Wikimedia-Fünfjahresplan: Freundlich sollt Ihr sein!


Wikipedianer müssen einiges aushalten. Selbst die Debatte um eine freundlichere Diskussionskultur der Online-Enzyklopädie wird nicht freundlich geführt. Ein Edit War um die Openness-Resolution der Wikimedia Foundation, die angesichts der alarmierenden Editor Trends Study und dem damit nachgewiesenen Autorenschwund zu mehr Freundlichkeit und Offenheit aufruft?

So bizarr es klingt – ein solcher Edit War fand statt. Der Wikipedia-Kurier, „Boulevardblatt“ der deutschsprachigen Wikipedianer, musste kurzzeitig gesperrt werden.

Zehn Tage ist dies her. Am Ende des Streits steht ein leicht ironischer Kurier-Text, überschrieben mit „Freundlichkeit jetzt“. Der Vorstand der Wikimedia Foundation habe nun erkannt, dass „bei uns mitspielen gar nicht mehr so einfach und cool ist wie früher“, heißt es darin. Und: „Damit wir später nicht traurig alleine in unserem Sandkasten sitzen, soll sich jetzt etwas verändern. Die weisen Führer haben deswegen eine Resolution verabschiedet, in der zu mehr Offenheit und Freundlichkeit aufgerufen wird.“ Das erinnere ein wenig an einen alten Titanic-Titel: „Waldsterben verboten! Bonn rettet den Wald!“. Und, gezeichnet von den Strapazen um diesen Beitrag, fügen die Autoren hinzu: „Am schlechten Umgang wird sich wohl nichts ändern.“ Schießlich sei das Problem lange bekannt, ohne dass sich etwas geändert habe.

Unter dieser pessimistischen Einführung folgt die deutsche Übersetzung der Openness-Resolution. Diese beginnt mit der harten Diagnose der Editor Trends Study: Neue Mitarbeiter beteiligten sich „stetig weniger“ und blieben kürzer dabei. Danach heißt es:

„Wie im strategischen Fünfjahresplan beschrieben und durch diese Untersuchungen bestärkt, ist es für Wikimedia notwendig, mehr neue und unterschiedliche Mitarbeiter anzuziehen und zu behalten, sowie unsere erfahrenen Mitarbeiter zu halten. Eine stabile Mitarbeitergemeinschaft ist von zentraler Bedeutung für die langfristige Zukunftsfähigkeit und die Qualität sowohl unserer aktuellen Projekte als auch unserer Bewegung.“

Nach dieser holprigen Einführung jedoch ist die Openness-Resolution klar. Oberste Priorität habe die Freundlichkeitsoffensive. Mehr Ressourcen von Wikimedia würden zur Verfügung gestellt für den Kontakt mit der Community und technische Erleichterungen für Neu-Autoren. Die Community solle neue Mitarbeiter mit Geduld, Freundlichkeit und Respekt behandeln, Hilfsbereitschaft zeigen, das Wikipedia-Regelwerk vereinfachen, „Löschvorgänge freundlicher gestalten“, mehr Dank und Bestätigung üben und „Trolle und Stalker abschrecken“.

Nun hat das Wikimedia-Zentralkomitee gesprochen. Der Fünfjahresplan sichert die Zukunft der Weltwissensmaschine. Was nur unglücklich übersetzt ist, fühlt sich für viele Wikipedianer tatsächlich so an wie eine Direktive. Dass sie von den „weisen Führern“ schreiben, lässt dies schon anklingen. Diese Bezeichnung war im Laufe des Edit Wars heftig umstritten, mehrfach war sie drin und wieder draußen. Am Ende hat sie sich durchgesetzt. So musste der Beitrag „Freundlichkeit jetzt“ im Wikipedia-Kurier mühsam erstritten werden.

Derweil entstehen jedoch auch in der Community interessante Vorschläge zur Verbesserung der Diskussionskultur. Die Arbeitsatmosphäre in der Wikipedia sei unnötig belastet, findet der Editor „Friedrich Graf“, und initiiert derzeit ein Meinungsbild dazu, ob es sinnvoll ist, in Konfliktfällen um einzelne Lemmata Moderatoren einzuschalten.

„Friedrich Graf“ selbst gibt auf seiner Benutzerseite Auskunft über sein Verständnis der Wikipedia. Die Enzyklopädie sei ein Garten, „artenreich und bunt“, er habe viele Gärtner, sei unverwüstlich wie die Natur. „Daran ändern auch keine Schädlinge, Betonfetischisten oder übel gelaunte Zeitgenossen etwas“, schreibt er. Der Garten Wikipedia solle all denen wieder „Entspannung, Kraft und Mut geben, deren alltäglicher Horizont mit Wolken des Ärgers verhangen ist.“ Als seine aktuellen Arbeitsschwerpunkte gibt „Friedrich Graf“ unter anderem die Artikel „Sexappeal“ und „Moral“ an.

Der Moderatoren-Vorschlag funktioniert so: Neben den bestehenden Sichtern, Administratoren, Mentoren und Vermittlern soll ein neuer Arbeitsbereich geschaffen werden. Moderatoren sollen Konflikte aktiv beeinflussen, um konstruktive Lösungen zu erreichen. Hintergrund: Wenn es keinen mehrheitlichen Konsens in einem inhaltlichen Streit gibt, siegt zumeist der kleinste gemeinsame Nenner. Oder, schlimmer noch, es setzt sich der Stärkere (etwa ein Administrator) oder der Aggressivere (etwa ein Löschantragssteller) durch. Diese Mechanismen sollen Moderatoren zu überwinden helfen. Die Community soll dazu Verhaltensnormen entwickeln, die Moderatoren müssen sich zudem an einen eigenen Kodex halten. Ziele: Etwa die „Trennung der Konfliktthemen vom Rest der Lemmaarbeit“ durch die Bezeichnung als Entwürfe und eine Begrenzung der Diskussionsbeiträge auf 2000 Zeichen. Oder die Verringerung des Zeitdrucks in Streitfällen und ein differenzierter Umgang mit den gegenläufigen Argumenten ohne ein „Top oder Flop“. Die Wahl der Moderatoren soll ähnlich ablaufen wie die Administratorwahlen. Kandidaten sollen in den letzten drei Monaten als Autoren aktiv und mindestens zwei Jahre lang Sichter gewesen sein. Bei der Wahl sollen schon 20 Pro-Stimmen bei einer 55 Prozent-Mehrheit ausreichen.

Um das Meinungsbild, das offiziell noch gar nicht begonnen hat, sondern sich vielmehr noch in einem frühen Denkstadium befindet, wird ausführlich diskutiert. Und das durchaus konstruktiv.

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