Mythos und Metropole


Nichts geht mehr in Frankfurt am Main. Bis zum 13. März 2011, 22.37 Uhr, stehen alle Zeichen still im Wikipedia-Eintrag über die fünftgrößte Stadt Deutschlands. Etwa 3000 tägliche Besucher werden nichts mehr Neues lesen über die Main-Metropole. Sie werden es überleben. Der angestaubte Brockhaus im Regal erfährt schließlich auch keine täglichen Updates.

Gründe für die Zwangspause sind vielfacher Vandalismus und zehn (teilweise dadurch bedingte) aggressive Löschversuche (Reverts) in den vergangenen vier Wochen. Sechs davon in den vergangenen sieben Tagen. Eine Diskussion über Mythos und Wahrheit der Namensschöpfung der Stadt Frankfurt beschäftigt die Editoren besonders. Zwar führte diese nicht allein zur Sperrung. Aber sie ist dennoch Ausdruck der Wikipedia-Leitkultur. Zudem stellt sich eine schwierige Frage: Wie belegbar ist ein Mythos?

Die „Furt der Franken“ oder lateinisch Vadum Francorum, war eine Felsbarriere im Main, welche die gefahrlose Überquerung des Flusses ermöglichte. Als um das Jahr 530 die Franken von den Alemannen die Herrschaft über das Untermaingebiet übernahmen, wurde die Furt zum wichtigen Handelsweg. So verständlich ist die Herkunft des Stadtnamens Frankfurt im Wikipedia-Artikel erklärt.
Darunter jedoch folgen „andere Legenden“ um den Namen und die Gründung der Stadt. Anlass der Diskussion der Wikipedianer ist ein auf den Humanisten Johannes Trithemius zurückgehender Mythos. In der aktuellen Version des Artikels heißt es:
„Demnach soll um das Jahr 130 nach Christus ein gewisser Francus, ein Herzog der Hogier, die alte Stadt Helenopolis wiederhergestellt und nach seinem Namen Franckenfurt genannt haben.“
Die Kontroverse hierum begann vor exakt einer Woche mit dem Vorschlag von „Schaumal“, diese Stelle zu löschen, da sie allein auf einer Primärquelle beruhe – einer stadthistorischen Schrift der Rechtshistorikerin Barbara Dölemeyer. Das widerspricht jedoch einem der heiligen Prinzipien der Wikipedia: keine Theoriefindung. Die Wikipedia soll nur Wissen verbreiten, das schon durch Sekundärquellen gefestigt erscheint. Nur fällt es erkennbar schwer, Jahrtausende alte Mythen nachzuweisen.
Zunächst ist da die Abgrenzung zur tatsächlichen Geschichtsschreibung, die Schwierigkeiten bereitet. Der Editor „Flibbertigibbet“ findet jedoch eine griffige Formel: „Wer immer die Geschichte von Romulus und Remus erfunden hat, wollte damit keine römische Geschichte schreiben“, erklärt er.
Dann geht es um Relevanz. „Schaumal“ will löschen, andere halten dagegen: Auch die Theorie, die Erde sei eine Scheibe, sei schließlich wichtig gewesen. Auch abwegige Ideen gehörten in einen Stadt-Artikel. „Schaumal“ aber fordert weiter eine „Begründung für den Mythos“. Hier habe jemand die „Bild-Zeitung der beginnenden Renaissance aufgeschlagen, völlig fantasierten Quatsch abgeschrieben“, und alle schrieben „diesen Mist ab, für den es nur einen Quellenerzeuger im 15. Jahrhundert und einen Abschreiber im 20. Jahrhundert“ gebe. „Das ist die Pest dieser elektronischen Pseudo-Wissens-Erzeugung hier. Und in 50 Jahren lernen den Mist die Kids noch in der Schule“, schließt „Schaumal“ einen seiner vielen Kommentare. Der Editor „Haselburg-müller“ stellt dagegen klar, dass die Legenden in der frühen Neuzeit dazu dienten, die Bedeutung Frankfurts mythisch zu überhöhen. Und deshalb bedeutend seien.
Eine Woche lang kommen sich die Frankfurter Mythendeuter nicht näher in ihren Argumenten, bis es heute Mittag, 15.00 Uhr, dem Wikipedianer „nfu-peng“ reicht und er die Wikipedia um einen hessischen Sprachraum bereichert. An „Schaumal“ schreibt er:
„Moi Näffe, moi Näffe! Isch konn ni mä. (…) Bitte verfasse einfach mal 10 Artikel, dann kann ich dich wieder ernst nehmen. Bis dahin bist du für mich n oigeplaggde Dummbabbler.“
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