„Verdeckte PR in Wikipedia“ – die Studie im Faktencheck

Verdeckte PR in Wikipedia ist bereits heute ein großes Problem. Zu diesem Ergebnis kommt die umstrittene Studie (PDF) von Marvin Oppong.

Anhand von Fallstudien einzelner Artikel zeigt der Autor wie Unternehmen, Verbände, Parteien und Einzelpersonen versuchen, durch Eingriffe in die Artikel der Online-Enzyklopädie ihr Bild in der Öffentlichkeit zu schönen.

Im Fokus der Studie stehen nicht nur große Unternehmen (RWE, Daimler, BASF), sondern auch einzelne Autoren der deutschen Wikipedia, die sich für das Schreiben von Artikeln offenbar bezahlen ließen. Eigene Kapitel haben das ehemalige Wikimedia-Vereinsmitglied Achim Raschka und der Autor „7Pinguine“.

Tendenziös und veraltet

In den meisten Medien (Übersicht) wurden die Ergebnisse der Studie nahezu kritiklos übernommen, ohne sie im Einzelnen zu hinterfragen. So entsteht der Eindruck: verdeckte „PR und Manipulation sind in Wikipedia allgegenwärtig„.

In der Community kommt die Studie der gewerkschaftsfinanzierten Otto-Brenner-Stiftung gar nicht gut an. Dem Autor werden Lügen unterstellt, Benutzer:Achim Raschka drohte sogar mit rechtlichen Schritten gegen die Publikation.

Oppong gehe es allein darum, einen Skandal herbeizuschreiben. Die Studie leide an zahlreichen sachlichen Fehlern. Die Recherche sei auf dem Stand von vor 2 oder 3 Jahren. Vor allem sei die Studie aber eins – tendenziös.

PR-Studie im Faktencheck

Marvin Oppong hat sich mit seiner Studie das Ziel gesetzt, „Leserinnen und Leser mit wenig oder durchschnittlichen Vorkenntnissen zu Wikipedia“ über das Thema „Verdeckte PR in Wikipedia“ zu informieren.

Das gelingt ihm – soviel vorweg – leider nicht. Im Faktencheck sagen wir, warum.

  • Offenlegung der Accounts von Unternehmen und Verbänden (S. 95)

Zitat: Doch wäre es bereits ein großer Fortschritt, wenn Wikipedia-Accounts, von denen aus Unternehmen Änderungen vornehmen, als solche erkennbar wären – vor allem im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit von Editierungen in der Versionsgeschichte und weil andere Wikipedia-Nutzer auf diese Weise gezielt Kommentare auf der Diskussionsseite des jeweiligen Wikipedia-Accounts hinterlassen könnten.

Fakt: Gibt es längst! Oppong verschweigt, dass es seit 2011 verifizierte Benutzer in der deutschen Wikipedia gibt. Zahlreiche Unternehmen und Verbände arbeiten bereits damit. Ein vorbildliches Benutzerkonto hat etwa die Pressestelle von Hochtief.

„Dies ist der Account der HOCHTIEF Konzernpressestelle bei Wikipedia. Wir möchten gerne dazu beitragen, dass die Informationen über unser Unternehmen aktuell und richtig sind. Dabei wollen wir uns gerne jeglicher Schleichwerbung oder anderer Dinge, die in Wikipedia nicht gerne gesehen sind, enthalten. Sofern es Fragen zu uns bzw. unseren Aktivitäten in Wikipedia gibt, bitte einfach an die unten stehende Adressen wenden.“

  • Raschkas Account-Lüge (S. 81 f.)

Zitat: Obwohl Raschka nach wie vor vorgibt, mit dem Account „Achim Raschka (Nawaro)“ nur im Zusammenhang mit dem WikiProjekt „Nawaro“ editiert zu haben, editierte er über den Nawaro-Account den Eintrag über den französischen Ort Le Roulier, mehrfach den Artikel über den Laternenhai sowie die Artikel „Rum“, „Erdflöhe“ und „Chaim Weizmann“. (…) Über seinen Nawaro-Account editierte Raschka auch das Lemma „Rimonabant“, laut Wikipedia ein „Arzneistoff, der als Appetitzügler zur Behandlung des Übergewichts eingesetzt wurde, eigentlich aber zur Raucherentwöhnung von dem Pharmaunternehmen Sanofi-Aventis entwickelt wurde“.

Anmerkung: Das Projekt „Nachwachsende Rohstoffe in der Wikipedia“ wurde im Juni 2007 gegründet. Mitarbeiter des Projektteams sind an einem „Nawaro“ in ihrem Benutzernamen erkennbar. Im Rahmen des Vorhabens sollten 150 neue Artikel zum Thema „Nachwachsende Rohstoffe“ entstehen.

Fakt: Der Vorwurf, Raschka habe nicht sauber zwischen Edits unter dem Account „Achim Raschka“ und „Achim Raschka (Navaro)“ unterschieden, ist übertrieben. Es mag sein, dass er mit seinen Accounts vereinzelt durcheinander gekommen ist. Das rechtfertigt aber noch lange nicht den Vorwurf der Lüge. Die Edits waren stets eindeutig identifizierbar. Von verdeckter PR kann hier keine Rede sein.

„Dass das NAWARO-Projekt eine heikle Sache war, eine Gratwanderung, bei der Achim möglicherweise nicht immer die richtigen Entscheidungen getroffen hat, bestreite ich nicht“, schreibt Benutzer:Mautpreller. „Es ist jedoch eine blanke Absurdität, Achim ausgerechnet daraus, dass er ab und an mal mit seinen eindeutig identifizierbaren und auf einen Klarnamen zurückführenden Accounts durcheinander gekommen sein mag, eine Lüge anzudichten.“

Achim Raschka selbst äußerte sich zu dem Vorwurf wie folgt:

„Sollte er tatsächlich auch übersehen haben, dass der Chemiker Chaim Weizmann der Erfinder der ABE-Fermentation ist, die im Bereich der Industriellen Biotechnologie ziemlich zentral ist? Aber ich gebe zu, dass der Laternenhai und die Erdflöhe heftig belastend sind. Toll ist das Beispiel Rimonabant, wo er mir diesen Edit zum Vorwurf macht – die Einfügung der Kategorie Cannbinnoid wollte ich also vertuschen, weil ich für Sanofi-Aventis arbeite ….? Puh – ich glaube, wenn ich den ganzen Text kommentieren würde, könnte ich selbst eine hundertseitige Broschüre schreiben.“

Zitat: Raschka nahm entgegen seiner Account-Aussage sowohl als Leiter des „Nawaro“- Projekts als auch unter seinem Account „Achim Raschka“ Änderungen in Wikipedia-Artikeln im Themenbereich Nachwachsende Rohstoffe vor und verwendete darüber hinaus seinen offiziellen „Nawaro“-Account nicht nur für das Projekt, sondern auch für Edits zu „Rum“, Haschisch und Rauchutensilien.

Fakt: Marvin Oppong hat übersehen (oder übersehen wollen?), dass die kritisierten Edits mit dem Bereich Nutzhanf verknüpft sind.

Raschkas Kommentar dazu fällt dementsprechend spöttisch aus:

„Hat mich Oppong jetzt als Kiffer entlarvt, weil ich Edits an Roter Libanese, dem Rauscheimer, Blunts und Cannabis vorgenommen habe – oder hat er evtl. nur übersehen, dass diese Edits mit dem Bereich Nutzhanf und der dortigen Sortierung der Hanfthemen verknüpft sind (…)?“

  • Kontakt zwischen „7Pinguine“ und Leibinger-Stiftung (S. 64f.)

Zitat: „7Pinguine“ nahm auch Schönheitskorrekturen am Artikel über die Unternehmensgruppe Trumpf vor.

Fakt: Viel heiße Luft. „7Pinguine“ entfernte zwei Doktortitel bei den Geschäftsführern und korrigierte eine Kategorie von „Laser“ in „Lasertechnik“. Oppong unterschlägt, dass Trumpf seit dem 30. August 2005 ein eigenes Benutzerkonto hat, mit dem die Firma in der Wikipedia mitschreibt. So entsteht ein völlig falsches Bild.

  • Informationen zu „Nestlégate“ beseitigt (S. 66f.)

Zitat: „7Pinguine“ löschte nur wenige Tage nach der Fernseh-Berichterstattung aus den deutschsprachigen Wikipedia-Artikeln über Nestlé und die Schweizer Securitas AG jeweils einen ganzen Absatz, der die Bespitzelungsaktion und den TSR-Bericht zum Gegenstand hatte (…). Einen Abschnitt „Kritik“ gab es danach in dem Securitas-Artikel nicht mehr. „7Pinguine“ war der Ansicht: „Dass eine Mitarbeiterin bei Attac eingeschleust wurde, ist an sich ja für eine Sicherheitsgesellschaft und angesichts der ‚Störungen‘ durch Attac noch nichts Außergewöhnliches.“

Anmerkung: 2003 infiltrierte eine Mitarbeiterin der Securitas AG im Auftrag von Nestlé unter falschem Namen eine Schweizer Gruppe der globalisierungskritischen NGO „Attac„, um Informationen zu sammeln. Für diese unerlaubte Infiltration wurde Securitas 2012 zu einer Geldstrafe verurteilt.

Fakt: Will Oppong damit sagen, dass sich „7Pinguine“ für die Löschaktion von der Securitas AG bezahlen lies? Das ist reine Spekulation. In der Diskussion zum Abschnitt „Kritik“, aus der Oppong (verkürzt) zitiert, ergibt sich ein ganz anderes Bild. „7Pinguine“ ging es offenbar darum, die weitere Entwicklung in der Affäre abzuwarten, bevor die Geschichte in Wikipedia landet.

Der Vollständigkeit halber hier das ungekürzte Zitat aus der erwähnten Diskussion:

„Ich habe gar nichts dagegen den Artikel insgesamt zu neutralisieren. Was die Kritik angeht, so habe ich auch nichts dagegen, so lange es nicht ‚das Rasuchen im Blätterwald‘ ist. ME ist die jetzige ‚Affäre‘ nicht wirklich einen Eintrag Wert, da noch ungeklärt ist, ob Securitas gegen Regeln verstoßen hat. Dass eine Mitarbeiter bei Attac eingeschleust wurde, ist an Sich ja für eine Sicherheitsgesellschaft und angesichts der ‚Störungen‘ durch Attac noch nichts außergewöhnliches. Mir wäre wohler, da etwas abzuwarten, wie sich die Sache entwickelt. Relevante Kritik kann ja gerne hin, obwohl ich nicht der Meinnung bin, dass Artikel um so besser sind, je mehr Kritik darin enthalten ist. Hat hier irgend einer sonst etwas dagegen, wenn der Eintrag auf enzyklopädisches Maß reduziert wird? Da steht in der Tat viel belangloses mit Werbecharakter drin.“

  • FDP-Parteispende weggestrichen (S. 68)

Zitat: Auch in den Eintrag über die FDP griff „7Pinguine“ – nach eigenen Angaben selbst FDP-Mitglied – insgesamt 15-mal ein. Dabei löschte er mehrere kritische Äußerungen über die Partei und Quellenangaben zu kritischen Presseberichten, eine Zwischenüberschrift „Kritik“, aber etwa auch die Worte „nach einer Parteispende“ in einem Passus, der davon sprach, dass man zu Beginn der CDU/FDP-Koalition über Steuersenkungen für die Hotelbranche stritt.

Fakt: Oppong biegt sich offenbar seine Wahrheit zurecht, „7Pinguine“ habe in eigenem Interesse in dem FDP-Eintrag editiert. Die Änderungen – im Einzelnen nachzuvollziehen auf der Diskussionsseite von „7Pinguine“ – gehen nicht über das hinaus, was jeder andere Autor in Wikipedia auch tut. Es gibt keine Anhaltspunkte für verdeckte PR.

Wilde Spekulationen, gezielte Auslassungen und wenig Neues

Marvin Oppongs Studie ist nicht immer seriös. Sie kleidet sich in das Gewand des Aufklärers. Doch die vielen Spekulationen, wagen Andeutungen und Ungenauigkeiten tragen nicht zur Informiertheit der Leser bei. Im Gegenteil: sie führen ihn in die Irre.

Recherchefehler können passieren. Marvin Oppong scheint sich jedoch bewusst dafür entschieden zu haben, es nicht allzu genau zu nehmen und das Thema „Verdeckte PR in Wikipedia“ zu skandalisieren.

Die Studie basiert auf Ergebnissen der Recherchen zum Thema „Von Editierkriegen und Löschhöllen – Auftrags-PR in der deutschen Wikipedia“, die in der ZEIT, auf Spiegel Online und in der Financial Times Deutschland veröffentlicht wurden.

Die Veröffentlichungen riefen kritische Reaktionen innerhalb und außerhalb der Wikipedia hervor (siehe zum „Fall Daimler“ hier und hier), mit denen sich Oppong hätte auseinandersetzen müssen. Stattdessen wärmt der Autor alles noch einmal auf und nennt das ganze Studie.

Wiki-Watch kritisierte schon im Dezember 2011 den Zeit-Artikel „Wikipedia oder Wahrheit“ von Marvin Oppong über das Projekt “Nachwachsende Rohstoffe in der Wikipedia”:

„Was bleibt also nach dieser Geschichte? Bisher ist sie einmalig, eine ähnliche öffentlich geförderte Großaktion zum Auf- und Ausbau eines Themenbereichs gab es bisher in der deutschsprachigen Wikipedia nicht. Interessanter als ihre generelle Skandalisierung wäre die Auseinandersetzung mit der Qualität der dort entstandenen Inhalte. Die groß angelegte Recherche, die die Zeit veröffentlichte, förderte keine inhaltlichen Mängel oder tendenziöse Informationsauswahl zutage.“

Das Politikmagazin MONITOR hat sich von der Studie nicht beeindrucken lassen. In dem sehenswerten Beitrag „Inside Wikipedia – Angriff der PR-Industrie“ kommt Oppong gar nicht erst vor.

„Verdeckte PR ist schlecht, ist unethisch, ist vom Teufel. PR sollte immer offen sein, weil das immer manipulativ ist, wenn man nicht weiß, woher die Informationen kommen .“ (Prof. Günter Bentele in Monitor, Sendung vom 30.01.2014)

Und das ist gut so. Denn das Interview mit dem Vorsitzenden vom Deutschen Rat für Public Relations Prof. Günter Bentele macht deutlich, dass verdeckte PR in Wikipedia eben nicht der Normalfall ist.

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1 Antwort zu „Verdeckte PR in Wikipedia“ – die Studie im Faktencheck

  1. Michael Schmidt sagt:

    Vom Beitrag in der Sendung „Monitor“, den Sie loben, haben sich zwei der Interviewten distanziert:

    http://www.maltelandwehr.de/monitor-wikipedia.html

    https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Sperrpr%C3%BCfung/Archiv/2014/Februar#Benutzer:KKieback_.28erl..29

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