„Stalins Badezimmer“? Wie ein Autor der Berliner Zeitung Wikipedia austrickste – und Wiki-Watch


Die Berliner Karl-Marx-Allee ist ein aufregender Ort. Stalinallee hieß sie bis 1961. Und noch heute sieht Berlin hier aus wie Moskau oder Kiew.

Die Karl-Marx-Allee ist ein Ort der Geschichten. Eine hat es in die Wikipedia geschafft und sich dort so lange gehalten, bis ihr Erfinder am 24. März in der Berliner Zeitung sein Geheimnis lüftete. Am 16. Februar 2009, um 21.13 Uhr am Abend, hatte der Autor in einem Anflug von Langeweile den schönen Satz in den Wikipedia-Artikel eingefügt:

„Wegen der charakteristischen Keramikfliesen wurde die Straße zu DDR-Zeiten im Volksmund auch ‚Stalins Badezimmer‘ genannt.“

Seither fand diese Wortschöpfung Einzug in unzählige Veröffentlichungen. Allesamt übernahmen sie ungeprüft und ohne Quellenangabe aus Wikipedia: Spiegel Online, Townster, visitberlin.de, andere Reiseportale. Am 17. März 2011 um 17.51 Uhr, 25 Monate nach Einfügen des Satzes in den Artikel, wurde es selbst seinem Erfinder zu bunt. Er wagte einen Löschversuch. Doch zweieinhalb Stunden später, um 20.13 Uhr, war der Satz wieder da: Revert eines Wikipedianers, der die Wendung „Stalins Badezimmer“ offenbar lieb gewonnen hatte. Erst der Artikel in der Berliner Zeitung ließ die Bezeichnung in einen Abschnitt „Kurioses“ am Ende des Artikels fallen.

Heute übrigens – und das scheint der Autor nicht zu wissen – wäre das kaum mehr möglich. Denn wer, wie der Autor, unangemeldet („als IP“) Artikel editiert, muss „gesichtet“ werden, bevor seine Änderung sichtbar wird. Und eine solche Ergänzung würde ohne überprüfbare Quellenangabe kaum akzeptiert werden. Denn auch da ist Wikipedia in den letzten 2 Jahren wesentlich strenger geworden: Ohne Quelle kein veröffentlichter Eintrag!

Wiki-Watch übrigens sagt ausdrücklich, dass es eine „formale Prüfung“ vornimmt – bei 1,2 Millionen Artikeln ist eine inhaltliche Bewertung nicht zu leisten. Und mit dem zusätzlichen Instrument WikiTrust zeigt es, welche Stellen neu sind und noch nicht von einer ausreichenden Zahl erfahrener Wikipedianer überprüft wurden. So etwa der neue Abschnitt „Kurioses“ am Ende des Artikels!

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4 Antworten zu „Stalins Badezimmer“? Wie ein Autor der Berliner Zeitung Wikipedia austrickste – und Wiki-Watch

  1. Hansi Meier sagt:

    Wenn eine Community schon einen Admin hat, die sich allen Ernstes „Eingangskontrolle“ nennt, ist es um so erfreulicher, daß denen mal gezeigt wurde, was Sache ist.

  2. Man sollte das, was der Journalist da trieb, ruhig als das bezeichnen, was es für die ehrenamtlichen Autoren der Wikipedia bedeutet: Vandalismus. Dieser wird noch dadurch anrüchiger, daß der Urheber diesen später journalistisch ausnutzt und – vermutlich bezahlt – darüber berichtet. Meiner Ansicht nach ist das schmutzige Wäsche in „Stalins Badezimmer“.

  3. Werner Wegner sagt:

    Sehr interessant und informativ auf den Punkt gebracht. Ich stimme meinem Vorredner zu: Das war Vandalismus. Und das ist der Grund, warum wir mehr Aufmerksamkeit auf Quellen in Wikipedia brauchen. Danke Wiki-Watch!

  4. Sebastian sagt:

    Eingangskontrolle ist kein Admin. Erst informieren, dann schreiben 😉

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