiten!

  3. Pingback: Wiki-Watch! | Netzivilisation

  4. Danke für Eure Arbeit an dieser Umfrage – für viele Nicht-Eingeweihte (wie mich) sehr spannend und erhellend.

  5. /zaddikim sagt:

    Danke, interessante Umfrage (auch für mich als Gelegenheitsschreiber in der WP). Die zwei Spalten im Dok. sind leider nicht so komfortabel zu Lesen. / gerd

  6. Pingback: Wiki-Watch schaut bei Wikipedia hinter den Vorhang | Beob8er . net

  7. admin sagt:

    Ne discere cessa! fragte: An welchem Punkt der Umfrage leiten sie ab, dass ein Teil der Admins gern mitarbeitet und ein anderer nicht, sowie, dass einige frustriert sind? Ich konnte dementsprechende Punkte leider nicht finden.

    Das ist ihre Interpretation unserer Interpretation, welche sich im Wesentlichen aus den Antworten auf die Fragen 9, 23 und 24 ergibt.

  8. admin sagt:

    Jan Ludwig: Zehn Jahre Wikipedia: Die Elite der Besserwisser. In: Stern. Gruner und Jahr, 15. Januar 2011: „Johannes Weberling und Wolfgang Stock, Medienforscher an der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder, haben diese Admin-Welt untersucht. Ihrer nicht repräsentativen Umfrage zufolge sind etwa 90 Prozent der Admins Männer, die Hälfte hat studiert oder tut es gerade, jeder Achte hat promoviert. In der Politik würde man in solchen Fällen nach einer Frauenquote rufen.“

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