Am 9. Juli 2015 entscheidet das Europäische Parlament über eine Vorlage zur Reform des Urheberrechts. Darin ist eine Empfehlung zur Änderung der Panoramafreiheit enthalten. Danach soll die gewerbliche Nutzung von Fotos, Videos oder anderen Abbildungen von Gebäuden und Kunstwerken, die an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen zu sehen sind, immer an eine vorherige Einwilligung der Urheber geknüpft sein. Wikipedia verwendet hunderttausende solcher Aufnahmen. Ist Wikipedias Bildbestand in Gefahr, wenn die Empfehlung durchkommt?
Wikipedia fühlt sich massiv bedroht: Geht es nach dem „Reda-Bericht“ des Rechtsausschuss des EU-Parlaments, soll die gewerbliche Nutzug von Bildern urheberrechtlich geschützter Werke in der Öffentlichkeit nur noch mit einer Genehmigung durch den Rechteinhaber möglich sein.
Im Entwurf des von der EU-Abgeordneten Julia Reda (Piraten) verfassten Berichts wurde der Gesetzgeber der EU noch dazu aufgefordert, „sicherzustellen, dass die Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an öffentlichen Orten platziert sind, gestattet ist“.
Diese ursprüngliche Forderung, die eine Harmonisierung in Form einer einheitlichen Panoramafreiheit deutschen Zuschnitts vorsah, konnte sich jedoch im endgültigen Bericht nicht durchsetzen. Beschlossen wurde hingegen eine Fassung, die auf einen Vorschlag des Liberalen Jean-Marie Cavada zurückgeht:
„(Das Europäische Parlament) vertritt die Auffassung, dass die gewerbliche Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an physischen öffentlichen Orten platziert sind, immer an die vorherige Einwilligung der Urheber oder sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein sollte;“
Angriff auf die „Kultur der freien Inhalte“
Die Verantwortlichen bei Wikipedia befürchten, zwischen 100.000 und 1.000.000 Bilder löschen zu müssen, wenn der umstrittene Vorschlag Gesetz wird. Die Aufregung ist groß: Mit einem Banner auf allen Seiten (wörtlich: „Ein Vorschlag im Europäischen Parlament bringt zigtausende Bilder auf Wikipedia in Gefahr.“) wird auf die Auswirkungen der geplanten Reform hingewiesen. In einem offenen Brief an die MdEPs wird zur Erhaltung der Panoramafreiheit aufgerufen. Ist die Aufregung berechtigt?
Der aufmerksame Leser versteht die ganze Panik womöglich erst einmal nicht. Denn in dem Antrag ist von „gewerblicher Nutzung“ die Rede. Das heißt doch aber im Umkehrschluss, dass eine nichtkommerzielle Nutzung, insbesondere eine lexikalische Darstellung in der Wikipedia, nach wie vor möglich wäre. Ja, aber…
Der Knackpunkt ist, so wird jedenfalls immer wieder behauptet, dass Wikimedia Commons – die Datenbank, aus der Bilder direkt in Wikipedia eingebunden werden – nur solche akzeptiert, die gemeinfrei sind oder unter einer freien Lizenz stehen. Praktisch ist also die kommerzielle Nutzung dieser Fotos erlaubt, obwohl die Wikimedia Foundation, die Wikipedia betreibt, selbst nicht darauf ausgelegt ist, Profite zu erwirtschaften.
Auch Facebook wäre von dem Vorschlag betroffen, meint die Piratin Julia Reda:
„Wenn du ein Urlaubsfoto auf dein Facebookprofil lädst, verdienst du damit kein Geld. Du stimmst allerdings den Nutzungsbedingungen von Facebook zu, in denen steht, dass du Facebook das Recht zur kommerziellen Nutzung deiner Bilder einräumst (Abschnitt 9.1 der Nutzungsbedingungen von Facebook) und dass du alle nötigen Rechte an dem Bild besitzt, um diese kommerzielle Nutzung durch Facebook zu erlauben (Abschnitt 5.1). Das bedeutet, dass du nach einer Einschränkung der Panoramafreiheit auf nichtkommerzielle Zwecke für jedes deiner Urlaubsfotos prüfen müsstest, ob es ein Gebäude oder öffentliches Kunstwerk zeigt, ob dieses Werk urheberrechtlich geschützt ist.“ (Julia Reda, Panoramafreiheit in Gefahr, zuletzt aufgerufen am 8. Juli 2015)
Der aufmerksame Leser fragt sich nun: Können die Lizenzbedingungen nicht jederzeit auch vollkommen anders gestaltet werden? Eine Lösung wäre doch die generelle Untersagung der gewerblichen Nutzung. Das jedoch – entgegnen Kritiker – widerspreche den zentralen Grundprinzipien der Wikipedia, zu denen die freien Inhalte zählen. Open Content dürfe nicht nur in der Wikipedia, sondern überall – auch kommerziell – (weiter-)genutzt und verändert werden. Auf nichtkommerzielle Nutzung beschränkte Lizenzen gelten nicht als frei.
„Man sollte nicht übersehen, dass es Wikipedia – Die freie Enzyklopädie heißt. Immer wieder wird vergessen, dass das freie hier für die unbeschränkte(!) Nutzung und auch Weiternutzung(!) der Inhalte steht. Und genau darauf soll sich jeder Wikipedia-Nutzer verlassen können. Dementsprechend muss die Lizenzierung aller Fotos auch dergestalt sein, dass die Weiternutzung auch gewerblich möglich ist und dass die Lizenz bei Weiternutzung auch übernommen werden muss. (Wikipedia-Autor „Blutgretchen“ in der Diskussion zur „Initiative für die Panoramafreiheit/Leserinformation„)
Der Vorschlag würde also die Freiheit der Weiterverwendung von Bildern zu allen, auch zu kommerziellen Zwecken, beschränken und bedroht insofern die freien Inhalte, weshalb er in der “Freie-Inhalte”-Bewegung, zu der sich Wikipedia zählt, auf starke Ablehnung stößt.
Nichtkommerzielle Nutzer dürfen sich die Lizenz aussuchen
Schaut man allerdings genau hin, zeigt sich, dass sich zumindest nichtkommerzielle Nutzer die Lizenz aussuchen und gegebenenfalls eine nichtkommerzielle Weiternutzung erzwingen können. Wie der Wikipedia-Autor „Sinuhe20“ zeigt, ist es schon jetzt problemlos möglich, Bilder bei Commons unter der auf Commons an sich unzulässigen Lizenz „cc-by-nc“ (nc=Non-Commercial) hochzuladen und in Artikeln zu verwenden.
Voraussetzung für die Verwendung von „Non-Commercial-Lizenzen“ ist jedoch, dass das Bild mehrfachlizenziert ist mit mindestens einer zulässigen Lizenz (z.B. CC BY-SA 3.0 DE). Kommerzielle Nutzer sind hingegen gezwungen, unter GFDL zu veröffentlichen. Diese Lizenz gestattet die Vervielfältigung, Verbreitung und Veränderung des Werkes, auch zu kommerziellen Zwecken.
Von dem Vorschlag sind also insbesondere diejenigen betroffen, die Bilder aus der Online-Enzyklopädie kommerziell weiternutzen wollen. Derjenige, der Wikipedias freie Bilder von beispielsweise Gebäuden mit kommerziellen Interessen weiternutzen möchte, müsste sich nach dem neuen Vorschlag um eine Einwilligung des Architekten bemühen. Das ist aber, um es mit den Worten des Wikipedianers Quaestio Iuris zu sagen:
„Sein Problem, nicht das von Wikipedia.“
Auch die Nutzer von Facebook müssen sich, anders als Julia Reda meint, wohl keine Sorgen machen, dass sie ihre Fotos oder Videos weiterhin in sozialen Medien teilen können. Wie die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst in ihrem Sonder-Newsletter mit dem Titel „Die Debatte um die Panorama-Freiheit – ein Versuch der Versachlichung“ zeigt, sind die Nutzungsbedingungen von Facebook gar nicht das Problem.
Nach diesen Geschäftsbedingungen räume der Nutzer Facebook zwar die Rechte an allen eingestellten Inhalten ein. Fehle die Panoramafreiheit für kommerzielle Nutzungen, wie das in Frankreich jetzt schon der Fall sei, so führe das aber nicht dazu, dass die Rechteinhaber gegen einzelne Nutzer vorgehen. Denn urheberrechtlich verantwortlich sei Facebook und nur das Unternehmen handele kommerziell, nicht die Nutzer der Plattform.
Die EU-Kommission entscheidet!
Bei Wikipedia tut man so, als stünde die die Abschaffung der Panoramafreiheit kurz bevor. Um diesen Eindruck zu hinterlassen, werden entscheidende Tatsachen weggelassen. Jeder sollte sich klar machen, dass es sich hierbei um eine Kampagne handelt.
Die Fakten:
- Mit der Plenarabstimmung am 9. Juli wird keine Europäische Urheberrechtsreform beschlossen. Es handelt sich lediglich um einen nicht-legislativen Initiativbericht zur Implementierung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft.
- Mit diesem Bericht gibt das Europäische Parlament lediglich Empfehlungen an die Europäische Kommission, an welchen Stellen im Bereich des Urheberrechts in der Europäischen Union nachjustiert werden könnte.
- Nur die Kommission kann ein Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene einleiten. Die Kommission will im nächsten Halbjahr einen Legislativvorschlag zum Urheberrecht erarbeiten, der dann von Parlament und Rat beraten wird. Die Abstimmung des Europäischen Parlaments im Juli hat also keinerlei rechtlichen Auswirkungen.
Update 1: Das EU-Parlament hat den „Reda-Bericht“ zum Urheberrecht debattiert und per Abstimmung angenommen. Die Änderungen zur Einschränkung der #Panoramafreiheit sind nicht mehr enthalten.
Update 2: Bis zum 15. Juni 2016 findet eine öffentliche Konsultation zur Rolle der Verleger in der urheberrechtlichen Wertschöpfungskette und der „Panorama-Ausnahme“ statt.
Sie sprechen es in ihrem Beitrag kurz an, Freie Lizenzen. Genau darum geht es u.a. der deutschen Wikimedia-foundation.
Freie Lizenzen, egalisieren die Verwendung von Inhalten (hier spricht spricht CC explizit von Inhalten). In der Anwendung bedeutet das u.a. das es keine Rolle spielt ob ein profitorientiertes Unternehmen oder ein völlig ungewerblicher Teilnehmer den Inhalt nutzt.
Die Ersatzlose Streichung von Einteilung der Nutzer in kommerzielle und nichtkommerzielle Nutzer, schärfer formuliert, Spaltung in verschiedene Nutzergruppen ist mit Freien Lizenzen nicht möglich. Frei Lizenzierte Inhalte sind vielen Rechteverwertern u.a. deswegen ein Dorn im Auge, weil sie ihr bisheriges Geschäftsmodell der Exklusivität bedroht sehen. – zu recht, kein Grund sich nicht neue Geschäftsmodelle anzueignen.
Die großen Inhalteanbieter wie Verlage haben entsprechende Lobbyarbeit bei den konservativen Ausschussmitgliedern geleistet. Glücklicherweise hat das EU-Parlament in seiner Mehrzahl eine andere Position eingenommen als der Rechtsausschuss.
Ich geb ihnen Recht, das Thema der Novellierung des Urheberrechts wird erst mit dem ersten Entwurf der EU-Kommission, heiß werden.
Die Wikipedia ist nicht einfach eine möglichst gute, kostenlose Online-Enzyklopädie, sondern die Wikipedia ist ein Projekt der „Freie-Inhalte“-Kultur.
Freie Inhalte, die mit Freier Software anfingen, müssen die vier Freiheiten erfüllen, die unter https://freedomdefinded.org dargestellt sind. Dazu gehört zwingend die Freiheit der Weiterverwendung zu allen, auch kommerziellen Zwecken. Stellen Sie sich Software wie Linux oder Firefox vor, die nicht auch im kommerziellen Umfeld eingesetzt werden dürfte: Die Idee ist absurd. Genauso frei müssen alle Inhalte der Wikipedia sein. Das ist Kern der Kultur und eine von nur vier Grundprinzipien des Projekts. Diese vier Grundprinzipien sind in die Satzung der Wikimedia Foundation aufgenommen worden und können nicht geändert werden.
Dass ein Projekt namens „Wiki-Watch“ diese kulturellen und rechtlichen Grundlagen der Wikipedia nicht kennt und so lässig damit umgeht, spricht nicht für das Projekt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Grundprinzipien
Hallo H-stt, vielen Dank für Ihren Kommentar. Offenbar haben Sie unseren Beitrag nicht aufmerksam genug gelesen. Wir erwähnen in dem Text ausdrücklich, dass freie Inhalte zu den Grundprinzipien der Wikipedia zählen. Insofern kann ich Ihre Kritik nicht nachvollziehen.
Genau das ist doch euer Irrtum.
Als Teil der „Freie-Inhalte“-Bewegung will und darf die Wikipedia nur Inhalte nutzen, die zu jedem Zweck, auch kommerziell weiter genutzt werden können. Inhalte, bei denen ein (kommerzieller) Weiternutzer dann noch weitere Erlaubnisse bei Dritten einholen müssten, sind nicht „Frei“ im Sinne der obigen Definition und dürfen daher in der Wikipedia nicht verwendet werden.
Das ist Kern der Kultur der Wikipedia und der gesamten „Freie-Inhalte“-Bewegung. Der oben zitierte Quaestio Iuris hat das offenbar nicht verstanden oder es ist ihm nicht wichtig.
„Frei“ sind die Inhalte nicht. Wer ist bei Panoramafreiheit der Dritte? Der Architekt als Urheber oder der Knipser, der einen Schnellschuss auf Commons hochgeladen hat? Womit begründet die Wikipedia höhere Rechte eines Knispsers gegenüber einem Architekten. Warum muss man auf die Namensnennung des Knipsers Rücksicht nehmen (falls nicht, dann steht der Anwalt vor der Tür!) ?
Der Dritte, bei dem eine Genehmigung eingeholt werden müsste, ist in diesem Fall der Architekt. Der Fotograf hat seine Einwilligung ja bereits erteilt, als er das Bild unter eine Freie Lizenz gestellt hat.
Daher ist deine weitere Annahme von einer Bevorzugung des Fotografen Unfug. Aber das sind wir bei dir gewohnt (Hinweis für die Mitlesenden: Arcy ist ein unbegrenzt gesperrter ehemaliger Wikipedianer).
Die sogenannte Panoramafreiheit ist eine Freiheit. Sie gestattet jedem, von öffentlichem Grund (wozu z. B. In Mexiko auch das Innere öffentlich zugänglicher Gebäude zählt) sichtbares abzubilden (als Foto, Zeichnung, Gemälde) und die Abbildung frei zu verwenden. Insofern ist es bemerkenswert, dass ein sogenannter Liberaler deren Abschaffung fordert. Für die Allgemeinheit ist die Panoramafreiheit ein Gewinn. Wer also wird durch sie benachteiligt? Wer soll vor ihr beschützt werden? Die Gegner der Panoramafreiheit verweisen auf ein Geschäftsmodell, dass durch Christos Verhüllten Reichstag Bekanntheit erlangte: Für alles von Menschen gestaltete steht dem Urheber das Recht zu, jegliche Nutzung zu bestimmen. Selbst das Zeigen eines Fotos eines Genäudes stellt eine Nachnutzung dar. Klingt nach einer guten Idee: wie bei Komponisten, Malern und Schriftstellern erhalten die Nachfahren bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers Tantiemen. Aber die Architekten wollen keine GEMA für Gebäude. Sie sehen zu Recht ihr jetziges Geschäftsmodell in Gefahr und die Zahlung ihres Honorars in eine unbestimmte Zukunft verlängert. Der Aufbau eines entsprechenden Rechteverwertungssystems wäre zudem mit einem gigantischen, auch finanziellen Aufwand verbunden. Ohne Bilderkennungssoftware wäre es unmöglich alle Rechteinhaber eines Stadtpanoramas zu ermitteln.
Die Panoramafreiheit stellt einen enormen Vorteil für das Projekt Wikipedia dar. Ihre Abschaffung würde das Projekt auf Jahrzehnte schlechter stellen, da es in weiten Teilen ohne Abbildungen auskommen müsste.
Sie gehen in ihrem Beitrag außerdem nicht darauf ein, dass es keine gebrauchsfähige Definition einer kommerziellen Nutzung gibt. Die Grenzen zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller sind mehr als verschwommen. Wenn beispielsweise in ihrem Blog irgendwo ein Link, ein Bild oder ein Text als werblich angesehen werden könnte, wären die Nutzung NC-lizensierter Inhalte verwehrt.
Dass sich mehrere Tausend Wikipedia-Autoren einer Kampagne gegen den Versuch der Abschaffung der Panoramafreiheit anschließen ist also kein spinnerter Aktionismus, sondern eine wohldurchdachte Verteidigung einer der Grundlagen Freier Inhalte.
Das könnte ein enormes Problem für Wikipedia werden. Ich bin gespannt, was letztendlich die Folgen sein werden.