Verschwendung von Wikipedia-Spenden: Sue Gardner warnt vor Korruption bei der Wikimedia-Stiftung

Die scheidende Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation hat nichts mehr zu verlieren. Mitten in der Spendenkampagne 2013 kritisierte Sue Gardner mit ungewohnt drastischen Worten dasjenige Gremium, das in der Wikimedia-Bewegung maßgeblich über die Verteilung der Spendengelder entscheidet.

Wer ist dieses Gremium und was kritisiert Sue Gardner?

Seit 2012 prüft und bewertet das sog. Funds Dissemination Committee (FDC) zwei Mal jährlich die Anträge der Wikimdia-Vereine auf Bereitstellung von Geldmitteln aus den Spendeneinnahmen über die Wikimedia-Projekte.

Am Ende des Bewertungsprozesses gibt das FDC eine Empfehlung an das Board of Trustees der Wikimedia Foundation ab, das dann endgültig darüber entscheidet, ob und in welcher Höhe die beantragten Gelder zur Verfügung gestellt werden (Details hier).

Laut Kurier geht es um 11 Wikimedia-Organisationen (10 nationale Wikimedia-Vereine und eine thematische Organisation), die Anträge in Höhe von gut 5,8 Mio. US-Dollar eingereicht haben.

Wikimedia-Vereine verschwenden Geld

Das ist kein Pappenstiel. So viel Geld gehört in vertrauensvolle Hände. „Verschwendung überlassen wir anderen“, heißt es in der Bitte um Spenden von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales.

Liest man Sue Gardners brisanten Bericht über das erste Jahr des FDC-Prozesses, kommen ernsthafte Zweifel daran auf, ob die FDC-Gelder wirkliche effektiv eingesetzt werden.

„I believe that currently, too large a proportion of the movement’s money is being spent by the chapters. (…) I am not sure that the additional value created by movement entities such as chapters justifies the financial cost, and I wonder whether it might make more sense for the movement to focus a larger amount of spending on direct financial support for individuals working in the projects.“

Gardner kritisiert, dass viel zu viel Geld an die nationalen Wikimedia-Vereinen (sog. Chapter) fließt. So gingen 2012 etwa 83 Prozent der Zuwendungen (4,71 Mio. US-Dollar) an die Wikimedia-Organisationen, hauptsächlich an die Chapter. Wäre es nicht viel sinnvoller, mehr Geld einzelnen Community-Mitgliedern zu geben, die damit vernünftige Projekte finanzieren?

Kuhhandel und andere korrupte Praktiken

Das meiste Spendengeld kommt nicht der Community zugute. Der überwiegende Teil der Einnahmen geht direkt an die Organisationen. Denn deren Mitglieder dominieren das Spendenverteilungs-Komitee. Nur sehr wenige unabhängige Community-Mitglieder beteiligen sich an dem FDC-Prozess.

“I believe the FDC process (…) does not (…) offer sufficient protection against log-rolling, self-dealing, and other corrupt practices.”

Es leuchtet ein, dass ein so einseitig besetztes Komitee anfällig ist für Kuhhandel (log-rolling), Insichgeschäfte (self-dealing) und andere korrupte Praktiken.

Wachsende Institutionalisierung: Hohe Kosten – wenig Nutzen

Gardners Kritik richtet sich auch gegen die wachsende Institutionalisierung der Wikimedia-Bewegung. Tatsächlich wird die Wikimedia Foundation, die neben Wikipedia auch zahlreiche Schwester-Projekte betreibt, von Jahr zu Jahr größer und damit zwangsläufig professioneller. Deutlich sichtbar ist das an der kontinuierlich wachsenden Zahl festangestellter Mitarbeiter.

2010 hatte Wikimedia noch überschaubare 35 Angestellte. Im Mai 2011 waren es schon 65 Mitarbeiter. Bis November 2012 verdoppelte sich die Zahl der Angestellten fast noch einmal. Offenbar waren 147 Festangestellte noch immer nicht genug: Im Oktober 2013 stieg die Zahl der Mitarbeitern auf 186. Das personelle Wachstum der Stiftung geht einher mit jährlich steigenden Ausgaben.

Die hohen Kosten stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen für Wikipedia und die anderen Wikimedia-Projekte. Es werde deutlich mehr Geld als nötig ausgegeben, analysiert Sue Gardner:

„(…) There is currently not much evidence suggesting this spending is significantly helping us to achieve the Wikimedia mission. I believe we’re spending a lot of money, more than is warranted by the results we’ve been seeing. (…) I believe that in order to justify the size of grants that have been sought, the entities involved should need to be able to say clearly how their plan will make an important contribution to helping the Wikimedia movement achieve its mission.“

Anasuya Sengupta, als „Senior Director of Grantmaking“ zuständig für die Spendengelder bei Wikimedia, bekräftigte bei einem Experten-Treffen am 3. Oktober 2013 (zu sehen auf YouTube, ab Minute 37) Gardners Kritik an der Verteilungspraxis. Es müsse in Zukunft viel stärker danach gefragt werden, wo die Gelder hingehen, wofür sie ausgegeben werden und welchen Nutzen das für die Community hat.

Die großen Profiteure bei der Mittelvergabe sind Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die im letzten Jahr etwa drei Millionen von insgesamt 5,65 Mio. US-Dollar des FDC erhalten haben.

Die jährlichen Wachstumsraten sind enorm und widersprechen selbst den Vorgaben des FDC. Wie Katy Love bei dem erwähnten Meeting (ab Minute 40) berichtet, hat allein Wikimedia Deutschland 36 Prozent mehr Mittel als im Vorjahr beantragt – das entspricht 2,4 Mio. US-Dollar (eine aufschlussreiche Übersicht ist hier als PDF zu finden).

Wikipedia Signpost schreibt dazu:

„Yet most of the 11 applicants are asking for considerably greater increases: Germany, the largest recipient—which already has access to generous levels of funding from German donors—is asking for 36% more ($2.43M). The UK’s claim is up 32% from last year, Argentina’s 34%, Switzerland’s 38%, Austria’s 41%, Serbia’s 111%, Israel’s 204%, and India’s 401%.“

Auch Benutzer:Jayen466 kritisiert auf einer Diskussionsseite das fehlende Kosten-Nutzen-Verhältnis. Es gäbe so viel Geld, dass die nationalen Wikimedia-Vereine oft nicht wüssten, wie sie es sinnvoll einsetzen sollen.

„Wie es um das Kosten-Nutzen-Verhältnis bestellt ist oder ob damit wirklich die objektiv förderungswürdigsten Bereiche (Lesernutzen! Anzahl der erreichten Leser!) in den Wikimedia-Projekten weltweit angesprochen werden, danach wird meines Erachtens wenig gefragt. Den Spendern wird indessen versprochen, dass wir ihr Geld ‚weise‘ investieren werden.“

Spenden sinnvoll einsetzen

Sue Gardners Analyse zeigt vor allem eins: Eine immer stärker wachsende Bürokratie verursacht hohe Kosten. Der Nutzen für Wikipedia ist in Relation zum finanziellen Aufwand kaum messbar. Statt in eine immer mehr Geld verschlingende Verwaltung zu investieren, sollte mehr Geld direkt in Community-Projekte fließen.

Solche Projekte fallen nicht vom Himmel. Ideen und Vorschläge müssen aus der Community selbst kommen. Doch Wikipedia leidet unter einem fundamentalen Problem: Es fehlen aktive und engagierte Autoren. Der Autorenmangel ist inzwischen zu einem der größten Risiken für das Freiwilligen-Lexikon geworden.

Korruption
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2 Antworten zu Verschwendung von Wikipedia-Spenden: Sue Gardner warnt vor Korruption bei der Wikimedia-Stiftung

  1. Haben Sie die Aussage, die Wikimedia Chapter würden Geld verschwenden überprüft? Sue Gardner stellt diese Frage in den Raum, ohne jedoch einen Beleg zu nennen. Die Berichte der Chapter sind öffentlich einsehbar. Jeder kann es nachprüfen. Ich denke, dass hinter Gradners Frage eher eine zentralistische Sichtweise steht. Sie hat Angst vor dem Kontrollverlust, der mit der Struktur der lokalen Wikimedia-Organisationen einher geht. Gegen eine starke Zentrale spricht zum einen jedoch die Strukur der Wikimedia Projekte. Diese sind nicht um die englische Wikipedia gruppiert, wie es von San Francisco aus vielleicht den Anschein hat („The English Wikipedia and it’s sister Wikipedias“) sondern vielmehr ein Commonwealth eigenenständiger Projekte. Zum anderen hat die Foundation wie auch andere international agierende Organisationen immer wieder gezeigt, wie schwer es ist, lokale Besonderheiten zu berücksichtigen.

    Und bitte sehen sie genauer hin, was Gardner zur Korruptionsgefahr schreibt. Sie sieht ein strukturelles Problem. Unsaubere Praktiken könnten durch eine überlegtere Besetzung des Kommittes viel besser ausgeschlossen werden. Das Niveau an Transparenz in diesem Prozess ist weltweit beispielhaft. Gardner merkt nur an, dass es noch weiter verbessert werden kann.

  2. Wikimedia Deutschland hat 2013 beispielsweise knapp €100.000 Euro dafür bewilligt, Wikipedianer mit einer Fotoausrüstung 1. zu Popkonzerten zu schicken 2. zu Regionalparlamenten zu schicken, um dort Politiker zu fotografieren und Kontakte zu knüpfen (siehe „Wikipedia:Community-Projektbudget/Bewilligte Anträge“ in der deutschen Wikipedia).

    Dass Wikipedianer solche Projekte toll und aufregend finden und sich über das Geld freuen, kann ich mir gut vorstellen. Aber die Leute, die das gelbe Spendenaufrufs-Banner sehen, meinen doch, der Foundation gehe das Geld aus und sie sei kurz davor, den Stecker zu ziehen. (In Wirklichkeit hat sie achtstellige Dollar-Cash-Reserven.)

    Diese Leser, die ein bisschen Geld für Wikipedia locker machen, stellen sich vor, dass ihre Spende dazu beiträgt, Wikipedia online zu halten. Sie denken doch nicht im Traum daran, dass ihre 20 Euro dazu benutzt werden, Wikipedianer auf Popkonzerte zu schicken!

    Wenn so viel Geld vorhanden ist, wäre es doch wohl eine höhere Priorität, ein paar Experten zu bezahlen, die wirklich kritische Wikipedia-Inhalte – etwa im medizinischen oder rechtlichen Bereich – begutachten, Schwachstellen und Verbesserungsprioritäten identifizieren und vielleicht selbst als Editoren Hand anlegen. Das ist doch, was der Leser wirklich von der Wikipedia will – sachlich korrekte Informationen.

    Man könnte die Spender ja auch mal fragen, was mit dem gespendeten Geld gemacht werden soll. Schließlich ist es ihr Geld. Aber diese Rückfrage findet nicht statt. Die Foundation sagt Danke, und die Vereine freuen sich und geben das Geld so aus, wie es ihnen beliebt.

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