Bist du drin, bist du was!

Unser letzter Beitrag liegt nun schon eine Weile zurück. Seitdem ist einiges passiert in der Wiki-Welt: Diesmal berichten wir über betrügerische Sockenpuppennetzwerke, die unterirdische Diskussionskultur, „Wiki-Immunity“ und den Streit um Gemäldefotos. Aber der Reihe nach.

Bist du drin, bist du was – wer einen Artikel in der Wikipedia vorzuweisen hat, gilt als relevant. Die Online-Enzyklopädie ist das ultimative Mittel der Selbstdarstellung, wie heise. de treffend schrieb. All die eitlen Journalisten, Möchtegern-Künstler und Klitschen wollen sich sonnen unter ihrem Himmel.

Ein nun aufgeflogenes Netzwerk hatte es offenbar genau auf dieses Klientel abgesehen. Die Orangemoody getaufte Gruppe ging immer nach dem selben Muster vor. Gezielt wurden Autoren angesprochen, die mit ihrem neu angelegten Artikel zuvor an den Relevanzkriterien oder der neutralen Sichtweise gescheitert waren.

Erwischt! Eine Sockenpuppe in Wikipedia. Foto von Benutzer "Carlb", Licensed under Public Domain via Wikimedia Commons.

Diesen Wikipedianern machten sie ein verlockendes Angebot: Wenn du uns bezahlst, sorgen wir dafür, dass dein Artikel dauerhaft in die Wikipedia aufgenommen wird. Für den Schutz und die Pflege des Artikels verlangten die Täter ein weiteres Honorar.

Das Treiben der „Fake-Accounts“ wurde durch die Auftraggeber selbst bekannt. Diese beschwerten sich bei der Wikimedia Foundation, dass ihre Artikel trotz Bezahlung gelöscht oder geändert wurden. Um das lukrative Geschäftsmodell der Schleichwerber zu zerstören, wurden bisher über 250 Artikel gelöscht. Bereits 2013 wurde in der englischen Wikipedia eines der größten Sockenpuppen-Netzwerk mit über 300 Accounts aufgedeckt.

Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hat die Wikipedianer vor diesem Hintergrund aufgerufen, sich gegen PR in der Wikipedia zur Wehr zu setzen. Die zunehmenden PR-Aktivitäten würden die Grundsätze der Wikipedia gefährden. Doch wie will es Wikipedia schaffen, die Flut von PR-Aktivitäten zu kontrollieren? Wer sich die Diskussion der Wikipedia-Community dazu antun möchte, der sei auf diesen Link verwiesen.

Willkommen im Schlangennest

Apropos schlechte Diskussionskultur: Anfang Oktober wurde Julian Fischer als neuer Bereichsleiter Ideenförderung bei Wikimedia Deutschland ernannt. Es dauerte nicht lange, da hatte eine schlaue Wikipedianerin herausgefunden, dass Fischer früher als Lobbyist der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz gearbeitet hatte. Schnell machte die Runde, dass Fischer als damaliger Geschäftsführer der Stiftung für die Zusammenarbeit mit McDonald’s bei der Bildungsarbeit an Schulen verantwortlich war. Der Verein foodwatch hatte der Stiftung vorgeworfen, McDonald’s, Edeka & Co. den Zugang zu Schulen zu ebnen.

Nach einem E-Mail-Protest von über 37.000 Bürgern, denen das Engagement der Burger-Kette an Schulen zu weit ging, kündigte die Stiftung Verbraucherschutz ihrem Sponsor.

„Und wie üblich fällt die Wikipedia-Bande mit ihrem Shitstorm über einen Menschen und übereinander her. Ihr seid wirklich total bekloppt. Liesel 07:17, 5. Okt. 2015 (CEST)“

Wikimedia Deutschland hat sich also ausgerechnet für die Unterstützung der Community einen Ex-Lobbyisten ins Boot geholt. Eine durchaus problematische Entscheidung. Zumal das Verhältnis zwischen Community und Wikimedia ohnehin von wechselseitigem Misstrauen geprägt ist. Die Aufregung war jedenfalls vorprogrammiert und die dann folgende Diskussion nicht anders als von Wikipedia zu erwarten – unterirdisch.

„Wobei sich ja diejenige, die mit ihrem Krawall-Post diese ganze Diskussion losgetreten hat, auch schnell wieder verzogen hat. Wahrscheinlich ging’s nur darum einem Neuhinzugekommenen zu demonstrieren, mit welchem unterirdischen Umgangston man in diesem Projekt rechnen muss – und das hat sie ja erreicht. Martin K. (Diskussion) 12:13, 4. Okt. 2015 (CEST)“

„Wiki-Immunity“ – schutzlos gegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen?

Was kann ein Betroffener eigentlich tun, wenn ein anonymer Wikipedia-Autor eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in einem Artikel begeht? Sei es durch falsche Behauptungen oder aber auch durch wahre, aber dennoch rechtsverletzende, weil private Informationen.

Mit diesen Fragen befasst sich seit Jahren Rechtsanwalt Jan Mönikes, Experte für Urheber-, Medien- und IT-Recht. Mönikes kommt zu dem Ergebnis, dass Betroffene gegen Falschbehauptungen in der Wikipedia fast schutzlos sind. Dieses Phönomen nennt er „Wiki-Immunity“. Im März war Mönikes zu Gast bei Wikimedia Deutschland, um darüber zu sprechen. Wir nehmen dies zum Anlass, um euch das Thema näher zu bringen.

Jan Mönikes sprach über die Verantwortung der Wikipedia-Autorengemeinschaft zur Selbstregulierung, Foto von Christopher Schwarzkopf, CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Stellen wir uns folgende Situation (siehe Präsentation, Seite 3) vor: In der Wikipedia wird über einen deutsch-amerikanischen Schauspieler von einem nicht angemeldeten Nutzer mit der IP-Adresse eines deutschen Providers wahrheitswidrig geschrieben, dieser Schauspieler sei „vermutlich HIV-positiv“ und zudem verdächtig, durch seinen promiskuitiven Lebenswandel bereits mehrere Personen infiziert zu haben. Als Quelle wird dabei auf einen unzutreffenden ausländischen Zeitungsartikel Bezug genommen. Wie kann sich dieser dagegen zur Wehr setzen?

Zunächst einmal kann er sich an Wikipedia selbst wenden, um die Löschung des schädlichen Eintrags zu beantragen. Über diesen Vorschlag wird in einem Forum diskutiert. Frühestens nach sieben Tagen entscheidet ein Administrator auf Basis der vorgebrachten Argumente, des Seiteninhalts und der bestehenden Richtlinien, ob die Seite gelöscht wird. Darüber hinaus gibt es eine „Schnelllöschung“ ohne vorherige siebentägige Löschdiskussion, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Hierzu zählen Seiten mit eindeutig rechtswidrigem Inhalt, beispielsweise Beleidigungen, Volksverhetzung, offensichtliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten und verleumderische Inhalte. Über die „Schnelllöschung“ entscheidet ebenfalls ein Administrator.

Doch was tun, wenn sich die Wikipedia-Community weigert, den Eintrag zu korrigieren bzw. zu löschen, etwa weil sie den behaupteten Fakt für wahr hält, oder sich kein Administrator für eine „Schnelllöschung“ findet?

Gegen den anonymen Autor des schädlichen Eintrags kann der Betroffene nicht vorgehen, weil ihm seine Identität nicht bekannt ist. Auch der Verein Wikimedia Deutschland ist kein geeigneter Anspruchsgegner, weil er auf Wikipedia selbst keinen Einfluss hat und damit nicht als Störer in Frage kommt. Der Betroffene muss juristisch gegen die Betreiberin der Wikipedia vorgehen. Das ist die Wikimedia Foundation mit Sitz in San Francisco. Dabei stellt sich zunächst Frage, ob er das vor einem deutschen Gericht oder einem Gericht im US-Bundesstaat Kalifornien tun sollte.

Bei einer Klage in Deutschland müsste ein entsprechendes Urteil dann in den USA vollstreckt werden. Dazu müsste das deutsche Urteil von einem Gericht in Kalifornien anerkannt werden. Problem: Das US-Recht kennt ein umfassendes Providerprivileg, nach dem der individuelle Nutzer und nicht der Website-Provider als Störer in Anspruch genommen werden muss. Im Ergebnis hängt die Erfüllung des von dem deutschen Gericht festgestellten Anspruchs also vom „guten Willen“ der Wikimedia Foundation ab.

Alternativ käme eine Klage nach amerikanischem Recht in Betracht. Wegen des Providerprivilegs müsste in einem ersten Schritt auf Herausgabe der Nutzerdaten durch die Wikimedia Foundation geklagt werden. Mit diesen Informationen kann der Autor des schädlichen Eintrags über seinen Internetanbieter ermittelt und verklagt werden. Auch hier müsste das deutsche Gericht das ausländische Urteil anerkennen. Das wird es jedoch nicht tun, denn das deutsche Presserecht gestatte in diesem Fall – anders als im Urheberrecht – die Herausgabe von Nutzerdaten nicht, so Mönikes.

Im Ergebnis entsteht eine paradoxe Situation: Der Betroffene gewinnt sowohl bei einer Klage in den USA als auch bei einer Klage in Deutschland, kann sie aber in beiden Fällen nicht vollstrecken. Der Betroffenen muss also wieder auf den „guten Willen“ der Autorengemeinschaft bei der Korrektur des Artikels zu hoffen.

Es ist unschwer erkannbar, dass eine solche Konstellation rechtsstaatlich nicht hinnehmbar ist. Mönikes diskutierte in seinem Vortrag daher verschiedene Möglichkeiten zur Lösung des Problems: von Vollstreckungsabkommen über Netzsperren und eine Klarnamenspflicht im Internet bis hin zur Ausweitung der Störerhaftung nach dem Vorbild der Google-Spain-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.

Abschließend betonte Mönikes die Verantwortung der Wikipedia-Community zur Selbstregulierung. Nur so könne Wikipedia als vertrauenswürdige und rechtssichere Institution erhalten bleiben.

Gemälde-Streit landet vor Gericht

Bleiben wir bei einem juristischen Thema und der Frage: Wem gehört, was Museen ausstellen? Oder etwas genauer: Kann man durch bloßes Digitalisieren eines gemeinfreien Werkes Urheberrechte an dem digitalen Werk begründen?

Die Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen haben vor dem Landgericht Berlin einen Musterprozesses gegen die Wikimedia Foundation und gegen Wikimedia Deutschland angestrengt, in dem genau diese Frage geklärt werden soll. Auslöser des Streits ist ein Foto, das der Hausfotograf der Reiss-Engelhorn-Museen von einem Richard-Wagner-Bild des 1886 gestorbenen Malers Cäsar Willich angefertigt hatte. Ein Wikipdia-Nutzer hatte das Bild auf Wikimedia Commons hochgeladen.

Zwar ist das Urheberrecht am Wagner-Porträt von Cäsar Willich abgelaufen, das Museum sieht jedoch die Reproduktion als geschützt an. Die Wikimedia Foundation vertritt hingegen die Auffassung, dass keine neuen Rechte entstehen, wenn gemeinfreie Werke wie Gemälde originalgetreu reproduziert werden.

Wie der Autor David Pachali in seinem Bericht über den Prozess bei iRights.info zeigt, lässt sich der Streit vor allem an der Frage festmachen, wie viel Einfluss ein Fotograf auf das Ergebnis hat, wenn er ein Gemälde abfotografiert:

„Zwar ist nicht jedes Foto gleich ein Werk mit vollem Urheberschutz, doch daneben sind auch simplere Fotos als ‚Lichtbild‚ für 50 Jahre ab Veröffentlichung geschützt. Hintergrund: Fotos waren früher nur sehr aufwendig herzustellen, zugleich galten sie kaum als Kunst, sodass sie eigens geschützt wurden.“

Rechtlich beruft sich der Mannheimer Museumsverbund auf den Lichtbild-Schutz des § 72 UrhG. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob dieser Schutz auf bloße Reproduktionen gemeinfreier Werke anwendbar ist. Vor dem Landgericht Berlin dürfte der Museumsverbund Erfolg haben. In einem ähnlichen Verfahren entschieden die Richter jüngst, dass an den Urheberschutz von Fotografien lediglich geringe Anforderungen zu stellen sind.

Rechtsanwalt Carl Christian Müller über die noch nicht im Volltext vorliegende Entscheidung:

„Insbesondere eine schöpferische Leistung sei beim einfachen Lichtbildschutz nicht erforderlich. Vielmehr genüge ein Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung. Diese trete bei Gemäldefotografien in der verzerrungsfreien Wiedergabe des Kunstwerkes unter Ausblendung von Lichtreflexen unter der Wahl des Bildausschnittes zu Tage.“

Update: Im Streit mit den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen hat die Wikimedia Foundation eine Niederlage erlitten. Das Landgericht Berlin habe der Klage stattgegeben, teilte der Verein Wikimedia Deutschland mit. Das Gericht entschied, dass die Fotos des Museumsfotografen unabhängig vom Motiv nach dem deutschen Urheberrecht zumindest als Lichtbilder geschützt seien, und daher das Gemeinfreisein der Vorlage unerheblich sei.

Das Gericht formulierte es so:

„Gerade die damit verbundene aufwendige handwerklich-technische Leistung ist durch den Lichtbilderschutz zu schützen“. (Urteil im Volltext)

Siehe zum Thema auch hier und hier.

Wiki und die Sockenpuppen

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