Wikipedia und das eiserne Gesetz der Oligarchie

In diesem Post berichten wir über zwei neue Studien, die sich mit der Evolution der Wikipedia beschäftigen. Sie werfen ein düsteres Licht auf die Zukunft der Online-Enzyklopädie. Wir stellen sie Euch vor und beschreiben die Reaktionen.

Wikipedias Idee, Wissen miteinander zu teilen, begeistert Menschen auf der ganzen Welt. Doch eine aktuelle Studie (PDF) von Bradi Heaberlin und Simon DeDeo von der Indiana University Bloomington zeigt, dass dieses System nicht so gut zu funktionieren scheint, wie viele glauben. Tatsächlich habe sich die Online-Enzyklopädie von ihren frühen Idealen weit entfernt und sei zu einer konservativen, geschlossenen Bürokratie verkommen, die durch eine kleine Elite regiert wird.

Evolutionärer Stillstand

Die Wissenschaftler, die für ihre Untersuchung Daten der Enzyklopädie von 2001 bis 2015 auswerteten, stellten mehrere Besonderheiten bei Wikipedia fest. Evolutionär habe sich Wikipedia ziemlich konservativ entwickelt und die zu Beginn festgelegten Normen seien größtenteils beibehalten worden. Trotz des schnellen Wachstums der Community blieben die meisten der ursprünglich entwickelten Grundwerte („core norms“) unverändert, so die Studie.

Diese Grundwerte wie „verletze dein Gegenüber nicht„, „sei neutral„, „geh von guten Absichten aus“ und „belege alles, was du schreibst“ seien ursprünglich als lose Richtlinien gedacht gewesen, die im Verlauf der Evolution von Wikipedia wieder verworfen oder geändert werden. Aber dazu kam es nie.

Robert Michels vermutete, dass jede Organisation letztendlich zur Bildung einer Oligarchie führen müsse. Foto von Ssociólogos - http://bit.ly/1W2VeAe, CC BY 3.0, http://bit.ly/21r6OFo.

Die Wissenschaftler fanden heraus, das 89 Prozent dieser „Normen“ immer noch die gleichen sind wie am Anfang und mittlerweile einen fast schon mystischen Status genießen, erklärt Jennifer Ouellette vom einflussreichen Gadget-Blog Gizmodo. Mit anderen Worten: Die ersten Mitglieder der Community gaben den Ton an und alle Nachfolgenden fühlten sich gezwungen nachzuziehen.

„All of these core norms were created early in the system’s history. The majority were created before 2004, when the population was less than 3% of the March 2007 peak. The earliest members of the community first defined and articulated its core norms“

Regiert von einer kleinen Elite

Außerdem gehorche Wikipedia dem „eisernen Gesetz der Oligarchie„. Die Wissenschaftler spielen damit auf das vom deutsch-italienischen Soziologen Robert Michels vorgelegte Werk „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie“ an. Michels arbeitete in dieser Fallstudie der deutschen Arbeiterbewegung heraus, „dass jede Organisation, gleich, wie demokratisch oder autokratisch ihre Ideologie zu Beginn gewesen sein mochte, letztendlich zur Bildung einer Oligarchie führen müsse“. Seine Kernthese lautet:

„Die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über die Auftraggeber, der Delegierten über die Delegierenden.“

Für Michels führe die Etablierung einer Parteiorganisation zwangsläufig zu einem Verlust der innerorganisatorischen Demokratie und zu einem Verlust der Dynamik der Gruppe infolge der Trägheit bürokratischer Apparate.

„So wird die Organisation von einem Mittel zum Zweck zu einem Selbstzweck“

Auf Wikipedia übertragen bedeutet dies: Nur eine kleine, privilegierte Elite, deren Interessen sich immer weiter vom Rest der Gruppe entfernen und die eigenen Bedürfnissen und Zielen nachgeht, hat das Sagen bei Wikipedia. Und diese Tendenz werde sich in Zukunft noch verstärken. Mit den Worten von DeDeo:

„You start with a decentralized democratic system, but over time you get the emergence of a leadership class with privileged access to information and social networks. Their interests begin to diverge from the rest of the group. They no longer have the same needs and goals. So not only do they come to gain the most power within the system, but they may use it in ways that conflict with the needs of everybody else.”

„Der aussterbende männliche Schwarm“

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Wissenschaftler aus Korea. Wie die linke Tageszeitung taz in ihrer Online-Ausgabe berichtet, könnte Wikipedia unter der Last seiner Ungleichheit schon bald zusammenbrechen. Das Forscherteam um Jinhyuk Yun analysierte (Abstract und Volltext) dem Beitrag zufolge über 34 Millionen Wikipedia-Artikel, fast 590 Millionen Änderungseinträge – zwei komplette Wochen Prozessorenarbeit. Ihr Ergebnis: Die Zahl der Autoren begann zu schrumpfen, und mit ihnen wuchs der Einfluss einiger weniger.

„Langfristig jedoch glauben wir, dass die Entwicklung der sinkenden Autorenzahlen zu einer existenziellen Bedrohung für Wikipedia wird.“

Aufgrund ihrer polarisierenden Natur übten kontroverse Themen, etwa die Anschläge vom 11. September 2001, für Autoren einerseits den größten Reiz aus, sie aktiv mitzugestalten. Gleichzeitig sinke jedoch bei jenen besonders häufig editierten Artikeln die Anzahl an Nutzern mit der Zeit am drastischsten. Konkret: Die meistdiskutierten Artikel würden schlussendlich von einigen wenigen Individuen dominiert. Durch ihre Hartnäckigkeit bauen die „super editors“ einen elitären Zirkel auf – und schrecken potenzielle neue Autoren ab, so Fabian-Kretschmer von der taz.

Shitstorm aus der Wikipedia-Community

Taz-Autor Kretschmer musste nicht lange auf den Shitstorm warten. Kurz nach Erscheinen seines Beitrags erschienen die ersten polemischen Anmerkungen zu seinem Text, in denen er nicht nur wegen der falschen Schreibweise „Jinyhun Yun“ als „Stümper“ bezeichnet wird. Auch der Journalist und Autor der Studie „Verdeckte PR in Wikipedia“ (hier unser Faktencheck) Marvin Oppong übte via Twitter inhaltliche Kritik an dem Text.

Die Community legte umgehend nach und offenbarte weitere Schwächen in dem Artikel. Auch die Studie selbst konnte nicht überzeugen. Zudem können viele Teilnehmer an der Diskussion die These vom „Untergang der Wikipedia“ nicht mehr hören.

„Die zunehmenden Wikipediadämmerungs-Abgesänge der Journalisten rühren wohl daher, dass sie angesichts sinkender Auflagenzahlen und unbefriedigender Zugriffszahlen ihre gut bezahlten Felle wegschwimmen sehen – ein generelles Problem der Konkurrenz durch Internet-Umsonstkultur. Da können die Zeitungen aber nur mit wirklichem Qualitätsjournalismus entgegensteuern. (Benutzer „Superikonoskop“ in der Diskussion zum Kurier-Artikel “Ein Leckerli für Freunde des Qualitätsjournalismus”)

Doch die Kernfrage bleibt: Wird Wikipedia wirklich von ein paar wenigen „Super Editoren“ dominiert und führt das langfristig zu einem Problem?

Update: Fabian Kretschmers taz-Artikel erschien in leicht geänderter und – jedenfalls zum Teil – korrigierter Form nun auch in der Online-Ausgabe der österreichischen Tageszeitung Der Standard.

Enzyklopedie

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Wikimedia-Chefin Lila Tretikov tritt zurück

Nach nicht einmal zwei Jahren an der Spitze der Stiftung hinter Wikipedia und ihren Schwesterprojekten tritt deren Chefin Lila Tretikov nach einem regelrechten Aufstand der Angestellten von ihrem Posten zurück. Zum Sturz führten Pläne der Wikimedia Foundation einen möglichen Google-Konkurrenten zu bauen.

Die schwelende Führungskrise bei der Wikimedia Foundation hatte schon den 15. Geburtstag von Wikipedia überschattet: ein von der Community gewähltes Vorstandsmitglied wurde von der Foundation ohne Angabe von Gründen aus dem Gremium geworfen. Ein gerade frisch nominierter Ex-Google-Manager musste nach heftiger Kritik und einem Misstrauensvotum von Wikipedianern seinen Posten wieder räumen.

Tretikov teilte ihren Rücktritt ohne Angabe von Gründen auf einer Mailingliste mit. Foto: Von VGrigas (WMF) - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44072628.

Die immer lautere Kritik am Führungsstil von Lila Tretikov war nicht zu übersehen. Wie heise.de, süddeutsche.de und faz.net berichten, war die im Software-Bereich erfahrene Managerin an die Spitze der Wikimedia-Stiftung berufen worden, um sie zu einer schlagkräftigen „High-Tech-NGO“ auszubauen. Doch die Umbau-Bemühungen Tretikovs ließen ihre Mitarbeiter oft demotiviert und orientierungslos zurück. Immer mehr Angestellte verließen die Wikimedia Foundation.

Pläne für Google-Konkurrenten verheimlicht

Den Höhenpunkt erreichten die Querelen, nachdem durchsickerte, dass Wikimedia eine neue Suchmaschine plant, für deren Entwicklung die Stiftung bereits eine Spende von 250.000 Dollar erhalten hatte. Erst nach großem Druck aus der Community hatte Tretikov die zunächst geheim gehaltene Spendenvereinbarung mit der Knight Foundation veröffentlicht.

Details aus dem Kontrakt schürten den Verdacht, dass ein direkter Konkurrent zu etablierten Plattformen wie Google, Bing oder Yahoo geplant ist.

Auf Seite 10 heißt es:

„Die Knowledge Engine von Wikipedia wird das Auffinden von Medien, Nachrichten und Informationen demokratisieren. Sie wird die relevantesten Informationen des Internets besser zugänglich und öffentlich editierbar machen. (…) Heutzutage dominieren kommerzielle Suchmaschinen die Suche im Internet. Ihre Algorithmen verschleiern, wie die Informationen im Internet gesammelt und angezeigt werden.“

Die Kritik an Tretikovs intransparenter Führung spitzte sich weiter zu, nachdem sie in einem Blogpost gleichwohl versichert hatte, keine Suchmaschine entwickeln zu wollen.

Sie schrieb:

„Was wir tun? Wir bauen keine globale Crawler-Suchmaschine. Wir bauen kein weiteres, eigenes Wikimedia-Projekt. (…) Trotz gegenteiliger Nachrichten wollen wir nicht mit anderen Suchmaschinen konkurrieren, Google eingeschlossen.“

Doch anders als Tretikov zunächst beteuerte, gab es zuvor sehr wohl Pläne, Google mit einer Suchmaschine Konkurrenz zu machen. Wie heise.de berichtet, waren die Pläne allerdings schon vor einiger Zeit zusammengestrichen worden, nachdem sich die als Geldgeber vorgesehene Knight Foundation nicht hat überzeugen lassen.

Heute ist das Suchmaschinen-Projekt „Discovery“ darauf beschränkt, die interne Suche der Wikipedia zu verbessern. Ein freier und offener Google-Konkurrent ist endgültig vom Tisch, so Torsten Kleinz bei zeit.de.

In einem Meeting warfen ihr die Angestellten der Stiftung denn auch vor, Pläne der Foundation nicht klar genug kommuniziert und nur die halbe Wahrheit gesagt zu haben. Einer der Teilnehmer sagte, die Stiftung habe durchaus „große Pläne“ für eine Suchmaschine gehabt, diese aber wieder fallen gelassen.

Lila Tretikov zog am 25. Februar 2016 die Konsequenzen aus dem Desaster und trat zurück. Die russischstämmige Programmiererin hatte im April 2014 die Nachfolge von Sue Gardner angetreten. Sie wird noch bis Ende März im Amt bleiben.

Eine Übersicht zu dem Abläufen der Ereignisse bietet die „Wikimedia timeline of recent events“ von Molly White. Die Reaktion der deutschsprachigen Community sind hier nachzulesen.

Foto von VGrigas (WMF) - eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, http://bit.ly/28VtZHn.

Update vom 24. Juni 2016:

Auf der Konferenz Wikimania in der norditalienischen Gemeinde Esino Lario hat Wikimedia-Gründer Jimmy Wales überraschend die Ernennung von Katherine Maher zur neuen Chefin der Stiftung bekannt gegeben. Maher hatte das Amt bereits provisorisch inne.

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Gastbeitrag: Hohe formale Hürden schrecken Autoren ab

„Herbivore“ war Autor der deutschsprachigen Ausgabe der Wikipedia. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Artikel mittlerweile hohen formalen Anforderungen zu genügen haben. Gerade unerfahrenen Autoren sei es kaum möglich, all diese Regeln zu kennen. Ein Scheitern an diesen strengen Hürden sei mitverantwortlich für den Autorenschwund bei Wikipedia. Wir veröffentlichen seinen „offenen Brief an Wikipedia“ auf unserem Blog als Gastbeitrag.

Hallo Wikipedia,

ich würde gerne eine Diskussion über das Rückgängigmachen aus formalen Gründen von Änderungen in Wikipedia-Artikeln anstoßen.

Als sporadischer und zugegeben ungeübter Autor der Wikipedia ist es mir leider schon mehrfach passiert, dass ich Informationen auf Wikipedia eingetragen habe und die Änderung dann aus formalen Gründen rückgängig gemacht wurde. Dass es mittlerweile viele Vorgaben zur einheitlichen Gestaltung und Formatierung von Artikel gibt, ist verständlich und grundsätzlich sinnvoll. Nur ist es mir als gelegentlicher Autor nicht möglich, diese Regeln alle zu kennen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass ich neue bzw. fehlende Informationen nur liefere und einer der geübten Autoren sie in das erforderliche Format bringt. Das wäre wesentlich konstruktiver, als wenn die Änderung von einem Moderator einfach nur rückgängig gemacht wird.

Ich vermute, das Rückgängigmachen wurde als einfache und schnelle Gegenmaßnahme gegen Vandalismus eingeführt. Ich habe das Gefühl, dass es mittlerweile auch oft eingesetzt wird, wenn hinter der Änderung eine konstruktive Absicht stand.

Es ist auch kaum ersichtlich, was genau der Auslöser für das  Rückgängigmachen war und was geändert werden müsste, damit die Änderung akzeptiert wird. Insofern habe ich dann notgedrungen darauf verzichtet, die Änderung abgeändert erneut vorzunehmen. Durch das in meinen Augen destruktive Vorgehen, gehen neue Information für Wikipedia also verloren.

In einigen konkreten Fällen habe ich versucht, das jeweilige Problem auf den Diskussionsseiten der Artikel oder Moderatoren zu klären, bin dabei aber auf geringen Kooperationswillen gestoßen. Außerdem macht es wenig Sinn, das generelle Problem jedes Mal mit dem jeweiligen konkreten Moderator neu zu diskutieren.

Ich denke, es geht nicht nur mir alleine so, dass ich dadurch abgeschreckt werde. Man möchte gerne etwas beitragen, scheitert aber an formalen Gründen. Möglicherweise ist diese Hürde mit ein Grund für den Autorenschwund auf Wikipedia.

Dabei wäre es gerade durch die ungesichteten Versionen gar kein Problem, wenn die Änderungen nicht gleich auf Anhieb allen formalen Kriterien entsprechen, sondern sie könnten problemlos überarbeitet werden, bevor sie dann für alle sichtbar geschaltet wird.

Ich würde mich freuen, wenn meine Erfahrungen und Vorschläge dazu beitragen würden, wenn sich an den beschriebenen Punkten in der täglichen Praxis etwas verändern würde, um neue Autoren nicht unnötig abzuschrecken.

herbivore

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Was die Wikipedia-Community 2015 am meisten bewegte

Unterlegt von Vivaldis Vier Jahreszeiten blickt Wikipedia zum zweiten Mal zurück auf das endende Jahr und fasst in vier Minuten zusammen, was 2015 los war und wie die Enzyklopädie darauf reagiert hat. Auch wir wagen uns an einen Rückblick und fragen: Was bewegte die Wikipedia-Community 2015 am meisten?

Immer weniger aktive Autoren

Das noch junge Jahr 2015 fing mit einer schlechten Nachricht an: Die Zahl der aktiven Wikipedianer sinkt immer weiter. Benutzer:Zietz zufolge ist seit November 2012 die Zahl der Aktiven in der deutschsprachigen Wikipedia (Kriterium: Artikel-Bearbeitungen innerhalb der letzten 30 Tage) um über 3.000 zurückgegangen – von 22.113 im November 2012 auf 18.903 im Januar 2015. In Prozenten ausgedrückt ist das ein Abgang von rund 14,5 Prozent.

Zietz hat sich bei seinen Berechnungen nicht auf die offiziellen Statistiken verlassen, sondern seine Zahlen selbst generiert und in unregelmäßigen Abständen manuell festgehalten. Ob sie zu hoch sind oder zu niedrig, kann dahinstehen. Auch andere Auswertungen (z.B. diese, diese und diese) bestätigen den Trend.

Eine Mitmach-Enzyklopädie ohne aktive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist nichts wert. Wikipedia muss sich also fragen: Wie kann gegengesteuert werden? Was müsste verbessert werden, um lanjährige Autoren zu halten und neue hinzuzugewinnen?

Und das sagt die Community:

  • höhere Wertschätzung, Betreuung und Unterstützung lanjähriger Autoren
  • Wikipedia ist zu „verkopft“: jeder Ansatz, einen Artikel zu verfassen/ein Lemma zu erstellen, wird im Ansatz erstickt (Relevanzkriterien und Löschpraxis; siehe auch diese aktuelle Diskussion)
  • Artikel müssen immer höheren Anforderungen genügen, formal und vor allem inhaltlich
  • viele Themen sind abgedeckt: einige wenige Spezialisten übernehmen das Ruder; Generalisten fehlen („Wikipedia zerfällt in Fachbereiche, die jeder ihr eigenes Süppchen kochen“)
  • Admins, die mit ihrem Ton neue Benutzer vergraulen (Beispiel unter vielen: hier)
  • „querschlagende Alteingesessene“, die sich jeder Änderung und Weiterentwicklung widersetzen
  • kein Online-Kurs, in dem man lernen kann, wie editieren in Wikipedia geht; anders in der englischen Wikipedia, wo es z.B. Trainings für Studenten gibt
  • ältere Zielgruppe wird vernachlässigt: viel mehr Ältere würden mitarbeiten, wenn die technischen und sozialen Hürden („arroganter Ton“, „von oben herab“) geringer wären
  • Neuautoren sehen sich einem „Gestrüpp“ von Hilfen und Anweisungen gegenüber („Warum nicht darüber nachdenken, eine gute und hübsch bebilderte WP-Anleitung für Einsteiger als E-Book bzw. in einem E-Book-Format zur Verfügung zu stellen?“)

Computergenerierte Texte auf dem Vormarsch

Wer braucht schon neue Autoren. Von Robotern geschriebene, computergenerierte Texte sind auf dem Vormarsch! Ein neuer Versuch in der englischen Wikipedia zeigt, dass Maschinen nicht nur simple Sportberichte und Börsenmeldungen erzeugen können. Ein neuer Wikipedia-Algorithmus wildert jetzt im Bereich Kultur.

Ein Research Newsletter der Wikimedia Foundation berichtete im Januar 2015 über ein Projekt mit dem Titel „Playscript Classification and Automatic Wikipedia Play Articles Generation“ (auf Deutsch etwa: Klassifizierung von Theaterstücken und automatisches Erzeugen von Wikipedia-Artikeln). Die Forscher zeigen, wie ein Computer aus Texten, die er im Internet findet, Wikipedia-Artikel bastelt.

Die Protagonisten des Stücks und die wichtigsten Züge der Handlung werden zusammengetragen, wobei der Rechner unter anderem auf Quellen in Google Books und Google News zurückgreift, berichtet Benutzer:Aschmidt in seinem Kurier-Artikel.

„Und im Fall des Artikels über das Theaterstück Fourteen (de) von Alice Gerstenberg (en) stellte man zufrieden fest, dass der solchermaßen erstellte Text von der dortigen Community akzeptiert worden sei. Mit nur geringen Änderungen steht er seit dem Sommer 2013 (sic!) bis heute dort bereit, nur mit einem kleinen Wartungsbaustein versehen, der den noch nicht ganz passenden Tonfall des Algorithmus moniert. Aber auch das wird sich ganz sicherlich noch ändern. Und was steht dort zur Handlung des Dramas zu lesen? Ein Satz, der jeden Deutschlehrer zum Erbleichen bringen würde, läse er ihn in einer Abiturarbeit: Mrs Pringle hosts a dinner party.Frau Pringle gibt ein Abendessen.

Was schon möglich ist, zeigt ein Skript von Benutzer:Schnark, das in der Lage ist, aus den Informationen der Datenbank Wikidata einen Stub (in der Wikipedia ein Ausdruck für einen unfertigen oder sehr kurzen Artikel) vorzuschlagen, der immerhin schon den Einleitungssatz, Normdaten, Personendaten und ein paar Vorschläge für Weblinks bereithält. Werden Computer menschliche Autor langfristig ganz überflüssig machen?

Aus der Datenbank von Wikidata können keine kompletten Artikel geschöpft werden, meint Torsten Kleinz in der taz. Die Ontologie, sozusagen das Vokabular der Datenbank, könne nicht so vielfältig wie die menschliche Sprache sein und sei auf eindeutige Sachverhalte begrenzt. Die Einwohnerzahl von Berlin beispielsweise könne einfach aus einer Datenbank gelesen werden. Welche Bedeutung die preußischen Könige für die Geschichte Berlins hatten, sei jedoch in Datenbanken kaum zu erschließen.

Schöne neue Welt. Doch am Ende bleibt die Frage: Macht die Community überhaupt mit?

Paywalls: Digitale Schranken erreichen Wikipedia

Das Verhältnis zwischen Wikipedia und der Presse steht offenbar vor einer grundlegenden Wende. Immer mehr Online-Ausgaben von Tages- und Wochenzeitungen verschwinden hinter Bezahlschranken. Laut derstandard.at waren im November 2014 bereits 100 deutsche Tageszeitungen hinter einer Paywall. Von insgesamt 351 Tageszeitungen setzten fast ein Drittel der Medien auf Paid Content.

Dabei setzten 61 Prozent der Zeitungen beim Paid-Content-Angebot auf das Freemium-Modell, bei dem die Redaktion entscheidet, welche Angebote kostenpflichtig sind. 24 Prozent der Angebote nutzten das „Metered Model“, bei dem eine bestimmte Anzahl Klicks pro Monat frei sind. Lediglich bei vier Prozent der Verlage seien sämtliche Artikel nur gegen Entgelt lesbar, eine Zeitung setze auf freiwillige Bezahlung. Das gehe aus den Zahlen des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) hervor.aus den Zahlen des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) hervor – derstandard.at/2000007706556/Deutschland-Fast-ein-Drittel-der-Zeitungen-setzt-online-auf-Bezahlmodelle

61 Prozent der Zeitungen beim Paid-Content-Angebot auf das so Freemium-Modell, bei dem die Redaktion entscheidet, welche Angebote kostenpflichtig sind. Dazu gehört beispielsweise bild.de, wo „exklusive Inhalte“ oder etwa Fußballvideos nur gegen Bezahlung genutzt werden können. 24 Prozent der Angebote nutzen das „Metered Model“, bei dem im Schnitt 16 Klicks pro Monat frei sind. Bei vier Prozent der Verlage sind sämtliche Artikel nur gegen Entgelt lesbar, eine Zeitung setzt auf freiwillige Bezahlung. – derstandard.at/2000007706556/Deutschland-Fast-ein-Drittel-der-Zeitungen-setzt-online-auf-Bezahlmodelle

Was bedeutet diese Entwicklung für Wikipedia? In Wikipedia-Artikeln müssen Belege angegeben werden (sog. Belegpflicht). Ein sehr großer Teil dieser Belege werde weiterhin nicht mit Fachliteratur, sondern durch Links auf journalistische Quellen bedient, was weniger auf deren Qualität als auf die freie Verfügbarkeit zurückgeht, erläutert Benutzer:Aschmidt in seinem Kurier-Artikel „Paywalls: Jetzt aber wirklich“.

Verschwinden journalistische Inhalte hinter Paywalls, hat das aus Sicht der Nutzer von Wikipedia zunächst einmal die Folge, dass Belege nicht mehr ad hoc überprüft werden können. Alles, was hinter einer Bezahlschranke verschwindet, ist jedoch weiterhin online verfügbar und steht somit auch weiterhin für Recherchen zur Verfügung.

Insofern ändert sich nichts:

„Vor allem aber hat die Eignung und Qualität eines Belegs bzw. einer Quelle als solche gar nichts mit online oder offline zu tun, sondern mit ihrem Inhalt, Verfasser und Verleger. Allein das entscheidet über ihre Eignung und nicht online oder offline. Ähnliches gilt auch für die Qualität einer Recherche, denn auch hier spielt es keine Rolle ob sie online oder offline erfolgt, sondern nur welche Quellen/Belege/Literatur sie konsultiert bzw. berücksichtigt.“ (Benutzer:Kmhkmh in der Diskussion zum Kurier-Artikel „Paywalls: Jetzt aber wirklich“)

Was sich ändert ist allein der freie Zugriff. Wikipedianer müssen sich also in Zukunft wieder mehr auf die „klassische“ Recherchearbeit – sprich: verstärkte Nutzung von Bibliotheken und Printmedien – einlassen. Was der Solidität der Artikel eher zu- als abträglich sein dürfte.

Wikimedia Foundation verklagt die NSA: PR-Gag mit Spendengeldern

Im März 2015 berichteten verschiedenen Medien (z.B. Heise, SpON, Guardian) über eine Klage der Wikimedia Foundation (WMF) gegen den US-Geheimdienst. Unter der Überschrift „Hört auf, Wikipedia-Nutzer zu bespitzeln“ erklären Wikipedia-Gründer Jimmy Wales und die Geschäftsführerin der US-Stiftung Lila Tretikov in der New York Times, dass die NSA mit ihren Spionageprogrammen die Rechte der Wikipedia-Nutzer verletzt.

„On our servers, run by the nonprofit Wikimedia Foundation, those volunteers discuss their work on everything from Tiananmen Square to gay rights in Uganda. (…) These volunteers should be able to do their work without having to worry that the United States government is monitoring what they read and write.“

Wikipedia-Autoren befassten sich mit sensiblen Themen – von der chinesischen Demokratiebewegung bis zu den Rechten von Homosexuellen in Uganda. Diese Freiwilligen sollten ihre Arbeit tun können, ohne dass die US-Regierung erfasst, was sie lesen und schreiben, fordern Wales und Tretikov. Neue Geheimdokumente von Edward Snowden würden jedoch darauf hindeuten, dass Autoren und Leser bestimmter Wikipedia-Artikel von der NSA abgehört und identifiziert werden.

Die US-Stiftung hinter Wikipedia wird in dem Prozess von der American American Civil Liberties Union (ACLU; die Klageschrift ist hier einzusehen) vertreten. Mehrere andere Bürgerrechtsorganisationen haben sich der Klage angeschlossen, unter anderem Amnesty International und Human Rights Watch, deren Klage vor dem Supreme Court 2013 scheiterte.

„Jedenfalls ein genialer Schachzug. Generiert zunächst mal jede Menge Gratis-PR, selbst die Drei-Minuten-Nachrichten im Dudelfunk haben es gerade gebracht. Man holt sich angesehene Organisationen wie Amnesty und Human Rights Watch mit ins Boot und positioniert sich dadurch als Global Player nicht nur in Sachen Enzyklopädie, sondern auch für Menschenrechte allgemein. Bei der tendenziell netzaffinen, NSA-kritischen Community punktet man auch endlich mal wieder. Falls man den Fall gewinnt, hat man die Weltmacht USA ganz alt aussehen lassen und einen kaum zu überschätzenden Reputationsgewinn erzielt. Aber selbst wenn man verliert, was viel wahrscheinlicher ist, wird man noch lange vom David-gegen-Goliath-Image profitieren. Chapeau. (Benutzer:Stefan64 in der Kurier-Diskussion „WMF verklagt die NSA“)

In der Community regte sich Protest gegen das eigenmächtige Vorgehen von Jimmy Wales. Wales verwende zum wiederholten Mal von den Autoren eingefahrene Spendengelder für eine PR-Aktion. Auch wenn die Aktion grundsätzlich gutgeheißen wird, kritisieren die User den eigene Umgang der WMF mit der Privatsphäre der Autoren. Schaue man sich den Umgang mit den Nutzerdaten durch die Foundation an, erscheine die Klage nicht besonders glaubwürdig, so die überwiegende Meinung in der Community.

PR-Netzwerke aufgedeckt: Tropfen auf den heißen Stein

Bezahltes Schreiben beschäftigt die Community nicht erst seit diesem Jahr. Das Thema ist allgegenwärtig. 2015 wurde in der englischsprachigen Wikipedia ein besonders perfides, betrügerisches Netzwerk namens Orangemoody aufgedeckt (wir und u.a. Die Zeit, Der Standard und Heise berichteten darüber).

Kein Einzelfall, das zeigt auch ein Sockenpuppennetzwerk, das in der deutschsprachigen Wikipedia im Oktober aufgedeckt wurde. Die Konten des Netzwerks führen offenbar zu der Werbeagentur „EliteSEO“, die offen mit Suchmaschinenoptimierung (SEO) für Wikipedia wirbt.

„Die Methode ist relativ einfach strukturiert. Es gibt „Sichter-Konten“ und „Einzweckkonten“ bzw. es wird per IP gearbeitet. (…) Die Sichter-Konten werden hochgezüchtet, bis sie Sichterrechte erhalten. Die Einzweckkonten und IPs stellen Weblinks als Refs getarnt zur Suchmaschinenoptimierung ein. Die Sichter sichten zumeist innerhalb von Minuten. Auch die Sichter selbst stellen als Ref. getarnte Weblinks ein und sichten sich gegenseitig. Die Firma wirbt mit speziell für die Wikipedia optimierte Strategie auf ihrer Website. Eine ausführliche Zusammenstellung und eine Darstellung der Arbeitsweise finden sich hier. Die Vermutung, dass die Sichterkonten für obige Werbeagentur arbeiten, ist aufgekommen, da auch mehrere Werbelinks auf die Werbeagentur eingestellt wurden.“ (siehe Projektseite „Wikipedia:Checkuser/Anfragen/Thorinmarx und die SEO-Optimierer“)

Es ist klar, dass die vielen PR-Schreiber der Reputation von Wikipedia als seriöses Online-Nachschlagewerk schaden. Unklar ist, wie (und ob) dem Problem beizukommmen ist.

„Das Problem ist, dass uns die bezahlten PR-Schreiber unglaublich stark von unserer Kernarbeit abhalten. Ich verbringe seit ca. 1-2 Jahren die meiste Zeit damit, irgendwelchen Werbe-Schrott aus den Artikeln zu halten und verwirrten Unternehmens-Schreibern zu erklären, weshalb die „mega geilste Innovation im Bleistiftgeschäft“ (oder so ähnlich…) hier nichts verloren hat. Dabei würde ich viel lieber Artikel im Bereich der Wirtschaftswissenschaft schreiben, aber der Tag hat leider nur 24 Stunden…“ (Benutzer:EH⁴² in der Diskussion zum Kurier-Artikel „Wiki-PR: Netzwerke Orangemoody & Eliteseo“)

Die Diskussion zum Thema zeigt eine gewisse Ratlosigkeit im Umgang mit bezahlten Schreibern. Ist dem Problem massiver PR in Wikipedia überhaupt noch Herr zu werden?

Fefe: Wikipedia „Teil des Probelms“

Im Juni 2015 bezeichnete der umstrittene Blogger Fefe Wikipedia als „Teil des Problems„. Was er damit meint, erschließt sich schnell: Die Online-Enzyklopädie werde zunehmend als Teil der „Lügenpresse“, des Establishments wahrgenommen, die offenbar ein großes Problem habe, neben dem Mainstream auch abweichende Positionen neutral darzustellen.

„Wie lange die wohl noch haben, bis die Lügenpresse-Chöre sich der Wikipedia zuwenden? Wenn man bedenkt, mit welch hehren Ansprüchen die mal gestartet sind, und heute gilt dort Faustrecht (…)“

Was auch immer man von Fefe halten mag: Er legt den Finger in eine Wunde in der Wikipedia. Die Artikel-Diskussion („Ein rechtsextremer farbiger Christ? – Der Info-Krieg auf Wikipedia“) zu Xavier Naidoo zeigt exemplarisch, wie Seiten zu lebenden Personen schnell zu einer Art „Internetpranger“ werden können. Oder der genau umgekehrte Fall: Bei anderen Personen, die gesellschaftlich geachtet sind, Kritik nahezu ausbleibt. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist Herfried Münkler. Es wundert daher kaum, wenn dies der Öffentlichkeit sauer aufstößt, wie jüngst die Causa Ganser.

Die Community ist, was Fefe betrifft, gespalten. Die einen halten ihn für „strunzblöd und bedeutungslos“, andere (Benutzer:Schreibvieh aka Pavel Richter) warnen davor, ihn zu ignorieren und zu marginalisieren: Fefe vertrete „einen bestimmten, durchaus meinungsstarken und einflussreichen Diskurs im Netz„.

„Und es wäre für eine Wikipedia, die nicht die ganze Zeit ihre Nase in ihrem eigenen Nabel bewundern würde, durchaus von Interesse, zu erfahren, was diese Gruppe, die einem Projekt wie Wikipedia durchaus gewogen war und / oder sein könnte / sollte, warum diese Gruppe sich so dermaßen von uns abgewendet hat. (oh, und das unsere Artikel zu fast allen politischen und zeitgeschichtlichen Themen voller Müll sind, das ist ja wohl auch hier Konsens, oder?)“ (Benutzer:Schreibvieh in der Kurier-Diskussion „Fefe nennt Wikipedia „Teil des Problems““)

Auch lohnt sich ein Blick auf die Diskussion zum Russland-Artikel in der Wikipedia, um zu verstehen, was Fefe mit seiner Kritik meint. In einer früheren Version des Artikels hieß es zur Rolle Russlands im Syrischen Bürgerkrieg: Russland habe bislang ganze drei Syrer als Flüchtlinge anerkannt und ihnen daher Asyl gewährt. Lässt man das so stehen, ist das bestenfalls selektiv – oder wie Benutzer:Zietz in seinem Kurier-Beitrag meint: gezieltes Russlandbashing. Bestes „Futter“ also für „die Lügenpresse-Schreihälse“.

Mittels einfachster Netz-Recherche hätte der Autor der fraglichen Zeilen ermitteln können, dass diese Zahl nicht ganze die „Wahrheit“ abbildet. Mehrere Quellen (z.B. FAZ, Die Zeit) belegen die erwähnten „3 Syrer“ zwar tatsächlich. Zusätzlich erwähnen die Beiträge allerdings eine zweite Zahl: 8.000 bis 12.000 Syrer, denen in Russland „zeitweiliges Asyl“ gewährt wurde. Die Zahlen sind alles andere als erfreulich und – wie Zietz bemerkt – kein Anlass, Russland in den humanistischen Himmel zu loben. Allerdings:

„Die Anzahl 8.000 oder 12.000 erscheint zumindest mir ein klein wenig höher als die 3, die der Wikipedia-Artikel glauben machen will.“

Der Russland-Artikel verdeutlicht ein allgemeines Problem: die selektive Wahrnehmung einiger Wikipedia-Autoren, die ihre Quellen – wie Benutzer:Zietz es ausdrückt – „oft mit schnellem Finger“ zusammengooglen, die sie benötigen, „um die vorgefertigte Aussage X oder den vorgefertigten Eindruck Y in Artikel Z hineinzuhämmern„. Aus diesen Versatzstücken entstehen Abschnitte, ganze Artikel, die mit einer enzyklopädisch ausgewogenen Darstellung bzw. einer neutralen Sichtweise wenig zu tun haben. Bei stark politisierten Themen sei zudem zu beobachten, dass „Weltsichverbreiter und Ideologen“ eigenen Interessen eine klare Priorität gegenüber einer enzyklopädisch angemessenen Darstellung einräumen, ergänzt Benutzer:Kmhkmh.

Dass der Amateur-Dokumentarfilm „Die dunkle Seite der Wikipedia“ (Youtube-Video) von Filmemacher Markus Fiedler, der dem Online-Lexikon vermachtet-autoritäre, intransparente Strukturen sowie Parteilichkeit bei gesellschaftspolitischen Artikeln bescheinigt, viel Zustimmung findet, dürfte daher niemanden ernsthaft überraschen.

Weihnachtsmann Jimmy Wales: „Wer an ihn glaubt, wird selig“

Ist der Mann, der sich als Vorkämpfer für Meinungsfreiheit und Menschenrechte sieht, als geistiger „Anführer“ der Wikipedia überhaupt noch tragbar? Wie Benutzer:Jayen466 im Kurier berichtet, hat sich Wikipedia-Gründer Jimmy Wales an Heiligabend, wiederholt in widersprüchliche Aussagen bezüglich seiner Kontakte zum diktatorischen Regime Kasachstans verstrickt.

Konkret ging es um ein Treffen in 2012 zwischen Wales und dem heutigem kasachischen Außenminister Jerlan Ydyryssow in den Vereinigten Staaten. Laut Wales‘ jüngster Aussage auf seiner Diskussionsseite will er den damaligen Botschafter nie getroffen oder gesprochen, noch überhaupt jemals von dieser Person gehört haben. Er habe nie eine offizielle Einladung nach Kasachstan angenommen und noch nie mit irgendjemandem von der kasachischen Botschaft in den Vereinigten Staaten gesprochen. Und er habe noch nie mit Kazakh TV gesprochen. Auf Englisch ließt sich das so:

„I have never met nor spoken nor even heard of Yerlan Idrissov. I have never accepted any official invitation to Kazakstan. I have never spoken to anyone at the Kazakh embassy in the US. I have never spoken to Kazakh TV.“

Von diesem Treffen gibt es jedoch einen Bericht von Kazakh TV, der kurz nach dem angeblichen Treffen erschien. Mag sein, dass die regierungstreue Fernsehanstalt die Meldung frei erfunden hat. Dumm nur, dass Wales bei seiner Ansprache bei der Wikimania 2012 in Washington der versammelten Wikimedia-Gemeinde offenbar selbst von dem Treffen erzählt hat. Zumindest gibt es eine entsprechende Tonaufnahme in Wikinews, deren Echtheit nicht in Zweifel steht.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Jimmy Wales in schwere Widersprüche verstrickt, erläutert Benutzer:Jayen466: Bei der Wikimania 2011 in Haifa habe er vor Publikum gesagt, dass er mit dem kasachischen Premierminister Kärim Mässimow – unter dessen Schirmherrschaft das kasachische Wikipedia-Projekt „WikiBilim“ läuft – gesprochen hat. Auch von dieser Rede existiert eine Aufnahme, die auf YouTube als Video verfügbar ist. Letztes Jahr – man ahnt es schon – das Dementi dazu auf Reddit.

Nun, an Weihnachten, gestand er ein, sich wohl doch mit dem Botschafter getroffen zu haben. Er habe aber leider keinerlei Erinnerung mehr daran. Den kasachischen Premierminister will er aber nach wie vor noch nie getroffen haben. Flucht ins Vergessen nennt man das bei Zeugen vor Gericht. Wie ist diese Vergesslichkeit zu erklären?

Sind ihm seine Kontakte zum kasachischen Regime, das eine eigene Version von Chinas „Great Firewall“ entwickelt, um noch mehr Kontrolle über das Internet zu gewinnen, inzwischen peinlich?

Möglicherweise will er nicht hiermit in Verbindung gebracht werden:

Ashina – der (…) Mässimow nahestehende „Bilim Media Group“-Direktor und PR-Experte – ist z.B. der Hauptautor des kasachischen Artikels über das en:Zhanaozen massacre (Link zu Wikinews von uns!), die kontroverseste Episode in der jüngsten Geschichte des Landes, die weltweite Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtsverletzungen des Regimes richtete. Sollte so ein Artikel in Wikipedia vom PR-Mann des Premierministers geschrieben werden? Doch wohl eher nicht.“

Wusste Wales davon? Auf seiner Diskussionsseite heißt es dazu:

„Wikibilim does not control and does not manage the Kazakh language Wikipedia. Indeed, when I last checked, employees are forbidden from editing Wikipedia. If that has changed, that’s interesting and useful information – I haven’t checked recently.“

Kann man ihm so viel Naivität wirklich noch abkaufen? Wir freuen uns auf Eure Kommentare!

Guten Tag

Schon mitgekriegt? Amateurfilmemacher haben einen "Dokumentarfilm" über
Wikipedia veröffentlich. Da werfen diese vor, dass man den Historiker [[Daniele
Ganser]] bewusst in eine VT-Ecke drängt, damit man ihn nicht als Quelle für den
9/11 Artikel gebrauchen kann und somit eine Aufklärung entgegegenwirkt. 

Da werden sogar zwei Wikipedianer mit Klarnament enttarnt, und angebliche Fehler
im Artikel werden genannt. 

Auf der Diskseite zu Ganser ist viel los, man versucht, allfällige fehler zu
korrigieren. Da fällt aber auch immer wieder auf, dass die Filmemacher zum Teil
falsch lagen. 

Wer sind die Filmemacher? 

Markus Fiedler ist Diplombiologe, arbeitet als Biologie- und Musiklehrer und ist
Gastdozent für das Fach ‚Integrated Media‘ an der Carl von Ossietzky Universität
Oldenburg.

Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/?p=28035

Nebenbei: der interviewer auf nachdenkseiten.de heisst Jens Wernicke. Jemand mit
diesem Namen arbeitet bei Ganser. Zufall?
http://www.siper.ch/de/institut/ueber-uns/

Dann der zweite Filmemacher ist tontechniker:
http://www.subterra-sound.de/index.php?option=com_content&task=view&id=20&Itemid=35

Der fast 2h Film wurde auf KenFM auf youtube veröffentlicht:
https://www.youtube.com/watch?v=wHfiCX_YdgA

zuvor gabs noch ein fast 2h interview mit dem filmemacher mit Ken Jebsen am
gleichen ort. 

https://www.youtube.com/watch?v=4X-3-AwqkLQ

http://www.rtdeutsch.com/34437/gesellschaft/die-dunkle-seite-der-wikipedia-neuer-dokumentarfilm-von-markus-fiedler-und-frank-michael-speer/

Weiterer Link zum Ganzen:
https://www.watson.ch/International/Wissen/808976256-Verschw%C3%B6rungstheorie--%C2%ABJeder-mit-einer-anderen-Analyse-wird-mit-Spinnern--P%C3%A4dophilen-und-Antisemiten-in-eine-Ecke-gestellt%C2%BB

Es würde mich freuen, wenn Sie das Ganze analysieren könnten für Ihren Blog.
Gibts die Wikipedia-Verschwörung? Wird Ganser bewusst in die VT-Ecke gestellt?
Hat es wirklich soviele Fehler im Artikel und in den Quellen, wie behauptet
wird? Wer steckt hinter dem Film, etwa selber eine Verschwörung? Und und und....

Danke! 

Thomas Schulz
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Bist du drin, bist du was!

Unser letzter Beitrag liegt nun schon eine Weile zurück. Seitdem ist einiges passiert in der Wiki-Welt: Diesmal berichten wir über betrügerische Sockenpuppennetzwerke, die unterirdische Diskussionskultur, „Wiki-Immunity“ und den Streit um Gemäldefotos. Aber der Reihe nach.

Bist du drin, bist du was – wer einen Artikel in der Wikipedia vorzuweisen hat, gilt als relevant. Die Online-Enzyklopädie ist das ultimative Mittel der Selbstdarstellung, wie heise. de treffend schrieb. All die eitlen Journalisten, Möchtegern-Künstler und Klitschen wollen sich sonnen unter ihrem Himmel.

Ein nun aufgeflogenes Netzwerk hatte es offenbar genau auf dieses Klientel abgesehen. Die Orangemoody getaufte Gruppe ging immer nach dem selben Muster vor. Gezielt wurden Autoren angesprochen, die mit ihrem neu angelegten Artikel zuvor an den Relevanzkriterien oder der neutralen Sichtweise gescheitert waren.

Erwischt! Eine Sockenpuppe in Wikipedia. Foto von Benutzer "Carlb", Licensed under Public Domain via Wikimedia Commons.

Diesen Wikipedianern machten sie ein verlockendes Angebot: Wenn du uns bezahlst, sorgen wir dafür, dass dein Artikel dauerhaft in die Wikipedia aufgenommen wird. Für den Schutz und die Pflege des Artikels verlangten die Täter ein weiteres Honorar.

Das Treiben der „Fake-Accounts“ wurde durch die Auftraggeber selbst bekannt. Diese beschwerten sich bei der Wikimedia Foundation, dass ihre Artikel trotz Bezahlung gelöscht oder geändert wurden. Um das lukrative Geschäftsmodell der Schleichwerber zu zerstören, wurden bisher über 250 Artikel gelöscht. Bereits 2013 wurde in der englischen Wikipedia eines der größten Sockenpuppen-Netzwerk mit über 300 Accounts aufgedeckt.

Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hat die Wikipedianer vor diesem Hintergrund aufgerufen, sich gegen PR in der Wikipedia zur Wehr zu setzen. Die zunehmenden PR-Aktivitäten würden die Grundsätze der Wikipedia gefährden. Doch wie will es Wikipedia schaffen, die Flut von PR-Aktivitäten zu kontrollieren? Wer sich die Diskussion der Wikipedia-Community dazu antun möchte, der sei auf diesen Link verwiesen.

Willkommen im Schlangennest

Apropos schlechte Diskussionskultur: Anfang Oktober wurde Julian Fischer als neuer Bereichsleiter Ideenförderung bei Wikimedia Deutschland ernannt. Es dauerte nicht lange, da hatte eine schlaue Wikipedianerin herausgefunden, dass Fischer früher als Lobbyist der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz gearbeitet hatte. Schnell machte die Runde, dass Fischer als damaliger Geschäftsführer der Stiftung für die Zusammenarbeit mit McDonald’s bei der Bildungsarbeit an Schulen verantwortlich war. Der Verein foodwatch hatte der Stiftung vorgeworfen, McDonald’s, Edeka & Co. den Zugang zu Schulen zu ebnen.

Nach einem E-Mail-Protest von über 37.000 Bürgern, denen das Engagement der Burger-Kette an Schulen zu weit ging, kündigte die Stiftung Verbraucherschutz ihrem Sponsor.

„Und wie üblich fällt die Wikipedia-Bande mit ihrem Shitstorm über einen Menschen und übereinander her. Ihr seid wirklich total bekloppt. Liesel 07:17, 5. Okt. 2015 (CEST)“

Wikimedia Deutschland hat sich also ausgerechnet für die Unterstützung der Community einen Ex-Lobbyisten ins Boot geholt. Eine durchaus problematische Entscheidung. Zumal das Verhältnis zwischen Community und Wikimedia ohnehin von wechselseitigem Misstrauen geprägt ist. Die Aufregung war jedenfalls vorprogrammiert und die dann folgende Diskussion nicht anders als von Wikipedia zu erwarten – unterirdisch.

„Wobei sich ja diejenige, die mit ihrem Krawall-Post diese ganze Diskussion losgetreten hat, auch schnell wieder verzogen hat. Wahrscheinlich ging’s nur darum einem Neuhinzugekommenen zu demonstrieren, mit welchem unterirdischen Umgangston man in diesem Projekt rechnen muss – und das hat sie ja erreicht. Martin K. (Diskussion) 12:13, 4. Okt. 2015 (CEST)“

„Wiki-Immunity“ – schutzlos gegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen?

Was kann ein Betroffener eigentlich tun, wenn ein anonymer Wikipedia-Autor eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in einem Artikel begeht? Sei es durch falsche Behauptungen oder aber auch durch wahre, aber dennoch rechtsverletzende, weil private Informationen.

Mit diesen Fragen befasst sich seit Jahren Rechtsanwalt Jan Mönikes, Experte für Urheber-, Medien- und IT-Recht. Mönikes kommt zu dem Ergebnis, dass Betroffene gegen Falschbehauptungen in der Wikipedia fast schutzlos sind. Dieses Phönomen nennt er „Wiki-Immunity“. Im März war Mönikes zu Gast bei Wikimedia Deutschland, um darüber zu sprechen. Wir nehmen dies zum Anlass, um euch das Thema näher zu bringen.

Jan Mönikes sprach über die Verantwortung der Wikipedia-Autorengemeinschaft zur Selbstregulierung, Foto von Christopher Schwarzkopf, CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Stellen wir uns folgende Situation (siehe Präsentation, Seite 3) vor: In der Wikipedia wird über einen deutsch-amerikanischen Schauspieler von einem nicht angemeldeten Nutzer mit der IP-Adresse eines deutschen Providers wahrheitswidrig geschrieben, dieser Schauspieler sei „vermutlich HIV-positiv“ und zudem verdächtig, durch seinen promiskuitiven Lebenswandel bereits mehrere Personen infiziert zu haben. Als Quelle wird dabei auf einen unzutreffenden ausländischen Zeitungsartikel Bezug genommen. Wie kann sich dieser dagegen zur Wehr setzen?

Zunächst einmal kann er sich an Wikipedia selbst wenden, um die Löschung des schädlichen Eintrags zu beantragen. Über diesen Vorschlag wird in einem Forum diskutiert. Frühestens nach sieben Tagen entscheidet ein Administrator auf Basis der vorgebrachten Argumente, des Seiteninhalts und der bestehenden Richtlinien, ob die Seite gelöscht wird. Darüber hinaus gibt es eine „Schnelllöschung“ ohne vorherige siebentägige Löschdiskussion, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Hierzu zählen Seiten mit eindeutig rechtswidrigem Inhalt, beispielsweise Beleidigungen, Volksverhetzung, offensichtliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten und verleumderische Inhalte. Über die „Schnelllöschung“ entscheidet ebenfalls ein Administrator.

Doch was tun, wenn sich die Wikipedia-Community weigert, den Eintrag zu korrigieren bzw. zu löschen, etwa weil sie den behaupteten Fakt für wahr hält, oder sich kein Administrator für eine „Schnelllöschung“ findet?

Gegen den anonymen Autor des schädlichen Eintrags kann der Betroffene nicht vorgehen, weil ihm seine Identität nicht bekannt ist. Auch der Verein Wikimedia Deutschland ist kein geeigneter Anspruchsgegner, weil er auf Wikipedia selbst keinen Einfluss hat und damit nicht als Störer in Frage kommt. Der Betroffene muss juristisch gegen die Betreiberin der Wikipedia vorgehen. Das ist die Wikimedia Foundation mit Sitz in San Francisco. Dabei stellt sich zunächst Frage, ob er das vor einem deutschen Gericht oder einem Gericht im US-Bundesstaat Kalifornien tun sollte.

Bei einer Klage in Deutschland müsste ein entsprechendes Urteil dann in den USA vollstreckt werden. Dazu müsste das deutsche Urteil von einem Gericht in Kalifornien anerkannt werden. Problem: Das US-Recht kennt ein umfassendes Providerprivileg, nach dem der individuelle Nutzer und nicht der Website-Provider als Störer in Anspruch genommen werden muss. Im Ergebnis hängt die Erfüllung des von dem deutschen Gericht festgestellten Anspruchs also vom „guten Willen“ der Wikimedia Foundation ab.

Alternativ käme eine Klage nach amerikanischem Recht in Betracht. Wegen des Providerprivilegs müsste in einem ersten Schritt auf Herausgabe der Nutzerdaten durch die Wikimedia Foundation geklagt werden. Mit diesen Informationen kann der Autor des schädlichen Eintrags über seinen Internetanbieter ermittelt und verklagt werden. Auch hier müsste das deutsche Gericht das ausländische Urteil anerkennen. Das wird es jedoch nicht tun, denn das deutsche Presserecht gestatte in diesem Fall – anders als im Urheberrecht – die Herausgabe von Nutzerdaten nicht, so Mönikes.

Im Ergebnis entsteht eine paradoxe Situation: Der Betroffene gewinnt sowohl bei einer Klage in den USA als auch bei einer Klage in Deutschland, kann sie aber in beiden Fällen nicht vollstrecken. Der Betroffenen muss also wieder auf den „guten Willen“ der Autorengemeinschaft bei der Korrektur des Artikels zu hoffen.

Es ist unschwer erkannbar, dass eine solche Konstellation rechtsstaatlich nicht hinnehmbar ist. Mönikes diskutierte in seinem Vortrag daher verschiedene Möglichkeiten zur Lösung des Problems: von Vollstreckungsabkommen über Netzsperren und eine Klarnamenspflicht im Internet bis hin zur Ausweitung der Störerhaftung nach dem Vorbild der Google-Spain-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.

Abschließend betonte Mönikes die Verantwortung der Wikipedia-Community zur Selbstregulierung. Nur so könne Wikipedia als vertrauenswürdige und rechtssichere Institution erhalten bleiben.

Gemälde-Streit landet vor Gericht

Bleiben wir bei einem juristischen Thema und der Frage: Wem gehört, was Museen ausstellen? Oder etwas genauer: Kann man durch bloßes Digitalisieren eines gemeinfreien Werkes Urheberrechte an dem digitalen Werk begründen?

Die Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen haben vor dem Landgericht Berlin einen Musterprozesses gegen die Wikimedia Foundation und gegen Wikimedia Deutschland angestrengt, in dem genau diese Frage geklärt werden soll. Auslöser des Streits ist ein Foto, das der Hausfotograf der Reiss-Engelhorn-Museen von einem Richard-Wagner-Bild des 1886 gestorbenen Malers Cäsar Willich angefertigt hatte. Ein Wikipdia-Nutzer hatte das Bild auf Wikimedia Commons hochgeladen.

Zwar ist das Urheberrecht am Wagner-Porträt von Cäsar Willich abgelaufen, das Museum sieht jedoch die Reproduktion als geschützt an. Die Wikimedia Foundation vertritt hingegen die Auffassung, dass keine neuen Rechte entstehen, wenn gemeinfreie Werke wie Gemälde originalgetreu reproduziert werden.

Wie der Autor David Pachali in seinem Bericht über den Prozess bei iRights.info zeigt, lässt sich der Streit vor allem an der Frage festmachen, wie viel Einfluss ein Fotograf auf das Ergebnis hat, wenn er ein Gemälde abfotografiert:

„Zwar ist nicht jedes Foto gleich ein Werk mit vollem Urheberschutz, doch daneben sind auch simplere Fotos als ‚Lichtbild‚ für 50 Jahre ab Veröffentlichung geschützt. Hintergrund: Fotos waren früher nur sehr aufwendig herzustellen, zugleich galten sie kaum als Kunst, sodass sie eigens geschützt wurden.“

Rechtlich beruft sich der Mannheimer Museumsverbund auf den Lichtbild-Schutz des § 72 UrhG. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob dieser Schutz auf bloße Reproduktionen gemeinfreier Werke anwendbar ist. Vor dem Landgericht Berlin dürfte der Museumsverbund Erfolg haben. In einem ähnlichen Verfahren entschieden die Richter jüngst, dass an den Urheberschutz von Fotografien lediglich geringe Anforderungen zu stellen sind.

Rechtsanwalt Carl Christian Müller über die noch nicht im Volltext vorliegende Entscheidung:

„Insbesondere eine schöpferische Leistung sei beim einfachen Lichtbildschutz nicht erforderlich. Vielmehr genüge ein Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung. Diese trete bei Gemäldefotografien in der verzerrungsfreien Wiedergabe des Kunstwerkes unter Ausblendung von Lichtreflexen unter der Wahl des Bildausschnittes zu Tage.“

Update: Im Streit mit den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen hat die Wikimedia Foundation eine Niederlage erlitten. Das Landgericht Berlin habe der Klage stattgegeben, teilte der Verein Wikimedia Deutschland mit. Das Gericht entschied, dass die Fotos des Museumsfotografen unabhängig vom Motiv nach dem deutschen Urheberrecht zumindest als Lichtbilder geschützt seien, und daher das Gemeinfreisein der Vorlage unerheblich sei.

Das Gericht formulierte es so:

„Gerade die damit verbundene aufwendige handwerklich-technische Leistung ist durch den Lichtbilderschutz zu schützen“. (Urteil im Volltext)

Siehe zum Thema auch hier und hier.

Wiki und die Sockenpuppen

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Neues EU-Urheberrecht bedroht Wikipedia – wirklich?

Am 9. Juli 2015 entscheidet das Europäische Parlament über eine Vorlage zur Reform des Urheberrechts. Darin ist eine Empfehlung zur Änderung der Panoramafreiheit enthalten. Danach soll die gewerbliche Nutzung von Fotos, Videos oder anderen Abbildungen von Gebäuden und Kunstwerken, die an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen zu sehen sind, immer an eine vorherige Einwilligung der Urheber geknüpft sein. Wikipedia verwendet hunderttausende solcher Aufnahmen. Ist Wikipedias Bildbestand in Gefahr, wenn die Empfehlung durchkommt?

Wikipedia fühlt sich massiv bedroht: Geht es nach dem „Reda-Bericht“ des Rechtsausschuss des EU-Parlaments, soll die gewerbliche Nutzug von Bildern urheberrechtlich geschützter Werke in der Öffentlichkeit nur noch mit einer Genehmigung durch den Rechteinhaber möglich sein.

Im Entwurf des von der EU-Abgeordneten Julia Reda (Piraten) verfassten Berichts wurde der Gesetzgeber der EU noch dazu aufgefordert, „sicherzustellen, dass die Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an öffentlichen Orten platziert sind, gestattet ist“.

Diese ursprüngliche Forderung, die eine Harmonisierung in Form einer einheitlichen Panoramafreiheit deutschen Zuschnitts vorsah, konnte sich jedoch im endgültigen Bericht nicht durchsetzen. Beschlossen wurde hingegen eine Fassung, die auf einen Vorschlag des Liberalen Jean-Marie Cavada zurückgeht:

„(Das Europäische Parlament) vertritt die Auffassung, dass die gewerbliche Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an physischen öffentlichen Orten platziert sind, immer an die vorherige Einwilligung der Urheber oder sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein sollte;“

Angriff auf die „Kultur der freien Inhalte“

Die Verantwortlichen bei Wikipedia befürchten, zwischen 100.000 und 1.000.000 Bilder löschen zu müssen, wenn der umstrittene Vorschlag Gesetz wird. Die Aufregung ist groß: Mit einem Banner auf allen Seiten (wörtlich: „Ein Vorschlag im Europäischen Parlament bringt zigtausende Bilder auf Wikipedia in Gefahr.“) wird auf die Auswirkungen der geplanten Reform hingewiesen. In einem offenen Brief an die MdEPs wird zur Erhaltung der Panoramafreiheit aufgerufen. Ist die Aufregung berechtigt?

Werden wir auf Wikipedia die Kuppel des Reichstagsgebäudes in Zukunft nur noch geschwärzt sehen? "14-09-09-Bundestag-RalfR-082 with result of EU legislation" by Ralf Roletschek - File:14-09-09-Bundestag-RalfR-082.jpg. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.

Der aufmerksame Leser versteht die ganze Panik womöglich erst einmal nicht. Denn in dem Antrag ist von „gewerblicher Nutzung“ die Rede. Das heißt doch aber im Umkehrschluss, dass eine nichtkommerzielle Nutzung, insbesondere eine lexikalische Darstellung in der Wikipedia, nach wie vor möglich wäre. Ja, aber…

Der Knackpunkt ist, so wird jedenfalls immer wieder behauptet, dass Wikimedia Commons – die Datenbank, aus der Bilder direkt in Wikipedia eingebunden werden – nur solche akzeptiert, die gemeinfrei sind oder unter einer freien Lizenz stehen. Praktisch ist also die kommerzielle Nutzung dieser Fotos erlaubt, obwohl die Wikimedia Foundation, die Wikipedia betreibt, selbst nicht darauf ausgelegt ist, Profite zu erwirtschaften.

Auch Facebook wäre von dem Vorschlag betroffen, meint die Piratin Julia Reda:

„Wenn du ein Urlaubsfoto auf dein Facebookprofil lädst, verdienst du damit kein Geld. Du stimmst allerdings den Nutzungsbedingungen von Facebook zu, in denen steht, dass du Facebook das Recht zur kommerziellen Nutzung deiner Bilder einräumst (Abschnitt 9.1 der Nutzungsbedingungen von Facebook) und dass du alle nötigen Rechte an dem Bild besitzt, um diese kommerzielle Nutzung durch Facebook zu erlauben (Abschnitt 5.1). Das bedeutet, dass du nach einer Einschränkung der Panoramafreiheit auf nichtkommerzielle Zwecke für jedes deiner Urlaubsfotos prüfen müsstest, ob es ein Gebäude oder öffentliches Kunstwerk zeigt, ob dieses Werk urheberrechtlich geschützt ist.“ (Julia Reda, Panoramafreiheit in Gefahr, zuletzt aufgerufen am 8. Juli 2015)

Der aufmerksame Leser fragt sich nun: Können die Lizenzbedingungen nicht jederzeit auch vollkommen anders gestaltet werden? Eine Lösung wäre doch die generelle Untersagung der gewerblichen Nutzung. Das jedoch – entgegnen Kritiker – widerspreche den zentralen Grundprinzipien der Wikipedia, zu denen die freien Inhalte zählen. Open Content dürfe nicht nur in der Wikipedia, sondern überall – auch kommerziell – (weiter-)genutzt und verändert werden. Auf nichtkommerzielle Nutzung beschränkte Lizenzen gelten nicht als frei.

„Man sollte nicht übersehen, dass es Wikipedia – Die freie Enzyklopädie heißt. Immer wieder wird vergessen, dass das freie hier für die unbeschränkte(!) Nutzung und auch Weiternutzung(!) der Inhalte steht. Und genau darauf soll sich jeder Wikipedia-Nutzer verlassen können. Dementsprechend muss die Lizenzierung aller Fotos auch dergestalt sein, dass die Weiternutzung auch gewerblich möglich ist und dass die Lizenz bei Weiternutzung auch übernommen werden muss. (Wikipedia-Autor „Blutgretchen“ in der Diskussion zur „Initiative für die Panoramafreiheit/Leserinformation„)

Der Vorschlag würde also die Freiheit der Weiterverwendung von Bildern zu allen, auch zu kommerziellen Zwecken, beschränken und bedroht insofern die freien Inhalte, weshalb er in der “Freie-Inhalte”-Bewegung, zu der sich Wikipedia zählt, auf starke Ablehnung stößt.

Nichtkommerzielle Nutzer dürfen sich die Lizenz aussuchen

Schaut man allerdings genau hin, zeigt sich, dass sich zumindest nichtkommerzielle Nutzer die Lizenz aussuchen und gegebenenfalls eine nichtkommerzielle Weiternutzung erzwingen können. Wie der Wikipedia-Autor „Sinuhe20“ zeigt, ist es schon jetzt problemlos möglich, Bilder bei Commons unter der auf Commons an sich unzulässigen Lizenz „cc-by-nc“ (nc=Non-Commercial) hochzuladen und in Artikeln zu verwenden.

Voraussetzung für die Verwendung von „Non-Commercial-Lizenzen“ ist jedoch, dass das Bild mehrfachlizenziert ist mit mindestens einer zulässigen Lizenz (z.B. CC BY-SA 3.0 DE). Kommerzielle Nutzer sind hingegen gezwungen, unter GFDL zu veröffentlichen. Diese Lizenz gestattet die Vervielfältigung, Verbreitung und Veränderung des Werkes, auch zu kommerziellen Zwecken.

Von dem Vorschlag sind also insbesondere diejenigen betroffen, die Bilder aus der Online-Enzyklopädie kommerziell weiternutzen wollen. Derjenige, der Wikipedias freie Bilder von beispielsweise Gebäuden mit kommerziellen Interessen weiternutzen möchte, müsste sich nach dem neuen Vorschlag um eine Einwilligung des Architekten bemühen. Das ist aber, um es mit den Worten des Wikipedianers Quaestio Iuris zu sagen:

„Sein Problem, nicht das von Wikipedia.“

Auch die Nutzer von Facebook müssen sich, anders als Julia Reda meint, wohl keine Sorgen machen, dass sie ihre Fotos oder Videos weiterhin in sozialen Medien teilen können. Wie die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst in ihrem Sonder-Newsletter mit dem Titel „Die Debatte um die Panorama-Freiheit – ein Versuch der Versachlichung“ zeigt, sind die Nutzungsbedingungen von Facebook gar nicht das Problem.

Nach diesen Geschäftsbedingungen räume der Nutzer Facebook zwar die Rechte an allen eingestellten Inhalten ein. Fehle die Panoramafreiheit für kommerzielle Nutzungen, wie das in Frankreich jetzt schon der Fall sei, so führe das aber nicht dazu, dass die Rechteinhaber gegen einzelne Nutzer vorgehen. Denn urheberrechtlich verantwortlich sei Facebook und nur das Unternehmen handele kommerziell, nicht die Nutzer der Plattform.

Die EU-Kommission entscheidet!

Bei Wikipedia tut man so, als stünde die die Abschaffung der Panoramafreiheit kurz bevor. Um diesen Eindruck zu hinterlassen, werden entscheidende Tatsachen weggelassen. Jeder sollte sich klar machen, dass es sich hierbei um eine Kampagne handelt.

Die Fakten:

  1. Mit der Plenarabstimmung am 9. Juli wird keine Europäische Urheberrechtsreform beschlossen. Es handelt sich lediglich um einen nicht-legislativen Initiativbericht zur Implementierung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft.
  2. Mit diesem Bericht gibt das Europäische Parlament lediglich Empfehlungen an die Europäische Kommission, an welchen Stellen im Bereich des Urheberrechts in der Europäischen Union nachjustiert werden könnte.
  3. Nur die Kommission kann ein Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene einleiten. Die Kommission will im nächsten Halbjahr einen Legislativvorschlag zum Urheberrecht erarbeiten, der dann von Parlament und Rat beraten wird. Die Abstimmung des Europäischen Parlaments im Juli hat also keinerlei rechtlichen Auswirkungen.

Update 1: Das EU-Parlament hat den „Reda-Bericht“ zum Urheberrecht debattiert und per Abstimmung angenommen. Die Änderungen zur Einschränkung der #Panoramafreiheit sind nicht mehr enthalten.

Update 2: Bis zum 15. Juni 2016 findet eine öffentliche Konsultation zur Rolle der Verleger in der urheberrechtlichen Wertschöpfungskette und der „Panorama-Ausnahme“ statt.

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Wikipedia Zero: Wikimedia verletzt die Netzneutralität


Wikipedia Zero ist ein Projekt der Wikimedia Foundation, das mit dem Ziel begonnen wurde, Wikipedia dorthin zu bringen, wo die meisten Menschen kein Internet haben. Dazu trat die Stiftung unter anderem schon an Mobilfunkanbieter in Afrika, Südamerika, Asien und Indien heran und schloss mit ihnen Verträge ab, die den Bürgern kostenlosen Zugang zu Inhalten der Wikipedia vermitteln. Selbst auf Telefonen ohne Internettarif können damit Wikipedia-Artikel gelesen werden.

In der entwickelten Welt sind Smartphones aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sehr viel seltener sind die smarten Alleskönner hingegen in Schwellen- und Entwicklungsländern. Dort dominieren immer noch veraltete Handys, die nicht in der Lage sind, die Inhalte der Online-Enzyklopädie wiederzugeben.

Eine weitere Barriere für den Zugang zu Wikipedia sind die Kosten: Kul Wadhwa, der das Wikipedia-Zero-Programm leitet, rechnet in einem Beitrag der Deutschen Welle vor, dass in vielen Entwicklungsländern die Menschen mehr als ein Zehntel ihres Einkommens bezahlen müssten, um mobiles Internet haben zu können.

Wikipedia-Artikel können auch als SMS angefordert werden. Bild: „Screen Shot Cheetah Reply“ von Dfoy (WMF) - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons - http://bit.ly/1GOoALx.

Wie schafft man es, dass Menschen in ärmeren Ländern dennoch Wikipedia-Artikel lesen können? Die Lösung lautet: Wikipedia Zero. Denn entsprechend programmiert lassen sich die Inhalte des Online-Lexikons auf älteren Telefonen zumindest lesen. Für den kostenlosen Zugang arbeitet Wikimedia mit Mobilfunkanbietern zusammen, die den Zugriff auf Wikipedia umsonst anbieten. Vorbild ist das Projekt Facebook Zero, bei dem der Zugriff auf das soziale Netzwerk via Handy ohne Surfkosten möglich ist.

Passive Wikipedia-Konsumenten

Freies Wissen für jeden, das ist doch super! Was gibt es daran zu kritisieren? Eine ganze Menge! Denn anders als der völlig kritiklose Wohlfühl-Artikel (Update: von Wikimedia-Mitglied Sebastian Wallroth wurde in Reaktion unserem Beitrag der Abschnitt „Kritik“ hinzugefügt) zu Wikipedia Zero glauben macht, gibt es durchaus Kritik an dem Projekt – und die kommt nicht von ungefähr.

„Mit Wikipedia Zero wird kein Problem gelöst, sondern ein neues geschaffen, das dem Wesen der Wikipedia nicht entspricht: Wikipedia wird für diese Nutzer ein Walled Garden – eine ‚Walled Wikipedia‘. (Jens Best, Kurier-Diskussion zum Artikel „Wikipedia Zero: ein unüberschaubares Manipulationspotenzial„, zuletzt aufgerufen am 17. April 2015.)

Andreas Kolbe, der u.a. für das Community-Blog Signpost und das Wikipedia-Kritik-Forum Wikipediocracy tätig ist, bringt im Wikipedia-Kurier das Problem auf den Punkt: Mit Wikipedia Zero haben dessen Nutzer weder Zugriff auf die in Wikipedia zitierten Quellen, noch können sie alternative Quellen aufrufen. Wikipedia Zero schaffe somit Hunderte von Millionen von rein passiven Wikipedia-Konsumenten. Die Einzigen, die Lese- und Schreibzugang zu Wikipedia haben, sind, so Kolbe, die wirtschaftlichen und politischen Eliten dieser Länder.

Unüberschaubares Manipulationspotenzial

Für Kolbe wird dadurch die Manipulationsgefahr unüberschaubar: „Je verbreiteter Wikipedia Zero ist, desto wichtiger wird es für die betreffenden Eliten, kritische Informationen aus Wikipedia fernzuhalten.“

„Die Gefahr ist, dass Wikipedia – und speziell Wikipedia Zero – eine ‚Gatekeeper‘-Funktion einnehmen wird: solange es den örtlichen Eliten gelingt, ‚ihre eigene‘ Wikipedia-Darstellung, sei es in der lokalen Wikipedia-Sprachversion oder der der wichtigsten Zweitsprachen, in ihrem eigenen Interesse zu gestalten, wird Wikipedia Zero ein willkommenes Instrument sein, Informationsflüsse zu kontrollieren, anstatt sie freizusetzen.“ (Andreas Kolbe, Wikipedia Zero: ein unüberschaubares Manipulationspotenzial, zuletzt aufgerufen am 17. April 2015.)

In der Diskussion über Wikipedia Zero wird immer wieder argumentiert, dass „WP-0“ doch allemal besser sei als gar kein Zugang zu Informationen. Ein Argument, das nur scheinbar trägt. Dabei wird vergessen, dass Wikipedia Zero den Anreiz für die jeweiligen Eliten erhöht, Wikipedia zu manipulieren. Zero hat also indirekt zur Folge, dass das vorhandene Informationsmonopol der Eliten noch gestärkt wird.

Zero-Rating verletzt die Netzneutralität

Das Kernproblem von Wikipedia Zero ist ein anderes: Zero-Rating als kostenloser Einstieg ins mobile Internet verletzt die Netzneutralität. Auf den ersten Blick erscheint Wikipedia Zero verlockend: Man kann die Enzyklopädie nutzen, ohne sich über seinen Datenverbrauch Gedanken machen zu müssen.

„Dies bedeutet eine Gewöhnung des Nutzers an datenart-spezifische Preismodelle und ist somit ein schleichende Ende des freien Internets.“ (Jens Best, Kurier-Diskussion zum Artikel „Wikipedia Zero: ein unüberschaubares Manipulationspotenzial„, zuletzt aufgerufen am 17. April 2015.)

Doch auf lange Sicht zerstören solche zero-rated-Angebote das offene und freie Internet. Wer ausschließlich Facebook und Wikipedia nutzt, geht eben nicht ins Internet. Das Internet ist mehr – es beruht auf seiner Breite und Vielfalt. Zero-Rating ist eine fatale Entwicklung gerade in den Ländern, in denen sich das Internet noch entwickelt und eine echte Chance darstellt, um vorhandene Meinungsmonopole der Eliten aufzubrechen: Der Nutzer wird gewöhnt an Preismodelle, die auf der Unterscheidung von Daten beruhen. Damit wird die Idee des „Free Knowledge“ unterwandert.

Von den Internet-Providern ist das durchaus gewollt, meint Jens Best. In entwickelten Märkten sei es der Nutzer gewohnt, für den Zugang zum gesamten Internet zu bezahlen, aber nicht einzelne Datenarten oder Daten spezifischer Inhalteanbieter. Durch Zero Rating sollen sich die Nutzer in weniger entwickelten Ländern erst gar nicht an ein solches Rund­um-sorg­los-Pa­ket gewöhnen und frühzeitig an Preismodelle herangeführt werden, die auf der Unterscheidung von Daten beruhen.

Verrat an den eigenen Werten

Für Telekommunikationsunternehmen wie Orange, die mit der Wikimedia Foundation kooperieren, ist Wikipedia Zero ein Marketing-Glücksgriff: „Die große Mehrheit unserer Kunden in Afrika nutzt Prepaid-Verträge und setzt SIM-Karten verschiedener Anbieter ein“, erklärt Orange-Sprecher Yann Kandelman bei heise.de. „Mit der neuen Initiative wollen wir dazu beitragen, dass die Orange-Karte in Zukunft bevorzugt benutzt wird.“ Wikimedia hingegen begeht Verrat an den eigenen Werten – die Förderung von freiem Wissen und freien Inhalten. Fazit von Jens Best:

„WMF hat es hier zugelassen, dass mit einem billigen und nicht durchdachten Versprechen die Wikipedia als Marketing-Tool für Mobilprovider eingesetzt wird, um in wichtigen Entwicklungsmärkten die Idee des freien Webs durch ein datenart-spezifisches Payment-System ersetzt wird. Die WMF und Wikipedia leistet damit dem gesamten freien Web einen Bärendienst, nur um die eigne Marke zu pushen.“

Überwindung der digitalen Spaltung

Wikimedia hat sich das Ziel gesetzt, den schlechteren Zugang zum Internet in Entwicklungsländern zu überwinden. Doch Wikipedia Zero ist nicht die Lösung des Problems: Das zu glauben, ist in etwa so, als würde man ein Pflaster auf eine Schusswunde kleben, spitzt es Raegan MacDonald von AccessNow zu.

„In addition, suggesting that free access to Wikipedia or Facebook is the solution to limited internet access in the developing world is like putting a Band-Aid on a bullet wound.“ (Raegan MacDonald, Wikipedia Zero and net neutrality: Wikimedia turns its back on the open internet, zuletzt aufgerufen am 17. April 2015.)

Denn die komplexen Ursachen der digitale Spaltung („digital divide“) blieben unbehandelt, schreibt MacDonald. Mehr noch: Wikipedia Zero spiele Telekommunikationsunternehmen in die Hände, die die Märkte überall auf der Welt bereits heute im Würgegriff hielten.

Das leuchtet ein, denn „Zero-rated offerings“ machen die Dienstleistungen der Provider attraktiver, verfestigen ihre dominante Stellung in den Märkten und treiben die Idee voran, dass Webseiten-Betreiber zusätzlich bezahlen sollten, um Nutzer zu erreichen, was wiederum den Grundsätzen der Netzneutralität widerspricht und die Entwicklung von Online-Inhalten und Online-Diensten noch zusätzlich erschwert.

„Wikipedia Zero and similar services are playing into the hands of incumbent telecoms, who already have a stranglehold on markets around the world. Zero-rated offerings make these telcos’ services more attractive, solidifying their already overly-dominant positions in most markets, and further advancing the idea that websites should have to pay extra to reach users, which once again runs afoul of net neutrality principles and further hurts the development of online content and services.“ (Raegan MacDonald, Wikipedia Zero and net neutrality: Wikimedia turns its back on the open internet, zuletzt aufgerufen am 17. April 2015.)

MacDonald bezeichnet die gebührenfreien Angebote als das, was sie wirklich sind: Kurzsichtige Deals, die für die Zukunft des offenen Internets großen Schaden anrichten. Während immer mehr Menschen das Internet nutzen und weltweit Kämpfe um die Netzneutralität ausgefochten werden, liege es gerade in der Verantwortung einer angesehenen Organisationen wie Wikimedia, sicherzustellen, dass neue Nutzer ein Internet entdecken können, das tatsächlich „die Summe allen Wissens“ repräsentiert. Kein Unternehmen und keine einzelne Plattform – egal ob Facebook oder Wikipedia – sollte alleine dafür verantwortlich sein, den Zugriff auf die Informationen der Welt zusammenzutragen.

Raegan MacDonalds Fazit: Zero-rated-Inhalte unterwandern die Zukunft des offenen Internets und die Rechte der Menschen, die es benutzen.

15.4. Bomfordzionös! WikiCon 2015 15.4. 70 Jahre Kriegsende 15.4. Lila Tretikov in Time  wp:kurier Nicht unbedingt neutral, nicht enzyklopädisch.  Archiv  |  Abo  |  Ticker bearbeiten  |  Der Kurier  |  Bearbeiten Termine 14.04.     Stammtisch München 17.04.     Stammtisch Nürnberg in Fürth 18.04.     Stammtisch Augsburg 18.04.     Stammtisch Zürich in Solothurn 22.04.     Tech on Tour im Kontor Hamburg 24.04.– 26.04.     15. Fotoworkshop in Nürnberg 24.04.– 26.04.     9. Fotoworkshop in Prag 24.04.– 26.04.     2. Lightroom in Cuxhaven 24.04.– 26.04.     Fotografie-Grundkurs in Solingen 25.04.– 26.04.     Kultur-Hackathon Coding da Vinci in Berlin 26.04.     Aktionstag im Lokal K in Köln 28.04.     Stammtisch Mainz 28.04.     Netzwerktreffen für Frauen in Stuttgart 29.04.     Stammtisch Saarland in Neunkirchen 30.04.     Stammtisch Bremen 30.04.     Offenes Editieren in Berlin 01.05.     Kurpfalz-Stammtisch in Schwetzingen 01.05.– 03.05.     Wikipedia:Süddeutschland Frühjahr 2015 in Landshut 02.05.     Edit-a-thon Krieg und Propaganda bis zum Ersten Weltkrieg in Wien Alle Treffen | Veranstaltungen | Bearbeiten Neue Projekte und Portale Portallogo  WikiProjekte: Bilaterale Beziehungen | Filmtheorie | Stummfilm | Fernsehsender Portale: Schwarze Szene | Wikipedia nach Region | Klimawandel | Mars | Weitere Nachrichten  Wikimedia:Woche 13/2015 (09.04.) | Wikimedia:Archiv Pressespiegel | Außenspiegel | Wikimedia Deutschland Blog | Wikibooks-Rundschau | Wikiversity:News | Newsletter-Übersicht Linke Spalte Bomfordzionös! Die WikiCon 2015 ist unterwegs … WikiCon-Logo Dresden 2015.svg  Der Entschluss stand schon lange fest und war einer unserer guten Vorsätze für das Jahr 2015. Nun endlich nimmt der Dampfer Fahrt auf: Die WikiCon 2015 wird vom 18. bis 20. September in der Stadt an der Elbe stattfinden, die schon Caspar David Friedrich und Gret Palucca inspirierte, während Helmut Schön und Manfred von Ardenne zu sportlichen und wissenschaftlichen Höhenflügen ansetzten. Kommt mit an Bord!  Wir freuen uns darauf, die hiesigen „Äggsbärden“ in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden willkommen zu heißen! Noch ist nicht alles „in Sack und Tüten“, doch sind wir guter Dinge und so laufen die Planungen für Programm und Inhalt an. Seid ihr dabei? Wir freuen uns auf eure Programmvorschläge. Euer WikiCon-2015-Team.A., 15.4. 70 Jahre Kriegsende, weiß WP das auch?  Abseits sicher auch wichtiger Themen, die hier angesprochen werden, möchte ich anlässlich eines nicht ganz unbedeutenden Ereignisses, das medial momentan auch ganz gut beleuchtet wird, den Blick wieder auf eines unserer ureigensten Themen lenken, die Artikelarbeit. Als gebürtiger Sachse sind 1945 Weichen gestellt worden, deren Auswirkungen auch meine Biographie betrafen. Sucht man allerdings zu dieser Zeit etwas in Wikipedia, muss man sich, sofern man Lust hat, durch viele kleine, oft überschaubare Artikel klicken, die meist auch noch in diskussionswürdiger Qualität sind. Das ist enttäuschend angesichts der geistigen Ressourcen, die eigentlich in WP stecken. Ohne die Arbeit von Autoren anderer Themen schmälern zu wollen, aber wir wissen teilweise besser über diverse ausgestorbene Säugetierarten, Pharaonen, Vasenmaler (bitte keine Beißreflexe, das sind willkürliche Beispiele) und dergleichen mehr Bescheid als über unsere ureigenste Geschichte von vor 70 Jahren, was ein Wimpernschlag in der Geschichte ist. Schaut man sich die Seite der Geschichtsredaktion an, sieht man diverse Geburts- oder Todestage bekannter Persönlichkeiten oder Schlachtenjubiläen im Fokus. Schaut man sich Artikel an, die den WK II zum Inhalt haben, stößt man nicht selten auf Fanschrieb, der sich an Auszeichnungen und technischen Daten ergötzt, während vergessen wird, überhaupt erst mal historisch genau zu beschreiben, was eigentlich passiert ist. Erst wenn das letzte U-Boot, der letzte Ritterkreuzträger einen Artikel hat, werden wir vielleicht merken, das im Frühjahr 1945 beträchtliche Gebiete des späteren DDR-Gebiets von westalliierten Truppen besetzt waren. Nun werden viele sagen, „das ist doch ein alter Hut“, dann frage ich zurück, „wo lese ich da gescheit in WP was dazu“? Ein anderes Beispiel, das die Krux verdeutlichen soll: Wo finde ich was zu dem Staatsgebilde, das in Sachsen zwischen 1919 und 1933 bestand? Wo kann ich mir das als Karte mal anschauen? Ich habe WP immer als Wissensvermittlung begriffen und diesen Anspruch haben wir ja auch. Ich sehe dabei immer den Schüler vor meinem geistigen Auge, der sich informieren will, ja die gibt es noch. Nur, kann er das? Dass es Lücken gibt, weiß ich. Und ich höre schon die Argumente, die jetzt kommen … Aber es gibt erschreckende Lücken und da vermisse ich einen Masterplan. Was will der Dichter uns damit sagen? Bevor wir an die mikroskopischen Details gehen, sollten wir die Basics nicht vergessen. Dass ich überspitze, weiß ich. Dass mir jetzt hunderte Gegenbeispiele genannt werden, erwarte ich. Dass sich einige auf den Schlips getreten fühlen, ist zu befürchten. Und trotzdem …–scif (Diskussion) 10:54, 15. Apr. 2015 (CEST) Berichte der Wikimedia Foundation und von Wikimedia Deutschland, Technik 2014  In den vergangenen Tagen haben sowohl Wikimedia Deutschland als auch die Wikimedia Foundation einen Rückblick über das vergangene Jahr veröffentlicht. Der deutsche Verein berichtet im Rahmen der Jahresberichtförderung an das FDC seinen langfristigen Einfluss auf die Gesellschaft (engl. impact), bisher leider nur auf Englisch. Die Stiftung schaut in einem State of the Wikimedia Foundation, der ursprünglich für die interne Dokumentation erstellt wurde, zunächst auf wesentliche Erfolge, stellt aber auch allgemeine und Überlegungen für das Jahr 2015 an. Mit über 30 und 50 Druckseiten erreichen diese Berichte jedoch so große Umfänge, dass für den Bericht der Wikimedia Foundation das englischsprachige Pendant des Kuriers, die Signpost, unter Bereitstellung einer Vorabversion eine Zusammenfassung erstellt hat. Da der eigentliche Technikansprechpartner nicht erreichbar war, wurde ich um eine Einschätzung gebeten, die ich hier gern ins Deutsche übersetze.  „Der Bericht stellt das erste strategische Statement des Teams für Softwareentwicklung und anwenderorientierte Veröffentlichung (Engineering and Product team) nach seiner im November 2012 verkündeten Umstrukturierung dar. Mit der Umstellung auf zwei getrennte Abteilungen möchte die Wikimedia Foundation „die Entwicklung von best practices“ sicherstellen, so die neue Geschäftsführerin Lila Tretikov. Der frühere Leiter beider Bereiche, Erik Möller, setzt seine Arbeit als Vizepräsident für Produkte und Strategien sowie Stellvertretender Geschäftsführer der Wikimedia Foundation fort, Damon Sicore übernahm im September 2014 den Softwareentwicklungsbereich. Basierend auf der Verteilung von Verantwortungen gibt das Dokument zwei Berichte, so wie auch diese Zusammenfassung. Durchschnittliche Zeit zum Speichern einer Bearbeitung in Millisekunden Ende 2014  Mit Blick auf die gestiegene Benutzung mobiler Endgeräte in der Welt und so denn auch in den Wikimedia-Wikis (20 % aller Bearbeiter machten ihre erste Bearbeitung auf der mobilen Website, mindestens 40.000 arbeiten monatlich mobil) war eines der Hauptaugenmerke der Wikimedia Foundation im vergangenen Jahr die Entwicklung im mobilen Bereich. Neben dem Neuschreiben der mobilen Android- und iOS-Apps hat das Softwareentwicklungsteam ein neues Interface für ältere Browser mit begrenzter oder keiner JavaScript-Unterstützung erstellt und allgemein die MediaWiki-Struktur in Programmbibliotheken sowie in eine serviceorientierte Architektur umgewandelt; insbesondere wurde das Rendern von PDFs, besonders in nicht-lateinischen Schriften, verbessert. Seit Dezember 2014 führt die freilizenzierte virtuelle Maschine HHVM PHP-Programmcode aus, was die durchschnittliche Zeit zum Laden der Seite oder Speichern einer Bearbeitung stark verringerte (siehe Bild). Diese Veröffentlichung wurde durch eine Partnerschaft mit dem Entwickler von HHVM, der Firma Facebook, ermöglicht. Entgegen den Erwartungen führte die Implementierung von HHVM aber nicht zu einer erhöhten Anzahl an gespeicherter Bearbeitungen und auch nicht zu einer Verringerung des Zeitraumes, in dem dieselbe Anzahl an Bearbeitungen durchgeführt wird; die Wikimedia Foundation arbeitet daran, diese Ziele zu erreichen. Zwei weitere Entwicklungen unterstützen Leser und Autoren: Die lang erwartete und lang vorbereitete neue Suchfunktion, die auf dem Elasticsearch-Verfahren basiert und Ende 2014 aktiv geschaltet wurde, und ein Übersetzungswerkzeug für Artikelinhalte, das seit Anfang 2014 Autoren erlaubt, eine neue Sprachversion eines Artikels unter Beibehalt der Belege schnell zu erstellen.  Das Team für die Softwareentwicklercommunity hat verschiedene Hackathons und Technikgespräche organisiert und darüber hinaus in Öffentlichkeitsprogrammen wie dem FOSS-Öffentlichkeitsprogramm für Frauen und Google Summer of Code mitgewirkt. Es hat zudem die Umstellung vom Bugmeldesystem Bugzilla mit der Softwareentwicklungsplattform Phabricator koordiniert. Das gesamte Softwareentwicklungsteam wird zudem nun in der Ausübung seiner Tätigkeit von einer neuen Team-Practices-Gruppe unterstützt. Während die Foundation erfolgreich auf Sicherheitsbedrohungen von außerhalb wie dem Heartbleed-Bug oder der Poodle-Attacke auf operativer Seite reagiert hat, erachtet die Signpost die Security-Engineering-Abteilung als unterbesetzt. Es sucht jedoch derzeit einen Entwickler, um sicherheitsbezogene Probleme besser angehen zu können.  Das Produktteam konzentrierte sich im Rahmen der mobilen Herausforderungen auf die Veröffentlichung der vom Softwareentwicklungsteam neugeschriebenen Apps durch verschiedene neue Mitmachmöglichkeiten wie dem Bearbeiten in der App selbst, dem Offline-Lesen, einklappbaren Infoboxen, großen inhaltsbezogenen Bildern und kurzen Beschreibungen des Lemmas im Kopf des Artikels, die aus Wikidata-Einträgen generiert werden (was nach Informationen der Signpost bedauerlicherweise zu einem Anstieg an Vandalismus auf Wikidata geführt hat) sowie einem Abschnitt mit themenähnlichen Empfehlungen. Die Wikipedia-Apps für Apple und Android erreichen dabei sechs Millionen Nutzer und erhielten eine durchschnittliche Bewertung von 4 bis 4,5 von 5. Darüber hinaus wurde ein neues mobiles Webinterface veröffentlicht, das vor allem das Lesen und Bearbeiten von Wikipedia auf mittelgroßen Bildschirmen mit Unterstützung eines neuen mobilen VisualEditor ermöglicht. Die Signpost ergänzt hier, dass das Hochladen von Bildern nach Wikimedia Commons durch die mobile Website zu massivem Spam von urheberrechtsverletzenden oder missbräuchlichen Bildern geführt hat, deren Löschung viele Ressourcen verlangte. Die Desktopversion des VisualEditor wurde bereichert um Tabellenbearbeitungen und das Hinzufügen von Belegen und führte zu mittlerweile mehr als 5 Millionen Nutzungen in 160 Wikimedia-Wikis; das Programm wird in diesem Jahr in allen großen Projekten und Plattformen standardmäßig aktiviert. Das Analytik-Team hat schließlich zentrale Daten und Systeme für Messergebnisse zur Verfügung gestellt. Schließlich wurden weitere Programme entwickelt: Das Kommunikationswerkzeug Flow, das Bearbeitern unter anderem das Beobachten einzelner Diskussionsabschnitte ermöglicht, wurde in einigen Wiki-Projekten der französischen und katalanischen Wikipedia veröffentlicht und wird demnächst die in anderen Projekten genutzten LiquidThreads-Seiten ersetzen, zudem das neue Bearbeitungswerkzeug WikiGrok und den Media Viewer. Eine Karikatur des Superschutzvorfalls von Don-kun  Aufgrund der frühen Veröffentlichung des Media Viewer mit zu vielen Fehlern hatte der Flickr-ähnliche Multimediabrowser negative Reaktionen von vielen Autoren hervorgerufen. Erfreulicherweise reflektiert die Wikimedia Foundation in einem Lessons-learned-Abschnitt Erfolge wie Misserfolge bei der Veröffentlichung und betont dabei selbstkritisch das Fehlen von Werkzeugen, um produktives Feedback von der Community einzuholen, und das Fehlen einer klaren Metrik für das Messen von Erfolg. Bedauerlicherweise erwähnt der Bericht nicht den Superschutzvorfall, der neben Berichten v. a. in deutschen Medien zu massiven Diskussionen zwischen Community und Wikimedia Foundation geführt hat inklusive eines Briefes an die Stiftung, der von über 1.000 Beitragenden unterschrieben wurde. Die Foundation gesteht dabei ein, dass diese „teuren und langsamen“ („expensive and slow“) Änderungen für Desktopbenutzerinnen und -benutzer zu einer Abwendung von diesem hin zur Entwicklung besonders im mobilen Bereich geführt haben. Das Dokument betont aber, dass beide Bereiche weitere Verbesserung verlangen.  Auf mobiler Seite beabsichtigt die Wikimedia Foundation neue Möglichkeiten zur Teilnahme an den Wikimedia-Projekten – werden wir da, wenn man bedenkt, dass MediaWiki nicht Bearbeitungen und Verfassende der Artikel über die Versionsgeschichte hinaus transparent macht, so etwas wie WikiHistory oder den Artikelmonitor sehen? Bedenken äußert die Wikimedia Foundation auf Desktopseite, dass externe Projekte wie WikiWand sie in ihrer Funktion als Betreiberin ersetzen könnte, wenn Designänderungen „mit Grenzfällen oder autorenbezogener Funktionalität kollidieren“ („clash with edge cases or with editor-focused functionality“):      “We risk being left behind when it comes to offering the best experience reading Wikipedia.”      „Wir riskieren zurückzubleiben, wenn es darauf ankommt, das beste Leseerlebnis für Wikipedia anzubieten.“  Wie genau dies aussehen wird, ist noch unklar. Das Team für Softwareentwicklung und anwenderorientierte Veröffentlichung (Engineering and Product team) plant jedoch, den Beitrag der Community in den Prioritäten für ihre Produkte zu stärken und Neuigkeiten- und Feedbackkanäle zu entwickeln. Dennoch könnte eine der Konsequenzen sein, dass künftig nicht mehr alle Admins Änderungen im MediaWiki-Namensraum durchführen können, sondern dies zugunsten eines Code-Review-Prozesses verändert wird, wie auf Phabricator vorgeschlagen.  Das Dokument äußert Bedenken über die geringe Verfügbarkeit von strukturierten Daten im Wikiversum und ein daher fehlendes gleichmäßiges Design. Weder die Unterstützung von Wikidata (bspw. mit WikiDataQuery), das maßgeblich von Wikimedia Deutschland entwickelt wird, noch die gemeinsamen Pläne zu einem strukturierten Wikimedia Commons werden dort erwähnt. Dies gilt auch für einen der invasivsten Eingriffe der Wikimedia Foundation, die gegenwärtige Single-User-Login-Finalisierung. Während einerseits die Eindeutigkeit aller Benutzerkonten Grundlage ist für lang erwartete Verbesserungen wie globale Beobachtungslisten, globale Benachrichtigungen und eine effiziente Flow-Implementierung, verlangt der Prozess andererseits Zwangsumbenennungen, um Namenskonflikte aufzulösen.“ DH, 3.4. Auf den zweiten Blick: Noelloskopie für Fortgeschrittene. Oder: Warum gescheiterte PR-Versuche in WP so verschwinden lassen?  Vorletztes Jahr erschien ein Buch von Jörg Becker über die Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann. Das Buch wurde zunächst kontrovers aufgenommen. So weit nichts Besonderes. Besonders war, dass es letztlich vom Markt geklagt wurde. Ein Schweizer Erbe und Nachlassverwalter hatte gegen das Buch geklagt. Im Nachgang hierzu nahm ein 2008 angelegter Schweizer Benutzer 2014 (Beitragsliste) seine Arbeit wieder auf. Die Arbeit erstreckte sich auf Noelle-Neumann, ihre Familie, ihre Schule und ihre Kritiker. Der Artikel von Noelle-Neumann, über deren Verstrickung in den NS ebenso wie um ihre Methodik bzw. die Orientierung dieser an Interessen der Auftraggeber, es kontroverse Debatten gibt, wurde dabei langsam und kontinuierlich bereinigt und aufgehübscht. Eine Reihe berühmter Vorfahren wurde eingefügt, dafür Antisemitismusbelege und die positive Haltung zum NS verschönert. Sogar an Marginalien wie Hinweisen auf etwas häufige Schulwechsel (die die Lemmaperson freimütig berichtet) geschraubt. Die Artikel von zwei bekannten Kritikern wurden mit Infos versorgt, die negativ verstanden werden sollten. Otto Köhler bekam seine NS-Vergangenheit vorgehalten (Köhler war 1945 gerade 10, er nutzte seine HJ-Mitgliedschaft zur Selbstreflektion im Kontext mit seiner Beschäftigung mit NS-Journalisten), bei Becker wurden Veröffentlichungen im Neuen Deutschland ebenso ergänzt wie die Funktion seines Vaters im WK II. Flankierend wurden Artikel zur Familienmitgliedern von Noelle-Neumann aufgepeppt. Die Fakten sind dabei nicht unbedingt falsch, aber einseitig zusammengestellt – interessengeleitet, hübsch.  Alles in allem eine glasklare PR-Aktion eines Nutzers mit einem deutlich durchschimmernden IK und übergroßer Detailkenntnis. Die Admins bekamen erst im zweiten Anlauf die Kurve und setzten den Artikel auf den Stand vor den Bearbeitungen zurück. Auch bei VMs war erst ein zweiter Anlauf nötig, diese im Sinne von WP zu klären. Letztlich wurde auch die Artikeldiskussion administrativ überarbeitet. Verschwunden ist nun die polemische und aggressive Art, mit der auch juristisch gedroht wurde: angeblich Verlinkung illegaler Inhalte. Da die Artikeldiskussion erst verschoben (später gelöscht) wurde, dann folgte die Neuanlage der Diskussion mit gesäuberten Teilen, fehlen nun der Klarname des PR betreibenden Nutzers ebenso wie seine Drohungen, Links seien illegal, und die wirklich dreisten Reste seiner Beiträge dort. Selbst das Durchackern durch ältere Versionen ist unmöglich. Nachfragen nach dem Grund des Vorgehens an den bearbeitenden Admin blieben unbeantwortet. Damit ist nun nicht nur dem unbedarften Betrachter, sondern auch den eingefleischten Wikipedianern unklar, was genau in dem Artikel und der Disk geschehen ist. Ist es wirklich sinnvoll, auch im Sinne von Prävention, PR-Versuche so zu schützen? Ist dieses vor allem auch deshalb sinnvoll, wo wir es nicht mit einer Hinterzimmerklitsche (der man Dummheit und Unbedarftheit zu Gute halten muss), sondern mit einer bedeutenden Institution zu tun haben, deren Gegenstand eben die veröffentlichte Meinung ist? Ef 29.3. Wikipedia Zero: ein unüberschaubares Manipulationspotenzial
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Ein Skandal, der keiner ist: Zum Spiegel-Artikel „LKA wollte Wikipedia-Eintrag schönen“

In seiner aktuellen Print-Ausgabe berichtet Der Spiegel über den Versuch des Landeskriminalamts (LKA) Thüringen, den eigenen Eintrag in der Wikipedia zu schönen. Das LKA kürzte dem Nachrichtenblatt zufolge massiv den Absatz „Kritik“ und löschte dort mehrere Vorwürfe. Was sich nach einem handfesten Skandal anhört, ist in Wirklichkeit keiner.

Marvin Oppong ist bekannt für seine Kritik an Wikipedia und inzwischen ein gefragter Experte, wenn es um PR-Manipulationen bei der Online-Enzyklopädie geht. Seine Studie „Verdeckte PR in Wikipedia – Das Weltwissen im Visier von Unternehmen“ sorgte für einigen Wirbel, musste aber auch Kritik einstecken.

Kritik muss sich Oppong auch an seinem neuen Artikel für den Spiegel gefallen lassen. Denn der Journalist ließ entscheidende Fakten einfach weg. Schon die Überschrift gibt die Marschroute vor: „LKA wollte Wikipedia-Eintrag schönen.“

„[…] Schade das mal wieder die Spiegelredakteure so wenig Medienkompetenz besitzen, sich über die wahren Hintergründe per Rechereche ein Bild zu machen. […].Oliver S.Y. (Diskussion) 19:21, 16. Jan. 2015 (CET)“ (Kommentar eines Users auf der Wikipedia-Diskussionsseite)

Die Wahrheit sieht anders aus – lässt sich jedoch journalistisch nicht annähernd so gut vermarkten wie ein zum Skandal aufgeblähter Artikel. Tatsächlich hat das LKA Thüringen zunächst einmal vieles richtig gemacht: Die Landesbehörde legte sich einen inzwischen verifizierten Benutzer-Account an und bat um Unterstützung durch einen Wikipedia-Mentoren.

LKA Thüringen spielt mit offenen Karten

Die LKA-Pressestelle verhält sich geradezu mustergültig: Sie spielt mit offenen Karten (auf der Benutzerseite sind E-Mail-Adresse und Telefonnummern zur Kontaktaufnahme hinterlegt) und zeigt sich offen diskussionsbereit.

„Wir stellen uns gern jeglicher berechtigter öffentlicher Kritik und nehmen diese dankbar an. […] Unser Anliegen ist es, über die Aufgaben der Behörde eine möglichst objektive Sicht zu geben. Dazu ist der gestrige Text als Vorschlag gedacht. Wir bitten ihn entsprechend der Wikipedia-Gepflogenheiten zu nutzen und gegebenenfalls zu verbessern.“

Nichts deutet darauf hin, dass das LKA den Account nur deshalb angelegt hat, um sein Image aufzupolieren. Dass daraus in den Medien dennoch ein Skandal gemacht werden würde, ahnten einige Autoren der Wikipedia schon vorher.

„Ja klar, überall Korruption usw. Wenn das von der Journallie auch noch so mies recherchiert wird, wie es Oppong üblicherweise tut, dann kommt wirklich eine Affäre bei raus. —Pölkky 18:33, 6. Nov. 2014 (CET)“

Bisheriger Abschnitt „Kritik“ ein Witz

Das eigentliche Problem sind nicht die Kürzungen im Absatz „Kritik“. Erschreckend ist vielmehr, was bisher in diesem Abschnitt stand (und wieder steht). Mit enzyklopädischer Ausgewogenheit (WP:NPOV) hat das wenig zu tun.

„[…] Es stellt sich die Frage, ob es nicht eher eine Peinlichkeit für den Anspruch von Wikipedia als Enzyklopädie war, daß diese 3 Zeilen alles an Kritik war, was sämtliche aktive Benutzer zu dem Thema für ausreichend befanden. […] Oliver S.Y. (Diskussion) 19:21, 16. Jan. 2015 (CET)“ (Kommentar eines Users auf der Wikipedia-Diskussionsseite)

Die Kritik am LKA Thüringen im Zusammenhang mit dem NSU, die ursprünglich aus einem Spiegel-Artikel und einer ARD-Dokumentation zusammengeschustert worden war, wurde zwar inzwischen erweitert, ist aber nach wie vor einer Enzyklopädie unwürdig.

Zusammenarbeit zahlt sich aus

Natürlich war es ungeschickt von der Pressestelle des LKA Thüringen, derart umfangreiche Änderungen am eigenen Artikel vorzunehmen. Eine Behörde, die bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen versagt hat, hätte ahnen müssen, dass sie auf massive Kritik stößt, wenn sie eine kritische Passage über das eigene Wirken löscht.

Doch dahinter steckte erkennbar keine böse Absicht. Vielmehr zeigt sich hier die Unerfahrenheit der Pressestelle im Umgang mit Wikipedia. Auch Wiki-Watch macht die Erfahrung, das Unternehmen und Organisationen im Umgang mit dem Online-Nachschlagewerk sehr unsicher sind.

Erst kürzlich erreichte uns die Zuschrift der skandalgeplagten EBS Universität für Wirtschaft und Recht aus Wiesbaden in Hessen, die sich durch einen verleumderischen Artikel in der Wikipedia in ihrer Existenz bedroht sieht. Wie soll die Uni reagieren? Darf sie den Artikel selbst verbessern? Und wenn ja, wie? Was ist zu tun, wenn sich die zwei bis drei Autoren, die den Artikel fest in der Hand haben, nicht überzeugen lassen?

„Ein paar einflussreiche Autoren haben den Wikipedia-Artikel nun zum Sammelsurium jeglicher Skandale gemacht und beschrieben diese im Detailgrad einer Tageszeitung. Zusätzliche Aufmerksamkeit wird den Skandalen zudem gegeben, indem diese in so viele skandalöse Unterteile mit eigenen Überschriften unterteilt werden wie möglich. So wird in den Titeln unter anderem über eine Insolvenz der Uni spekuliert. In der bewusst suggerierten baldige Insolvenz der Uni sehe ich die ernste Gefahr einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.” (EBS-Student in einer E-Mail an Wiki-Watch)

Fazit: Beim Artikel zum Landeskriminalamt Thüringen arbeiten die meisten User konstruktiv mit der Pressestelle des LKA zusammen. Im Vordergrund steht die Arbeit an der Enzyklopädie. Ziel ist es, den Artikel weiter zu verbessern. Das hat durchaus Vorbildcharakter und eignet sich rein gar nicht für einen Skandal.

http://www.oppong.eu/
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Denkzettel für Wikimedia Deutschland

Die am 21. November 2014 veröffentlichte Empfehlung des Funds Dissemination Committee (jenes Gremium, das die Wikimedia Foundation bei der Verteilung der Spendengelder berät) ist ein Denkzettel für Wikimedia Deutschland. Ziellosigkeit, riesige Ausgaben für Programme, erhebliche Mehrkosten durch die vorzeitige Abberufung des Vorstandes, extrem hohe Verwaltungskosten, viel zu viele Mitarbeiter.

Das Urteil des FDC über die Arbeit von Wikimedia Deutschland (WMDE) hätte schlimmer nicht ausfallen können. Statt der beantragten 1,2 Millionen sollen 2014/2015 nur 840.000 Euro von der Foundation an den deutschen Verein fließen – 35,19 Prozent weniger als beantragt. Ein Warnschuss, der WMDE zum Umdenken zwingen soll.

„The FDC does not find a focused rationale behind its budget, which is serious considering that Wikimedia Deutschland (…) is requesting more than 25% of the total funds available. The costs of each program are not sufficiently detailed, making it hard to determine if amounts allocated for each program are reasonable or not.“

Die Begründung des Gremiums ist ein Armutszeugnis für das deutsche “Chapter” der Wikimedia Foundation, der Organisation hinter Projekten wie Wikipedia, Wikibooks oder Wiktionary. Das fängt schon bei dem mangelhaften Antrag auf Mittelvergabe selbst an: Dieser enthalte viel zu wenige Details, was es schwer mache, zu ermitteln, ob die Kosten, die für jedes Programm vorgesehen sind, angemessen sind oder nicht. Auch eine Zielrichtung hinter dem Budget sei nicht erkennbar, besorgniserregend angesichts dessen, dass WMDE mehr als 25 Prozent des gesamten Spendenvolumens beantragt. Urteil des FDC: für eine Organisation dieser Größe völlig inakzeptabel.

Erhebliche Mehrkosten durch vorzeitige Abberufung des Vorstandes

Herbe Kritik muss der Verein wegen der vorzeitigen Abberufung des Vorstands Pavel Richter einstecken, die zu „ausufernden und unnötigen Übergangskosten geführt“ habe. Zwar gebe es Umstände, die die sofortige Beendigung eines Vertrages rechtfertigen können. Da der Vorstand jedoch weiterhin als Berater beschäftigt wird und Teil der Organisation bleibt, scheine die vom Präsidium öffentlich kommunizierte Unzufriedenheit mit dem Vorstand kein ausreichender Grund für so einen radikalen Schritt zu sein. Es scheine keinerlei Änderung in der strategischen Ausrichtung seit der Trennung gegeben zu haben und es sei wahrscheinlich, dass die Entscheidung, den Vertrag des scheidenden Vorstands nicht zu verlängern, dasselbe Ergebnis mit erheblich weniger Kosten gebracht hätte.

Tatsächlich könnte die vorzeitige Trennung von Pavel Richter, der ohne seine Abberufung noch etwa 1,5 Jahre Vorstand gewesen wäre, den Verein bis zu 250.000 Euro kosten. Das sind immerhin 35 Prozent der Spenden, die von Januar bis Juni 2014 insbesondere über die Banner auf der deutschen Wikipedia-Seite eingenommen worden sind.

Extrem hohe Verwaltungskosten, viel zu viele Mitarbeiter

Ein weiterer Kritikpunkt sind die viel zu hohen Verwaltungskosten, die vom FDC als „extrem und ungewöhnlich“ bezeichnet werden, insbesondere die Kosten, die dem Präsidium zugeordnet sind.

„From the information available, the FDC considers administration costs included in this proposal to be extremely and unusually high, especially those related to the Board.“

Der Verein habe zu viel Personal („Wikimedia Deutschland’s staff is already oversized„) und viele Projekte erzielten trotz hoher Investitionen nicht den erwarteten Nutzen („The FDC believes that the impact expected does not appear to have been reached for many programs, even though there has been a large investment in them„).

„Wikimedia Deutschland also has the largest number of staff and largest budget for staff among the Wikimedia affiliates.“

Als Beispiel führt das FDC die im Budget veranschlagten Kosten für die Förderung der Community („Team Communitys“) mit geschätzten Kosten von 710.000 Euro für das nächste Jahr einschließlich der Kosten für die Mitarbeiter an.

Kürzungen auf dem Rücken der Community

Dass das Funds Dissemination Committee das Budget wegen zu hoher Kosten für die Förderung der Community zurückfährt, trifft deren Mitglieder, die sich freiwillig für die Schaffung freier Inhalte engagieren, besonders hart. Während das Projekt WikiData gelobt wird, werden die vielen Community-Projekte pauschal als wenig erfolgreich abgetan.

„WMDE is continuing its expensive community support work that has not demonstrated past impact and in its current design does not seem likely to generate significant future impact commensurate with costs.“

Für Unverständnis hat die Aussage des Gremiums gesorgt, die Freiwilligenförderung habe jahrelang keine Ergebnisse gebracht.

„… its [WMDEs] community support program has continually not shown results despite many years of significant funding“

Für diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, ist das natürlich ein Schlag ins Gesicht. Allerdings war die Community selbst gar nicht Adressat dieser Kritik. Was dem FDC vielmehr zu fehlen scheint, ist ein roter Faden im Hinblick auf die Ziele der weltweiten Wikipedia-Bewegung („global movement“).

Freiwilligenarbeit steht nicht mehr im Mittelpunkt

Die Förderung der Freiwilligen war bereits ein zentraler Konflikt im Zusammenhang mit der vorzeitigen Abberufung von Pavel Richter. Auch beim FDC-Prozess um die Verteilung der Spenden an WMDE ist die Rolle der Community ein zentraler Punkt.

Im Grunde geht es um die Frage: Was ist die Aufgabe von WMDE? Ist der Verein in erster Linie dazu da, freie Inhalte zu generieren, zu sammeln und zu verbreiten, oder soll es insbesondere darum gehen, die Freiwilligen bei diesen Aufgaben zu unterstützen?

Wikimedia Deutschland gibt im Vergleich zu anderen nationalen Wikimedia-Vereinen überdurchschnittlich viel Geld für die Förderung der Freiwilligen aus. Die Kritik des FDC, die jahrelange Freiwilligenförderung habe kaum etwas gebracht, lässt das deutsche Chapter nicht gelten. Gerade das vom FDC gelobte Projekt WikiData sei ohne die vielen Freiwilligen nicht möglich gewesen, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins.

WMDE zweifelt zudem daran, ob sich mit dem sog. Global-Metrics-Baukasten wirklich messen lässt, wie die Höhe des Mitteleinsatzes im Verhältnis zur Wirkung („Impact“) der jeweiligen Programme steht. Erfolgsmetriken wie z.B. Bytes an Text oder die Anzahl aktiver Nutzer pro Projekt allein reichten nicht aus, um Erfolg zu messen („Numbers do not tell the full story.“)

„We disagree strongly with the statement that our community work has not resulted in impact. To this day, the German language community provides the content for the second largest Wikipedia in the world – without excessive use of bots.“ (Stellungnahme von WMDE an das FDC, 15. November 2014)

Auf der anderen Seite ist die Freiwilligenförderung nur ein Teil dessen, was wichtig ist, um freies Wissen zu generieren, zu sammeln und zu verbreiten. Außerhalb der Community gibt es eine Vielzahl von Gruppen, Organisation und Personen, die für freies Wissens mindestens genauso wichtig sind und ebenfalls gefördert werden wollen.

„Mir war es immer wichtig, dass bei Aktivitäten von Wikimedia Deutschland der Nutzen für die Projekte mitgedacht wird. Und es gibt eben zahlreiche Aktivitäten die Nutzen für die Projekte haben, aber explizit nicht Freiwilligenförderung sind.“ (E-Mail von Philipp Birken, Beisitzer im Vorstand von Wikimedia Deutschland e.V.)

Bei genauer Betrachtung geht es bei dem Konflikt um die Verteilung des großen Wikipedia-Spendenkuchens. Die bisherige Bevorzugung von Community-Projekten weckt Neid. Einfach ausgedrückt: Viele andere möchten auch ein Stück vom Kuchen haben.

„WMDE (inklusive neuem Präsidium und dem irgendwann eingestellten neuen Vorstand) hat jetzt wohl die schwierige Aufgabe nach innen die eigene Ausrichtung und Zielsetzung neu zu definieren oder wenigstens zu re-kallibrieren und nach außen die Aufgabe den Spendern und der Community zu vermitteln, dass „Die Communities stehen im Mittelpunkt” eine schöne Idee war – aber Vergangenheit ist.“ (Wikipedia-Autorin Henriette auf netzpolitik.org).

Neues Präsidium gewählt – „Comeback von Wikimedia-Veteranen“

Auf der 15. Mitgliederversammlung von Wikimedia Deutschland am 29. November 2014 in Berlin wurde ein neues Präsidium gewählt – ein Schritt „zurück in die Zukunft“, wie Leonhard Dobusch auf netzpolitik.org feststellt:

Denn mit dem Gründungsvorsitzenden Kurt Jansson, seinem Nachfolger Sebastian Moleski und dem Vorgänger von Tim-Moritz-Hector, Nikolas Becker, kehren gleich drei Ex-Vorsitzende ins Präsidium zurück.

Dies sei deshalb brisant, schreibt Dobusch, weil sich Jansson und Moleski öffentlich gegen die Absetzung von Pavel Richter als geschäftsführendem Vorstand ausgesprochen hatten und Becker seine Funktion aus Protest gegen diese Entscheidung niedergelegt hatte.

Wie wird das neu gewählte Präsidium mit der Kritik des FDC umgehen? Ist es in der Lage, die unterschiedlichen Standpunkte nach innen und außen zu kommunizieren? Der Wikimedia Foundation bzw. dem FDC muss WMDE vermitteln, was das deutsche Chapter unter erfolgreicher Freiwilligenförderung versteht. Gleichzeitig muss der Community deutlich gemacht werden, dass die Wikimedia Foundation mehr als bisher von der Community erwartet. Ein schwieriger Spagat.

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Wikimedia verliert Markenrechtsstreit gegen Wiki-Watch

Das Bundespatentgericht in München hat mit Beschluss vom 26. März 2014 eine Beschwerde der Wikimedia Foundation gegen das interdisziplinäre Projekt Wiki-Watch zurückgewiesen. Wikimedia hatte beantragt, die Marke von Wiki-Watch löschen zu lassen. Ohne Erfolg: Zwischen Wikipedias Puzzle-Kugel und dem Logo von Wiki-Watch bestehe keine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr, so das eindeutige Urteil der Richter.

Warum die gemeinnützige Organisation hinter Wikipedia sinnlos Spendengelder verbrennt, um einen aussichtslosen Rechtsstreit gegen Wiki-Watch zu führen, darüber lässt sich nur spekulieren. Wollte die Wikimedia-Stiftung auf diesem Wege ein Projekt schwächen, das sich kritisch mit Wikipedia befasst?

„Es war reichlich übertrieben, wegen dieser eigentlich sehr offensichtlichen Sach- und Rechtslage gegen uns vorzugehen. Ich hatte während des ganzen Verfahrens den Eindruck, dass Wikimedia in Wirklichkeit erreichen wollte, uns als unerwünschten Beobachter von Wikipedia bzw. Wikimedia auszuschalten, zumindest aber uns in unserer Arbeit zu behindern.“ (Prof. Dr. Johannes Weberling, Leiter der Arbeitsstelle Wiki-Watch)

Gegen die Eintragung dieser Marke hatte Wikimedia Widerspruch erhoben.

Die Anwälte von Wikimedia hätten gewarnt sein sollen. Schon das Deutsche Patent- und Markenamt, das über einen Widerspruch gegen die Eintragung der Marke Wiki-Watch zu entscheiden hatte, ließ durchblicken, dass die sich gegenüberstehenden Marken in jeder Hinsicht „sehr unterschiedlich“ sind.

Begrifflich und bildlich sehr unähnlich

Die jüngere Marke weise zum einen den Wortbestandteil „Wiki-Watch“ und zum anderen das Bild einer Lupe auf, die Widerspruchsmarke enthalte diese beiden Bestandteile nicht. Auch das einzige gemeinsame Element der Marken in Form einer als Puzzle dargestellten Kugel sei sehr unterschiedlich gestaltet: In der Widerspruchsmarke sei die Kugel hell gehalten und weise Schriftzeichen auf den Puzzelteilen auf, während die Kugel in der angegriffenen Marke eine dunkle Farbgebung aufweise und ohne Schriftzeichen ausgebildet sei.

"Mundowikipedia" von Anaabiega, lizenziert unter CC BY-SA 3.0.

Auch der Versuch, den Puzzelball als selbstständiges Bildelement markenrechtlich anzugreifen, scheiterte. Denn die mit Puzzelteilen bedeckte Kugel sei nicht prägend für den Gesamteindruck des Kennzeichens, da die weiteren Wort- und Bildbestandteile gleichberechtigte Markenbestandteile seien. Es bestehe daher keine Verwechslungsgefahr. Auch die Gefahr einer gedanklichen Verbindung der Marken im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG sei nicht gegeben.

Schutz der Meinungs- und Wissenschafsfreiheit

Schließlich liege auch keine unlautere Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der Marke im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 3 MerkenG vor. Denn selbst wenn der Verkehr einen Bezug der jüngeren Marke auf die Widerspruchsmarke erkenne, sei jedenfalls ebenfalls erkennbar, dass sich die Dienstleistungen lediglich mit der Beobachtung von Wikipedia befassten.

„Derartige Ziele genössen den grundrechtlichen Schutz der Meinungs- und Wissenschafsfreiheit.“

Gegen die Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamts legte die Wikimedia Foundation trotz der eindeutigen Rechtslage Beschwerde ein. Zwischen den Marken bestehe eine „hohe Ähnlichkeit“, insistierten die Wikimedia-Anwälte. Etwaige Details, wie etwa die auf den Puzzleteilen abgebildeten Buchstaben oder die Farbgebung, blieben dem Publikum nicht in Erinnerung. Wegen der gesteigerten Kennzeichnungskraft (Bekanntheit) der Widerspruchsmarke sei eine Verwechslungsgefahr aber auch schon bei geringer Ähnlichkeit gegeben.

Den Argumenten folgten die Richter am Patentgericht nicht.

„In der Gesamtheit ist (…) nur eine äußerst geringfügige Ähnlichkeit festzustellen, die eine unmittelbare Verwechslungsgefahr nicht zu begründen vermag.“

Die Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Marken seien zu groß, so dass bei den angesprochenen Publikumskreisen sowohl die Gefahr unmittelbarer Verwechslungen als auch die Gefahr von Verwechslungen aufgrund einer gedanklichen Verbindung ausgeschlossen werden kann. Eine derart geringe Ähnlichkeit lasse sich auch nicht dadurch ausgleichen, dass die Online-Enzyklopädie und damit die Marke, die auf jeder Seite von Wikipedia zu sehen ist, im Verkehr besonders bekannt ist.

Update: „Wikimedia Logos Have Been Freed!“

Kurz nach der Veröffentlichung unseres Berichts gab Wikimedia bekannt, ihre Logos von nun an unter der Lizenz „Attribution-ShareAlike 3.0 Unported“ – abgekürzt „CC-BY-SA-3.0“ – bereitzustellen. Vorbehaltlich der Bestimmungen der Markenrichtlinie dürfen die Logos vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Es ist erlaubt, Abwandlungen und Bearbeitungen anzufertigen.

In jedem Fall muss der Name des Autors/Rechteinhabers in der von ihm festgelegten Weise genannt werden. Eine vereinfachte Zusammenfassung des Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache ist hier zu finden.

in jeder Hinsicht

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