Der Zölibat und die Frage der Relevanz


193 Theologieprofessorinnen und -professoren haben ein am vergangenen Freitag veröffentlichtes „Memorandum zur Krise der katholischen Kirche“ bislang unterzeichnet. „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“ ist es überschrieben. „Gut ein Jahr ist vergangen, seit am Berliner Canisius-Kolleg Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute öffentlich gemacht wurden. Es folgte ein Jahr, das die katholische Kirche in Deutschland in eine beispiellose Krise gestürzt hat„, schreiben die Theologen. Und sie fragen offen: „Wird die vielleicht letzte Chance zu einem Aufbruch aus Lähmung und Resignation durch Aussitzen oder Kleinreden der Krise verspielt?“ Auch in Wikipedia sind Memorandum und Reaktionen darauf dokumentiert.

Der Zölibat, das Versprechen der Ehelosigkeit „um des Himmelsreiches willen“ (Mt 19,12), rückt auch durch diese Erklärung gut sieben Monate vor dem ersten offiziellen Staatsbesuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland wieder in den Mittelpunkt der Debatte. Die Unterzeichner des Memorandums beziehen klar Position: Gegenwärtig erodiere das Gemeindeleben, heißt es darin. Gläubige blieben fern, wenn ihnen nicht zugetraut werde, Mitverantwortung zu übernehmen und sich in demokratischeren Strukturen an der Leitung ihrer Gemeinde zu beteiligen. Darauf folgt ganz deutlich die Forderung nach einem Ende des Zölibats: „Die Kirche braucht auch verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt.“

Der ausführliche Wikipedia-Eintrag über den Zölibat wurde von 207 Autoren geschrieben. 678 mal wurde der Artikel bearbeitet, mit 43 Quellenangaben und 336 Links versehen. Die Wiki-Watch-Bewertung ist exzellent in allen Kategorien. Dennoch: In den vergangenen 24 Stunden gab es sieben Reverts, also Löschungen vorangegangener Einträge: Das bedeutet: Edit-War. Die Passagen um die neu aufgeflammten Debatten werden auf der Diskussionsseite kontrovers diskutiert. Im Mittelpunkt steht, wie so oft, die Frage: Was ist relevant für die Wikipedia? Welche Stimmen in der Öffentlichkeit haben nur einen Nachrichtenwert, welche sind schon Beiträge zu einer öffentlichen Debatte?

Beispielhaft ist die Bezugnahme auf ein Dokument, das jetzt nach 41 Jahren wieder öffentlich wurde: In diesem Memorandum aus dem Februar 1970 forderten die Bischöfe Joseph Ratzinger, Walter Kasper und Karl Lehmann, die „Pflicht der Priester zur Ehelosigkeit auf den Prüfstand zu stellen“. Die Erklärung ist im Wikipedia-Eintrag kurz erwähnt, die Wikipedianer haben nach ausführlicher Diskussion keine größere, neue Relevanz des Dokuments gesehen. Das ist schlüssig. Denn die damalige Erklärung konnte kaum als ein Aufruf zur Abkehr vom Zölibat verstanden werden. Wörtlich hieß es: „Die Unterzeichner bitten die deutschen Bischöfe, die hier unternommenen Überlegungen in keiner Weise als eine Bekämpfung des Zölibats selber misszuverstehen.

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