Denkzettel für Wikimedia Deutschland

Die am 21. November 2014 veröffentlichte Empfehlung des Funds Dissemination Committee (jenes Gremium, das die Wikimedia Foundation bei der Verteilung der Spendengelder berät) ist ein Denkzettel für Wikimedia Deutschland. Ziellosigkeit, riesige Ausgaben für Programme, erhebliche Mehrkosten durch die vorzeitige Abberufung des Vorstandes, extrem hohe Verwaltungskosten, viel zu viele Mitarbeiter.

Das Urteil des FDC über die Arbeit von Wikimedia Deutschland (WMDE) hätte schlimmer nicht ausfallen können. Statt der beantragten 1,2 Millionen sollen 2014/2015 nur 840.000 Euro von der Foundation an den deutschen Verein fließen – 35,19 Prozent weniger als beantragt. Ein Warnschuss, der WMDE zum Umdenken zwingen soll.

„The FDC does not find a focused rationale behind its budget, which is serious considering that Wikimedia Deutschland (…) is requesting more than 25% of the total funds available. The costs of each program are not sufficiently detailed, making it hard to determine if amounts allocated for each program are reasonable or not.“

Die Begründung des Gremiums ist ein Armutszeugnis für das deutsche “Chapter” der Wikimedia Foundation, der Organisation hinter Projekten wie Wikipedia, Wikibooks oder Wiktionary. Das fängt schon bei dem mangelhaften Antrag auf Mittelvergabe selbst an: Dieser enthalte viel zu wenige Details, was es schwer mache, zu ermitteln, ob die Kosten, die für jedes Programm vorgesehen sind, angemessen sind oder nicht. Auch eine Zielrichtung hinter dem Budget sei nicht erkennbar, besorgniserregend angesichts dessen, dass WMDE mehr als 25 Prozent des gesamten Spendenvolumens beantragt. Urteil des FDC: für eine Organisation dieser Größe völlig inakzeptabel.

Erhebliche Mehrkosten durch vorzeitige Abberufung des Vorstandes

Herbe Kritik muss der Verein wegen der vorzeitigen Abberufung des Vorstands Pavel Richter einstecken, die zu „ausufernden und unnötigen Übergangskosten geführt“ habe. Zwar gebe es Umstände, die die sofortige Beendigung eines Vertrages rechtfertigen können. Da der Vorstand jedoch weiterhin als Berater beschäftigt wird und Teil der Organisation bleibt, scheine die vom Präsidium öffentlich kommunizierte Unzufriedenheit mit dem Vorstand kein ausreichender Grund für so einen radikalen Schritt zu sein. Es scheine keinerlei Änderung in der strategischen Ausrichtung seit der Trennung gegeben zu haben und es sei wahrscheinlich, dass die Entscheidung, den Vertrag des scheidenden Vorstands nicht zu verlängern, dasselbe Ergebnis mit erheblich weniger Kosten gebracht hätte.

Tatsächlich könnte die vorzeitige Trennung von Pavel Richter, der ohne seine Abberufung noch etwa 1,5 Jahre Vorstand gewesen wäre, den Verein bis zu 250.000 Euro kosten. Das sind immerhin 35 Prozent der Spenden, die von Januar bis Juni 2014 insbesondere über die Banner auf der deutschen Wikipedia-Seite eingenommen worden sind.

Extrem hohe Verwaltungskosten, viel zu viele Mitarbeiter

Ein weiterer Kritikpunkt sind die viel zu hohen Verwaltungskosten, die vom FDC als „extrem und ungewöhnlich“ bezeichnet werden, insbesondere die Kosten, die dem Präsidium zugeordnet sind.

„From the information available, the FDC considers administration costs included in this proposal to be extremely and unusually high, especially those related to the Board.“

Der Verein habe zu viel Personal („Wikimedia Deutschland’s staff is already oversized„) und viele Projekte erzielten trotz hoher Investitionen nicht den erwarteten Nutzen („The FDC believes that the impact expected does not appear to have been reached for many programs, even though there has been a large investment in them„).

„Wikimedia Deutschland also has the largest number of staff and largest budget for staff among the Wikimedia affiliates.“

Als Beispiel führt das FDC die im Budget veranschlagten Kosten für die Förderung der Community („Team Communitys“) mit geschätzten Kosten von 710.000 Euro für das nächste Jahr einschließlich der Kosten für die Mitarbeiter an.

Kürzungen auf dem Rücken der Community

Dass das Funds Dissemination Committee das Budget wegen zu hoher Kosten für die Förderung der Community zurückfährt, trifft deren Mitglieder, die sich freiwillig für die Schaffung freier Inhalte engagieren, besonders hart. Während das Projekt WikiData gelobt wird, werden die vielen Community-Projekte pauschal als wenig erfolgreich abgetan.

„WMDE is continuing its expensive community support work that has not demonstrated past impact and in its current design does not seem likely to generate significant future impact commensurate with costs.“

Für Unverständnis hat die Aussage des Gremiums gesorgt, die Freiwilligenförderung habe jahrelang keine Ergebnisse gebracht.

„… its [WMDEs] community support program has continually not shown results despite many years of significant funding“

Für diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, ist das natürlich ein Schlag ins Gesicht. Allerdings war die Community selbst gar nicht Adressat dieser Kritik. Was dem FDC vielmehr zu fehlen scheint, ist ein roter Faden im Hinblick auf die Ziele der weltweiten Wikipedia-Bewegung („global movement“).

Freiwilligenarbeit steht nicht mehr im Mittelpunkt

Die Förderung der Freiwilligen war bereits ein zentraler Konflikt im Zusammenhang mit der vorzeitigen Abberufung von Pavel Richter. Auch beim FDC-Prozess um die Verteilung der Spenden an WMDE ist die Rolle der Community ein zentraler Punkt.

Im Grunde geht es um die Frage: Was ist die Aufgabe von WMDE? Ist der Verein in erster Linie dazu da, freie Inhalte zu generieren, zu sammeln und zu verbreiten, oder soll es insbesondere darum gehen, die Freiwilligen bei diesen Aufgaben zu unterstützen?

Wikimedia Deutschland gibt im Vergleich zu anderen nationalen Wikimedia-Vereinen überdurchschnittlich viel Geld für die Förderung der Freiwilligen aus. Die Kritik des FDC, die jahrelange Freiwilligenförderung habe kaum etwas gebracht, lässt das deutsche Chapter nicht gelten. Gerade das vom FDC gelobte Projekt WikiData sei ohne die vielen Freiwilligen nicht möglich gewesen, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins.

WMDE zweifelt zudem daran, ob sich mit dem sog. Global-Metrics-Baukasten wirklich messen lässt, wie die Höhe des Mitteleinsatzes im Verhältnis zur Wirkung („Impact“) der jeweiligen Programme steht. Erfolgsmetriken wie z.B. Bytes an Text oder die Anzahl aktiver Nutzer pro Projekt allein reichten nicht aus, um Erfolg zu messen („Numbers do not tell the full story.“)

„We disagree strongly with the statement that our community work has not resulted in impact. To this day, the German language community provides the content for the second largest Wikipedia in the world – without excessive use of bots.“ (Stellungnahme von WMDE an das FDC, 15. November 2014)

Auf der anderen Seite ist die Freiwilligenförderung nur ein Teil dessen, was wichtig ist, um freies Wissen zu generieren, zu sammeln und zu verbreiten. Außerhalb der Community gibt es eine Vielzahl von Gruppen, Organisation und Personen, die für freies Wissens mindestens genauso wichtig sind und ebenfalls gefördert werden wollen.

„Mir war es immer wichtig, dass bei Aktivitäten von Wikimedia Deutschland der Nutzen für die Projekte mitgedacht wird. Und es gibt eben zahlreiche Aktivitäten die Nutzen für die Projekte haben, aber explizit nicht Freiwilligenförderung sind.“ (E-Mail von Philipp Birken, Beisitzer im Vorstand von Wikimedia Deutschland e.V.)

Bei genauer Betrachtung geht es bei dem Konflikt um die Verteilung des großen Wikipedia-Spendenkuchens. Die bisherige Bevorzugung von Community-Projekten weckt Neid. Einfach ausgedrückt: Viele andere möchten auch ein Stück vom Kuchen haben.

„WMDE (inklusive neuem Präsidium und dem irgendwann eingestellten neuen Vorstand) hat jetzt wohl die schwierige Aufgabe nach innen die eigene Ausrichtung und Zielsetzung neu zu definieren oder wenigstens zu re-kallibrieren und nach außen die Aufgabe den Spendern und der Community zu vermitteln, dass „Die Communities stehen im Mittelpunkt” eine schöne Idee war – aber Vergangenheit ist.“ (Wikipedia-Autorin Henriette auf netzpolitik.org).

Neues Präsidium gewählt – „Comeback von Wikimedia-Veteranen“

Auf der 15. Mitgliederversammlung von Wikimedia Deutschland am 29. November 2014 in Berlin wurde ein neues Präsidium gewählt – ein Schritt „zurück in die Zukunft“, wie Leonhard Dobusch auf netzpolitik.org feststellt:

Denn mit dem Gründungsvorsitzenden Kurt Jansson, seinem Nachfolger Sebastian Moleski und dem Vorgänger von Tim-Moritz-Hector, Nikolas Becker, kehren gleich drei Ex-Vorsitzende ins Präsidium zurück.

Dies sei deshalb brisant, schreibt Dobusch, weil sich Jansson und Moleski öffentlich gegen die Absetzung von Pavel Richter als geschäftsführendem Vorstand ausgesprochen hatten und Becker seine Funktion aus Protest gegen diese Entscheidung niedergelegt hatte.

Wie wird das neu gewählte Präsidium mit der Kritik des FDC umgehen? Ist es in der Lage, die unterschiedlichen Standpunkte nach innen und außen zu kommunizieren? Der Wikimedia Foundation bzw. dem FDC muss WMDE vermitteln, was das deutsche Chapter unter erfolgreicher Freiwilligenförderung versteht. Gleichzeitig muss der Community deutlich gemacht werden, dass die Wikimedia Foundation mehr als bisher von der Community erwartet. Ein schwieriger Spagat.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.