Wikipedia, hast du ein AfD-Problem?

Hat er geahnt, welche Welle er lostreten würde? Bei seiner ersten Skype-Konferenz als neu gewählter Schiedsrichter „outet“ sich der Wikipedia-Autor „MAGISTER“ als AfD-Mitglied. Daraufhin verlassen mehrere Mitglieder aus Protest das Schiedsgericht – die oberste Instanz in der Wikipedia, die über Streitfälle entscheidet. Eine heftige interne Diskussion entbrennt, selbst überregionale Medien berichten über Wikipedias „AfD-Problem“.

„MAGISTER“ schrieb mit am Artikel zum Wehrmachts-Panzer „VI Tiger“ und zum „Deutschen Orden„. Im Artikel zu Berchtesgaden in Oberbayern redigierte er eine Informationen zu Hitlers Leben am Obersalzberg. Jetzt ist der Wikipedia-Autor aus der Hansestadt Wismar ins höchste Amt der Online-Enzyklopädie gewählt worden.

Die mittelalterliche Hundsgugel schmückt die Benutzer-Seite von "MAGISTER", Von David Monniaux - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=132275.

Als bekannt wurde, dass der Nutzer gleichzeitig Funktionär der AfD ist, legten laut „Meedia“ Anfang September 2016 drei Schiedsrichter ihr Amt nieder. Es folgten heftige Proteste in der Community, weitere Austritte (insgesamt acht, Stand 15.12.2016) und die Frage, ob „so einer“ Mitglied im höchsten Gremium der Wikipedia sein darf (der exakte Ablauf ist z.B. bei Vice nachzulesen).

Gesinnungskontrolle für Wikipedia-Funktionsträger?

„MAGISTER“ selbst schildert die Situation wie folgt:

„Anfang September gab es die obligate Skype-Konferenz (die im Schiedsgericht jeden Montag stattfindet, Anmerkung des Autors), wo unter anderem das Wahlergebnis der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2016 thematisiert wurde. Sinngemäß wurde ich (im Scherz?) gefragt, wie dämlich die Wähler in M-V denn seien (die AfD erreichte in dem Bundesland 20,8 Prozent der Stimmen, Anmerkung des Autors). Ich verbat mir daraufhin, gegen meine sonstige Gewohnheit, jegliche Diskussion zu politischen Themenkomplexen. Die Telefonkonferenz ging denn auch ohne weitere Querelen zu Ende. Im Anschluss befand ich, dass ich meine Kollegen, die ich persönlich kenne, von meiner politischen Ausrichtung in Kenntnis setzen sollte.“

Für Ex-Schiri Sebastian Wallroth ist die Tatsache, dass sich ein Mitglied des Schiedsgerichts als Funktionär der AfD positioniert, mit seinem Bild dieses Gremiums nicht vereinbar.

„Wikipedia steht für Weltoffenheit, Einbeziehung und Gemeinschaft. Die politischen Ansichten freiwillig an der Wikipedia mitarbeitender spielen keine Rolle, solange die Regeln der Community eingehalten werden. Das Schiedsgericht jedoch ist eines der wichtigsten Gremien der deutschsprachigen Community. Die AfD steht für Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Benachteiligung von Personen wegen ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder ihrer sexuellen Orientierung. Sie steht für Geschichtsverleugnung, Verdrehung wissenschaftlicher Erkenntnisse und für nationalistische, identitäre Beeinflussung von Kunst und Kultur. Magister mag im einzelnen andere Ansichten haben. Aber durch seine Mitgliedschaft in einem Führungsgremium repräsentiert er die Grundprinzipien der AfD. Das kann ich nicht abtun oder auf die leichte Schulter nehmen.“

Ähnlich sieht es die Nutzerin „Alnilam“*:

„Aufgrund meiner Herkunft, RL-Tätigkeit und Einstellung kann ich als Privatmensch mit einem Menschen, der Funktionär einer Partei ist, die unter anderem menschenverachtende Positionen vertritt, nicht so eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten, wie es m. E. im SG (Schiedsgericht, Anmerkung des Autors) nötig ist. Das ist allerdings meine ganz eigene Auffassung, also mein privates Problem.“

––– *Weitere Stellungnahmen von „AnnaS.aus I.„, „MAGISTER„, „Man77„, „Miraki“ und „Ghilt“ vervollständigen das Bild.–––

Doch was folgt daraus? Soll die Anonymität der Nutzer, die sich für das Amt des Schiedsrichters bewerben, aufgehoben werden? Sollen alle Bewerber, Adminkandidaten etc. auf mögliche Parteimitgliedschaften überprüft werden? Damit würde faktisch das Recht auf Anonymität, das für alle gilt, aufgehoben werden. Und wer entscheidet, welche Partei in der Wikipedia nichts zu suchen hat?

Auf einer Diskussionsseite beschreibt ein IP-Nutzer das Dilemma so:

„Du schreibst es bereits – eine Mitgliedschaft der AFD ist für dich ein NoGo. Für mich z.B. wäre es ebenfalls eine Mitgliedschaft bei Die Linke. Und wie kommen wir nun von diesem Dilemma weg?“

„Liesel“ ergänzt:

„Vielleicht wird demnächst bei Adminwahlen, SG- und anderen Posten danach entschieden, ob jemand Mann oder Frau, Homo, Hetero oder Bi, AfD-, CDU- oder MLPD-Wähler, Kirchenmitglied, Moslem, Atheist, Veganer etc. und nicht mehr danach wie seine Performance in der Wikipedia ist. Schöne neue Wikipedia-Welt, nur echt mit den vorurteilsbeladenen Schubladendenken.“

Doch wie steht es mit der „Performance“ von Benutzer „MAGISTER“? Konkret gefragt: Schlägt sich seine poltische Einstellung in seiner Artikelarbeit bei Wikipedia nieder? Bei dieser Frage werden ihm im Wesentlichen drei Vorwürfe gemacht.

Hat “MAGISTER” einen rechten Aktivisten unterstützt?

„MAGISTER“ soll laut dem Journalisten Peter Welchering, der sich dazu vom Deutschlandfunk hat interviewen lassen, einen zweifelhaften Artikel-Autoren geschützt und unterstützt haben. Dieser Autor mit dem Pseudonym „PimboliDD“ hatte eine Flut von Artikeln über die Wehrmacht, nationalsozialistische Themen und generell Militärdinge in Wikipedia eingebracht, die thematisch sehr umstritten sind und enzyklopädisch mangelhaft umgesetzt wurden.

„Die Kritik an diesen Artikeln von PimboliDD lautete: ‚Inhaltlich mangelhaft‘, ‚unkritische Zitate von NS-Literatur‘, ‚oberflächliche Heldenverehrung‘, ‚Extensive Verwendung von NS-Symbolen‘ in seinen Artikeln. Das hat letztlich dazu geführt, dass der Autor PimboliD gesperrt wurde für die weitere Mitarbeit an Wikipedia. Und Magister wird jetzt vorgeworfen, diese ideologisch einseitige Artikel-Arbeit von Pimboli lange Zeit unterstützt zu haben.“ (Peter Welchering, Interview mit dem Deutschlandfunk vom 19. Dezember 2016)

Faktencheck: Soweit sich das aus den uns bekannten Quellen (hier und hier) herauslesen lässt, war „MAGISTER“ Mentor des umstrittenen Autors „PimboliDD“. In dieser Eigenschaft hat er ihn naturgemäß bei seiner Artikelarbeit unterstützt. Das war schließlich seine Aufgabe als Mentor und kann ihm schlecht zum Vorwurf gemacht werden. Hat er ihn auch geschützt? Aus den oben genannten Quellen ergibt sich das jedenfalls nicht. Im Gegenteil: „MAGISTER“ hat den Benutzer „PimboliDD“ deutlich kritisiert, indem er ihm „Flüchtigkeit“ und ein „Unvermögen zu wissenschaftlicher Arbeit“ attestierte. Er hat ihn allenfalls insofern geschützt, als dass er auch die grundsätzliche Ausrichtung der deutschsprachigen Wikipedia in Bezug auf die verlangten Quellennachweise kritisiert hat.

Im Original liest sich das so:

„Pimboli begeht aus meiner Sicht keine absichtliche Quellenfälschung, seine Tätigkeit hier leidet hingegen unter seiner nicht fundierten Ausbildung bei sachgerechter Quellenarbeit und mangelnder Befähigung wissenschaftlicher Auswertung im Allgemeinen. (…) Extrem erschwerend kommt hinzu, dass sich im Fachbereich schon seit Jahren ein Konflikt um die Verwendbarkeit von Literatur/wissenschaftlichen Quellen abspielt. Gerade dadurch wirkt sich Pimbolis bevorzugte Tätigkeit in diesen sensiblen Bereichen gewissermaßen als Katalysator zum öffentlichen Austragen solch grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten aus, was sich auf seine hiesige Tätigkeit nachhaltig auswirkt. Kurz, der Casus stellt eine brisante Mischung aus extremer Fleißarbeit, Flüchtigkeit, gewissem Unvermögen zu wissenschaftlicher Arbeit und der grundsätzlichen Ausrichtung der deutschsprachigen WP in Bezug auf Verwendbarkeit von Quellen und ihrem Wesen als freie Enzyklopädie dar.“

In einem SWR-Interview vom 29. Dezember 2016 ergänzt „MAGISTER“ dazu:

„Für mich war PimboliDD ein Autor, der mich als Mentor um Hilfestellung ersuchte und dem ich mit einer ganzen Reihe von Ratschlägen zur Seite stand. Manche hat er beherzigt andere nicht. Ein unglaublich produktiver Autor, dem leider die Quantität stets näher als die Qualität lag. Insbesondere mit der Referenzierung seiner Artikel gab es Probleme. Mit der Zeit ‚erarbeitete‘ sich PimboliDD seinen Ruf, was mit Accountsperre endete. Ich hätte ihm aus heutiger Sicht vielleicht mehr helfen sollen, aber bei Beratungsresistenz endet in einem kollaborativen Projekt eben auch Hilfsbereitschaft. PimboliDD war hingegen kein ‚rechtsradikaler‘ oder als ähnlich zu bezeichnender Autor.“

Ist “MAGISTER” ideologisch einseitig?

„MAGISTER“ wird außerdem ideologische Einseitigkeit vorgeworfen. Konkret in Bezug auf seine Beiträge zu den Litauerkriegen des Deutschen Ordens. Damit hat schließlich auch der dritte Vorwurf zu tun: „MAGISTER“ habe die Wikipedia-Standards für Quellennachweise kritisiert, habe diese verändern wollen. Es ging dabei um sogenannte „graue Literatur“ im NS-Umfeld.

Sebastian Reinfeldt vom österreichischen Semiosisblog schreibt dazu in seinem Beitrag „Rechte Umwertung von Wikipedia?„:

„Dass nun seine Funktion in der AfD klar ist, mag nicht mehr verwundern. So erwähnt MAGISTER in einem Wikipedia-Artikel über die Litauerkriege des Deutschen Ordens Geschichtsbücher, die „die nationale Gesinnung widerspiegeln“ (Link zum Wikipedia-Eintrag von uns) und welche die Litauerkriege des Deutschen Ordens schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert verschwiegen hätten. Auch finden sich Bemerkungen über „raumgreifende Operationen“ des Deutschen Ordens gegen die Streitmacht der litauischen Großfürsten in einem anderen Text (aber im gleichen Artikel, Anmerkung des Autors). Natürlich kann man sich ganz wertfrei für ’nationale Geschichtsschreibung‘ und auch für den Deutschen Orden interessieren. Die betreffenden Wikipedia-Artikel sind aber wie von einem Feldherrenhügel aus, in einer militärhistorischen Perspektive verfasst. Ideologisch heben sie die Bedeutung des Deutschen Ordens für die Herausbildung des Deutschtums hervor. Auch wird die expansive Verbreiterungspolitik der deutschen Ordensritter mit keinem Wort historisch-kritisch eingeordnet.“

Faktencheck: Es erscheint nicht  ganz gerecht und journalistisch geradezu gewagt, aus einem einzigen Beispiel derartige Schlüsse zu ziehen. Um „MAGISTER“ ideologische Einseitigkeit vorhalten zu können, müssten weitere Artikel-Beispiele genannt werden, die es aber offenbar nicht gibt. So bleibt der Eindruck zurück, dass hier vom Ergebnis aus gedacht und geschrieben wurde, um einen bestimmten Eindruck zu verstärken, der ins vorgefasste Bild passt. Nach dem Motto: Mal sehen, wo wir etwas finden, womit wir „MAGISTER“ ideologische Einseitigkeit vorwerfen können.

Wird die Wikipedia von der AfD systematisch unterwandert?

Neben der Kontroverse um den Wikipedia-Autor „MAGISTER“ bleibt die grundsätzliche Frage: Gibt es belastbare Hinweise, dass die Online-Enzyklopädie Wikipedia systematisch von der AfD unterwandert wird? Für eine gezielte, planmäßig durch die AfD organisierte Unterwanderung gibt es bisher keine Anhaltspunkte. Ein solches „Unterwanderungs-Programm“ sei aber auch gar nicht nötig, meint SWR-Wissenschaftsredakteur Gábor Paál in seinem lesenswerten Beitrag. Denn zweifellos gäbe es genug AfD-freundliche Benutzer, die versuchten, Wikipedia-Artikel in ihrem Sinne zu verändern.

Auch unsere Recherchen haben in der Vergangenheit gezeigt, dass es solche Manipulationsversuche gibt – und zwar von vielen Seiten: von Parteien, Unternehmen, Lobbygruppen und Einzelpersonen.

Zum Schluss noch eine Video-Empfehlung: Auf dem 33. Chaos Communication Congress sprachen der Politikwissenschaftler Jens Best und der Wikipedianer Sebastian Wallroth mit Peter Welchering über Neutralitätsgebote, politische Einflussnahme von rechts und die Perspektive der weiteren Arbeit in der deutschen Wikipedia.

Update Nr. 1: Der Journalist Marvin Oppong („Verdeckte PR in Wikipedia – Das Weltwissen im Visier von Unternehmen„) hat mit Unterstützung der Crowdfunding-Plattform Startnext eine Recherche finanziert, die der Frage nachgeht, inwieweit die AfD Einfluss auf Wikipedia-Inhalte nimmt. Aktuell läuft die Recherche. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse.

Update Nr. 2: Das Ergebnis der Startnext-Recherche wurde online in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht. Die Diskussion der Wikipedia-Community dazu findet ihr hier und hier.

Schreibt uns eure Meinung!

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Wikipedia, hast du ein AfD-Problem?

  1. Martin Calmund sagt:

    Jens Best spricht über Neutralitätsgebote? Genau er, der den Wikipedia-Schiedsrichter als „Afd-Nazi“ auf Twitter beschimpfte (und dafür in der Wikipedia eine Sperre einfing). https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Sperrpr%C3%BCfung&diff=160655202&oldid=160655180

    Seine Arbeit in der Wikipedia zeichnet sich vorallem durch seine Sperren aus https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Spezial:Logbuch&page=Benutzer%3AJensbest&type=block

  2. Aisha Petrovic sagt:

    Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn man sich innerhalb der Wikipedia über das Neutralitätsgebot Gedanken macht, gleichzeitig aber berüchtigte Nutzer wie „Kopilot“ sogar in den Diskussionsbereichen seit Jahren wie wildgeworden löschen, sobald Kritik an der mangelnden Neutralität von Artikeln geäußert wird.

  3. Stefan sagt:

    In Wikipedia ist weniger die angesprochene Unterwanderung der AfD ein Problem, sondern vielmehr allgemein die tendenziöse Darstellung von Artikelthemen, die gesellschaftlich kontrovers diskutiert werden. Dies fängt bei einseitiger Auswahl legitimer Quellen an und hört bei einseitiger, unvollständiger Zitierung aus diesen Quellen auf. Eskalierend ist der Umstand, dass diese Artikel von den entsprechenden Autoren äußerst gut bewacht werden.

    Ob dies aus eigener Überzeugung geschieht oder ob kommerzielle Einflüsse dahinter stehen, ist ungeklärt und für das Ergebnis auch nicht relevant.

    Problematisch ist dieses Faktum vor allem, weil Wikipedia inzwischen als schnelle und kostenlose Informationsquelle ein Alleinstellungsmerkmal besitzt und auch bei Suchergebnissen mehrheitlich als erster Treffer erscheint.

Kommentare sind geschlossen.