Wikipedia gehört zu den Leitmedien unserer digitalen Gesellschaft. Als passiver Nutzer erwartet man, dass es für Wikipedianer keine Denk- oder Sprechverbote gibt und Artikel frei von Zensur möglichst, ebenso vollständig und genau lexikalisches Wissen sammeln. In diesem Artikel wollen wir untersuchen, ob das tatsächlich der Fall ist.
Die Wikipedia selber definiert Zensur als „Versuch der Kontrolle der Information. Durch restriktive Verfahren – in der Regel durch staatliche Stellen – sollen Massenmedien oder persönlicher Informationsverkehr kontrolliert werden, um die Verbreitung unerwünschter oder ungesetzlicher Inhalte zu unterdrücken oder zu verhindern.“
Eine Vorzensur existiert für die Wikipedia nicht. In Deutschland ist es so gut wie unmöglich die Wikipedia durch Gerichte zensieren zu lassen. Denklogisch kann also nur die Zensur gemeint sein, die die Wikipedia sich selbst auferlegt.
Gibt es Faktoren, die dazu führen, dass die Wikipedianer sich selbst beschränken?
In Frage kommen hier in loser Reihenfolge:
Jugendschutz:
Der Jugendschutz wird auf der Wikipedia nicht als Einschränkung angesehen, wie Nutzer Christhard zu Recht anmerkte. Dieser Faktor kann also in der Betrachtung außen vor bleiben.
Relevanzkriterien:
Die Relevanzkriterien führen in der deutschen Wikipedia dazu, dass viele Inhalte, die sonst als Artikel veröffentlicht werden würden, nicht in der Wikipedia erscheinen.
Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts:
Eine Verpflichtung der Wikipedia zum Unterlassen von Persönlichkeitsrechtsverletzungen vor Gericht ist nur schwer durchsetzbar. Nichtsdestotrotz bemüht sich die Wikipedia solche Verletzungen zu unterlassen oder so schnell wie möglich zu beseitigen.
Bearbeitungs- / Vandalismussperren:
Neue Nutzer können in der Wikipedia einige Artikel nicht bearbeiten. Als beispielsweiße der Autor dieses Artikels einen Wikipedia Account anlegte, um eine Umfrage unter den Wikipedia Autoren zu veröffentlichen war dies auf Grund einer Vandalismussperre nicht möglich.
Wie genau entfalten Zensurfaktoren ihre Wirkung?
Die Einhaltung der Relevanzkriterien wird sehr strikt von den Administratoren der Wikipedia überwacht. Bereits in den vorherigen Artikeln haben wir beleuchtet, dass diese Praxis neue Nutzer abschreckt und aktive Nutzer dazu bewegt inaktiv zu werden. Solche Konsequenzen -in der Rechtssprache „chilling effects“- führen dazu, dass die Wikipedia eine weniger große Autorenschaft hat, die beim Verfassen neuer Artikel den Themenkreis sehr weit einengen, um eine Löschung und damit die Vernichtung ihrer Bemühungen zu verhindern.
Während deutsche Zeitungen und andere Medien häufig lange Prozesse führen müssen, um unberechtigte Klagen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts abzuwehren, hat die Wikipedia dieses Problem auf Grund ihrer speziellen Konstruktion nicht. Trotzdem ist es gerade in einem so stark durch Rechtsprechung geprägten Gebiet wie dem Schutz des Persönlichkeitsrechts für juristische Laien schwer zu erkennen, was veröffentlicht werden darf und was nicht. Dementsprechend lassen sich häufig zwei Umgangsformen mit dem Problem beobachten.
- Persönlichkeitsrechte werden unzulässiger Weise ignoriert.
- Aus der Furcht vor Persönlichkeitsrechtsverletzungen werden zulässige Veröffentlichungen unterlassen.
Die letztere ist diejenige, die Unsicherheit über die Rechtslage zu einem „chilling effect“ und damit zu einem Zensurfaktor macht.
Ein Autor, der auf einer häufig von Vandalismus betroffenen Seite nicht editieren darf, wird sich dadurch in der Regel nicht vom Erstellen von Artikeln abhalten lassen. Die Vandalismussperren betreffen nur eine sehr geringe Anzahl von Seiten der Wikipedia. Ein über diese Seiten hinausgehender Zensureffekt ist daher höchst unwahrscheinlich.
Die Wikipedia bietet auf der einen Seite viele Freiheiten und wenige Schranken. Andererseits muss beachtet werden, dass die „Schere im Kopf“ wie oben beschrieben heutzutage oft das mächtigste Werkzeug der Zensur ist.
Die Antwort auf die Ausgangsfrage lautet daher: Die Wikipedia wird zensiert.
Ist diese Art und Weise von Zensur schlimm?
Nun stellt sich die Frage, ob diese Art und Weise von Zensur in einer freien und offenen Gesellschaft wie der unseren zumutbar ist.
Gerade in Sachen Jugendschutz ist den Wikipedianern zu raten, einige Medien zu entfernen, die ganz offensichtlich nicht dem enzyklopädischen Anspruch dienen. Hier wäre etwas mehr Zensur im Sinne von einer stärkeren Selbstkontrolle angemessen.
Bei der Einhaltung der Relevanzkriterien ist die Frage hingegen deutlich berechtigter. Vielmehr könnte man auch der Meinung sein, dass die Wikipedia, gerade weil sie nicht wie z.B. der Brockhaus eine klassische Enzyklopädie ist, nicht so streng nach Relevanz sortieren sollte. Zusätzlich führt die strikte Auslegung des Begriffs Relevanz dazu, dass viele motivierte Neuautoren, die anderenfalls eine Bereicherung für die Wikipedia wären, wieder abgeschreckt werden. Eine weniger strenge Haltung in dieser Frage würde die Wikipedia sicherlich bereichern.
Aus rechtsstaatlichen Gründen ist nur die Vorzensur abzulehnen. Diese findet auf der Wikipedia allerdings nur in Form von Vandalismus-/ oder Bearbeitungssperren statt. Dort wird sie auch nicht eingesetzt, um gewisse Inhalte zu filtern. Sie sollen lediglich Seiten, die für das Funktionieren der Gemeinschaft Wikipedia notwendig sind vor Spam schützen. Selbst diese Sperren sind also nicht mit der klassischen Vorzensur vergleichbar und haben auch nicht den selben Effekt.
Die Wikipedia ist zwar Gegenstand von Zensur, an vielen Stellen hat das allerdings auch seine Berechtigung als eines der einflussreichsten und reichweitenstärksten Medien (Link finden!) fällt ihr eine Verantwortung zu, der sie manchmal nur mit dem Entfernen von Inhalten gerecht werden kann.
Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass die Zensur nichts schlimmes ist, aber zumindest bei den Relevanzkriterien der Gemeinschaft der Autoren und damit auch der Wikipedia selber schadet.