Ein Skandal, der keiner ist: Zum Spiegel-Artikel „LKA wollte Wikipedia-Eintrag schönen“

In seiner aktuellen Print-Ausgabe berichtet Der Spiegel über den Versuch des Landeskriminalamts (LKA) Thüringen, den eigenen Eintrag in der Wikipedia zu schönen. Das LKA kürzte dem Nachrichtenblatt zufolge massiv den Absatz „Kritik“ und löschte dort mehrere Vorwürfe. Was sich nach einem handfesten Skandal anhört, ist in Wirklichkeit keiner.

Marvin Oppong ist bekannt für seine Kritik an Wikipedia und inzwischen ein gefragter Experte, wenn es um PR-Manipulationen bei der Online-Enzyklopädie geht. Seine Studie „Verdeckte PR in Wikipedia – Das Weltwissen im Visier von Unternehmen“ sorgte für einigen Wirbel, musste aber auch Kritik einstecken.

Kritik muss sich Oppong auch an seinem neuen Artikel für den Spiegel gefallen lassen. Denn der Journalist ließ entscheidende Fakten einfach weg. Schon die Überschrift gibt die Marschroute vor: „LKA wollte Wikipedia-Eintrag schönen.“

„[…] Schade das mal wieder die Spiegelredakteure so wenig Medienkompetenz besitzen, sich über die wahren Hintergründe per Rechereche ein Bild zu machen. […].Oliver S.Y. (Diskussion) 19:21, 16. Jan. 2015 (CET)“ (Kommentar eines Users auf der Wikipedia-Diskussionsseite)

Die Wahrheit sieht anders aus – lässt sich jedoch journalistisch nicht annähernd so gut vermarkten wie ein zum Skandal aufgeblähter Artikel. Tatsächlich hat das LKA Thüringen zunächst einmal vieles richtig gemacht: Die Landesbehörde legte sich einen inzwischen verifizierten Benutzer-Account an und bat um Unterstützung durch einen Wikipedia-Mentoren.

LKA Thüringen spielt mit offenen Karten

Die LKA-Pressestelle verhält sich geradezu mustergültig: Sie spielt mit offenen Karten (auf der Benutzerseite sind E-Mail-Adresse und Telefonnummern zur Kontaktaufnahme hinterlegt) und zeigt sich offen diskussionsbereit.

„Wir stellen uns gern jeglicher berechtigter öffentlicher Kritik und nehmen diese dankbar an. […] Unser Anliegen ist es, über die Aufgaben der Behörde eine möglichst objektive Sicht zu geben. Dazu ist der gestrige Text als Vorschlag gedacht. Wir bitten ihn entsprechend der Wikipedia-Gepflogenheiten zu nutzen und gegebenenfalls zu verbessern.“

Nichts deutet darauf hin, dass das LKA den Account nur deshalb angelegt hat, um sein Image aufzupolieren. Dass daraus in den Medien dennoch ein Skandal gemacht werden würde, ahnten einige Autoren der Wikipedia schon vorher.

„Ja klar, überall Korruption usw. Wenn das von der Journallie auch noch so mies recherchiert wird, wie es Oppong üblicherweise tut, dann kommt wirklich eine Affäre bei raus. —Pölkky 18:33, 6. Nov. 2014 (CET)“

Bisheriger Abschnitt „Kritik“ ein Witz

Das eigentliche Problem sind nicht die Kürzungen im Absatz „Kritik“. Erschreckend ist vielmehr, was bisher in diesem Abschnitt stand (und wieder steht). Mit enzyklopädischer Ausgewogenheit (WP:NPOV) hat das wenig zu tun.

„[…] Es stellt sich die Frage, ob es nicht eher eine Peinlichkeit für den Anspruch von Wikipedia als Enzyklopädie war, daß diese 3 Zeilen alles an Kritik war, was sämtliche aktive Benutzer zu dem Thema für ausreichend befanden. […] Oliver S.Y. (Diskussion) 19:21, 16. Jan. 2015 (CET)“ (Kommentar eines Users auf der Wikipedia-Diskussionsseite)

Die Kritik am LKA Thüringen im Zusammenhang mit dem NSU, die ursprünglich aus einem Spiegel-Artikel und einer ARD-Dokumentation zusammengeschustert worden war, wurde zwar inzwischen erweitert, ist aber nach wie vor einer Enzyklopädie unwürdig.

Zusammenarbeit zahlt sich aus

Natürlich war es ungeschickt von der Pressestelle des LKA Thüringen, derart umfangreiche Änderungen am eigenen Artikel vorzunehmen. Eine Behörde, die bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen versagt hat, hätte ahnen müssen, dass sie auf massive Kritik stößt, wenn sie eine kritische Passage über das eigene Wirken löscht.

Doch dahinter steckte erkennbar keine böse Absicht. Vielmehr zeigt sich hier die Unerfahrenheit der Pressestelle im Umgang mit Wikipedia. Auch Wiki-Watch macht die Erfahrung, das Unternehmen und Organisationen im Umgang mit dem Online-Nachschlagewerk sehr unsicher sind.

Erst kürzlich erreichte uns die Zuschrift der skandalgeplagten EBS Universität für Wirtschaft und Recht aus Wiesbaden in Hessen, die sich durch einen verleumderischen Artikel in der Wikipedia in ihrer Existenz bedroht sieht. Wie soll die Uni reagieren? Darf sie den Artikel selbst verbessern? Und wenn ja, wie? Was ist zu tun, wenn sich die zwei bis drei Autoren, die den Artikel fest in der Hand haben, nicht überzeugen lassen?

„Ein paar einflussreiche Autoren haben den Wikipedia-Artikel nun zum Sammelsurium jeglicher Skandale gemacht und beschrieben diese im Detailgrad einer Tageszeitung. Zusätzliche Aufmerksamkeit wird den Skandalen zudem gegeben, indem diese in so viele skandalöse Unterteile mit eigenen Überschriften unterteilt werden wie möglich. So wird in den Titeln unter anderem über eine Insolvenz der Uni spekuliert. In der bewusst suggerierten baldige Insolvenz der Uni sehe ich die ernste Gefahr einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.” (EBS-Student in einer E-Mail an Wiki-Watch)

Fazit: Beim Artikel zum Landeskriminalamt Thüringen arbeiten die meisten User konstruktiv mit der Pressestelle des LKA zusammen. Im Vordergrund steht die Arbeit an der Enzyklopädie. Ziel ist es, den Artikel weiter zu verbessern. Das hat durchaus Vorbildcharakter und eignet sich rein gar nicht für einen Skandal.

http://www.oppong.eu/
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4 Antworten zu Ein Skandal, der keiner ist: Zum Spiegel-Artikel „LKA wollte Wikipedia-Eintrag schönen“

  1. Felix sagt:

    Nicht das erste Mal, dass Oppong aus einem Edit bei Wikipedia einen Skandal machen will. http://blog.oldmedia.de/2012/03/12/marvin-oppong-und-pr-in-der-wikipedia/

  2. Markus sagt:

    „Erst kürzlich erreichte uns die Zuschrift einer Universität aus Hessen, die sich durch einen verleumderischen Artikel bei Wikipedia in ihrer Existenz bedroht sieht. Wie soll die Uni reagieren? Darf sie den Artikel selbst verbessern? Und wenn ja, wie? Was ist zu tun, wenn sich die zwei bis drei Autoren, die den Artikel fest in der Hand haben, nicht überzeugen lassen?“

    Um welchen Artikel geht es denn? Es gibt rund 10 Universitäten in Hessen. Nach Durchsicht der jeweiligen Artikel kann ich diese Aussage nicht nachvollziehen.

    • Falke sagt:

      Hallo Markus, es geht um den Eintrag der EBS Universität für Wirtschaft und Recht. Die Uni hat in der jüngeren Vergangenheit für zahlreiche negative Schlagzeilen gesorgt. Das schlägt sich auch bei Wikipedia nieder.

      Die Uni ist der Meinung, dass die Berichterstattung bei Wikipedia „einzig darauf ausgelegt ist, zu skandalisieren und potenzielle Studienbewerber abzuschrecken.“ Dies geschehe durch langatmige und detaillierte Nacherzählungen von Zeitungsberichten und Blogs, die „nicht [den] Zweck eines Nachschlagewerks“ erfüllen. Bei anderen privaten Hochschulen fänden sich auch Eintragungen zu finanziellen Problematiken (z.B. Witten-Herdecke), allerdings bei weitem nicht in diesem Umfang, so die Uni. Alle Versuche der Diskussion und Änderung hätten die Einträge nur noch ausführlicher gemacht.

      Ein Student, der uns ebenfalls schrieb, ergänzte: „Ein paar einflussreiche Autoren haben den Wikipedia Artikel nun zum Sammelsurium jeglicher Skandale gemacht und beschrieben diese im Detailgrad einer Tageszeitung. Zusätzliche Aufmerksamkeit wird den Skandalen zudem gegeben, indem diese in so viele skandalöse Unterteile mit eigenen Überschriften unterteilt werden wie möglich. So wird in den Titeln unter anderem über eine Insolvenz der Uni spekuliert. In der bewusst suggerierten baldige Insolvenz der Uni sehe ich die ernste Gefahr einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung“, so der Student. Seine Vorschläge für den Wikipedia-Artikel habe er bereits auf der Diskussionsseite gepostet, allerdings ließen sich die 2-3 Autoren, die den Artikel fest in der Hand haben, davon nicht überzeugen.

      • Markus sagt:

        Hi Falke. Danke für die Info.

        Die Kritik der Hochschule kann ich aber nicht ganz nachvollziehen. Sofern ich das sehe, sind alle kritischen Abschnitte ziemlich gut belegt und bilden schlicht Tatsachen ab. Klar kann man über die Gewichtung streiten, wobei das halt Auslegungssache ist. Logisch, dass die Hochschule lieber einen geringeren Umfang möchte. Und die Wikipedia-Autoren lassen sich nie auf eine Argumentation a la „In dem anderen Artikel sieht es aber so und so aus“ ein. Egal, welches Thema betroffen ist.

        Der letzte Versuch einer Diskussion von dem Konto der Hochschule scheint vom Juli 2013 zu sein: https://de.wikipedia.org/wiki/Spezial:Beitr%C3%A4ge/Ebsuni

        Und da ging es scheinbar nur um einen einzigen Abschnitt (der mit dem Alkoholmissbrauch, der auch die Gegendarstellung enthält), der Rest des Artikels wird überhaupt nicht angesprochen.

        Es ist ja nicht die Schuld der Autoren, wenn die Hochschule vergleichweise häufig wegen solcher Kontroversen in den Medien ist. Sie bilden das nur ab.

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